Auf der Online-Plattform »Host A Sister« findet man gerade tausende Nachrichten wie diese:
»#Ukraine Wir wollen helfen!!
Wo? Eine Kleinstadt im Norden Deutschlands.
Was? Gästezimmer in unserem Haus mit Garten. Auch Essen, Kleidung, etc. und mehr wenn nötig. Vierbeinige Freunde sind willkommen. Wir können euch vom Bahnhof oder Flughafen abholen.
Wann? Ab sofort, solange ihr braucht«
Seit der russischen Invasion in der Ukraine fluten traurige und schreckliche Nachrichten unsere Bildschirme. Aber auf Plattformen wie Host a Sister, Unterkunft Ukraine, Host 4 Ukraine, RefugeBooking und vielen kleineren Webseiten ist daneben noch eine andere Welle zu beobachten – eine, die einen auch an das Gute im Menschen glauben lässt: zahllose Hilfsangebote von Menschen auf der ganzen Welt. Tausende haben dieses Wochenende in Deutschland ukrainische Flüchtlinge an Bahnhöfen mit selbstgebastelten Schildern empfangen (»Habe Platz für zwei Erwachsene und zwei Kinder«), und viele, die nicht in Bahnhofsnähe wohnen, bieten ihre Hilfe im Internet an – auf Plattformen wie Host a Sister.
Rashvinda Kaur leitet hauptberuflich eine Kindertagesstätte in New Orleans, Louisiana, aber die leidenschaftliche Weltenbummlerin startete 2019 Host a Sister als Internetseite, auf der Frauen Freundschaften und eine bequeme Couch auf Reisen finden können. »Ich tat das, weil ich von sexuellen Übergriffen auf Couchsurferinnen gelesen hatte«. sagt die gebürtige Malaysierin. »Ich wollte einen sicheren Raum schaffen.« Anders als bei Airbnb, sind die Unterkünfte hier ausschließlich gratis. Am ersten Tag meldeten sich bereits 2000 Frauen an, inzwischen sind dort eine Viertelmillion Gastgeberinnen registriert. »Es war eigentlich nur zum Spaß gedacht, wurde aber schnell auch zur Info-Plattform für Frauen in Not, etwa wenn eine Frau von ihrem Partner auf die Straße gesetzt wurde oder jemand in einer neuen Stadt einsam war«, erzählt Kaur via Zoom in der Mittagspause ihrer Kita.
Bis vor zwei Wochen bestand ihre Plattform vor allem aus Bildern von idyllischen Gästehäusern in Rom oder Zimmern mit Futons in Berlin. Seit Beginn der russischen Invasion tragen die meisten Inserate den Hashtag #Ukraine. Eine typische Nachricht lautet: »Wir haben Platz für eine Mutter und zwei Kinder. Alles Notwendige vorhanden.«
Die Plattform wird ausschließlich von unbezahlten Freiwilligen betrieben. »Ich habe 48 Stunden nicht geschlafen«, sagt Kaur über die ersten Tage nach der Invasion. »Ich hatte Angst, eine dringende Nachricht einer Frau in Not zu übersehen.« Die meisten Ukraine-Flüchtlinge fanden bisher in Polen Aufnahme, aber Gastgeberinnen melden sich ebenso aus Madrid und Berlin, aus italienischen Dörfern und südfranzösischen Bauernhöfen. Sogar Mütter aus Connecticut, Zahnärztinnen in Sydney, und Bäuerinnen in Alabama bieten Betten an, manchmal sogar mit Offerten für Flugtickets: »Wenn ihr es zu einem internationalen Flughafen schafft, zahlen wir euch Flugtickets zu uns nach Texas«, schrieb eine Frau.
Host a Sister ist als Reisebörse für Frauen im Augenblick auch deshalb besonders wertvoll, weil viele Männer in der Ukraine zurückbleiben, um ihr Land zu verteidigen. Die fliehenden Frauen laufen Gefahr, Kriminellen in die Hände zu fallen, und auch immer mehr unbegleitete Kinder und Minderjährige kommen über die Grenze. Weil diese Flüchtlinge besonders gefährdet sind, hat Host a Sister die Kommentarfunktion für alle Ukraine-Posts abgeschaltet und bittet die Mitglieder, die Details über private Botschaften abzuwickeln. Kaur hat bereits Drohungen erhalten und merkwürdige Online-Aktivitäten registriert, die auf russische Trolle und Bots hindeuten.
Aber die Danksagungen der Betroffenen sind für Kaur wichtiger, zum Beispiel diese: »Meine Schwester ist jetzt sicher bei einer wundervollen Schwester in der Slowakei. Segne euch Gott.« Oder die Nachricht einer ukrainischen Mutter mit einem elf Jahre alten Sohn im Rollstuhl, die durch Host a Sister Unterstützung und eine Unterkunft gefunden hat. »Wir wollen nicht Panik schüren, sondern Lösungen anbieten,« sagt Kaur über ihre Motivation.
»Wenn du glaubst, dass du allein im Leben eines anderen keinen Unterschied machen kannst, dann denk nochmal nach«
Auch auf der Seite Host 4 Ukraine können Menschen aller Nationalitäten Unterkünfte anbieten. Sogar the United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) hat diese Initiative empfohlen, die von der kirchlichen Organisation Churchpool angestoßen wurde. Andere Seiten richten sich speziell an bestimmte Nationen. Unterkunft Ukraine zum Beispiel an deutsche Gastgeberinnen und Gastgeber. Avi Schiffmann, den wir hier in der Lösungskolumne als 17-Jährigen porträtierten, weil er zu Anfang der Pandemie den besten Corona-Tracker online stellte, hat nun eine detaillierte Webseite programmiert, mit deren Hilfe Menschen ebenfalls Unterkünfte für Flüchtige anbieten oder suchen können, mit Suchfiltern wie tierfreundlich oder gesprochenen Sprachen.
Sehr bemerkenswert ist auch das Refugee Buddy Network, eine wenig bekannte Initiative, die aber schon seit Jahren aktiv ist. Was sie besonders macht, ist, dass sich hier vor allem Flüchtlinge füreinander einsetzen. Lynda Elliott hat das Netzwerk 2016 ganz ohne Unterstützung gestartet, ohne Vorkenntnisse und ohne Geld. So wie viele Menschen jetzt verzweifelte die freiberufliche Unternehmensberaterin in London damals zunehmend an Flüchtlings-Geschichten aus Syrien, Afghanistan oder Somalia: »Ich sah diese Bilder vom Krieg und dachte: Irgendwo da drüben lebt eine Frau wie ich, mit den gleichen Träumen und Hoffnungen wie ich.«
Ihr Netzwerk hat kein Budget und keinen gemeinnützigen Status, aber inzwischen 5.700 Mitglieder auf der ganzen Welt, darunter auch viele Deutsche. »Wenn du glaubst, dass du allein im Leben eines anderen keinen Unterschied machen kannst, dann denk nochmal nach«, meint Elliott. Ihr Netzwerk kümmert sich unbürokratisch um Unterkünfte, praktischen Rat oder medizinische Versorgung für Bedürftige. Das Refugee Buddy Netzwerk macht genau das, was der Name sagt: »Wir finden für Menschen einen Buddy, anstatt einfach nur Geld zu sammeln und zu spenden. Was wir von Geflüchteten am allerdringendsten hören, ist: ›Ich fühle mich unsichtbar, isoliert. Ich bin vergessen worden.‹«
Die unbürokratische Natur dieser spontanen Hilfsbereitschaft macht ein bisschen Chaos und einige Fehler unvermeidlich, hat aber auch den Vorteil, dass Menschen ohne politische oder administrative Hürden auch denjenigen helfen können, die durch alle Raster fallen. Im Augenblick richtet Elliott ihre Aufmerksamkeit besonders auf Minderheiten in der Ukraine. Als Beispiel nennt sie eine Ukrainerin, die mit einem Jemeniten verheiratet ist und derzeit an der Grenze feststeckt, oder afghanische und afrikanische Studenten, die die Ukraine verlassen wollen, aber dort am Besteigen von Zügen und Bussen gehindert wurden. Elliott weist darauf hin, dass manche der Länder, die ukrainische Flüchtlinge mit Schokolade und offenen Armen empfangen, gleichzeitig weiterhin Flüchtlinge aus dem Irak oder Syrien an den Grenzen blockieren, etwa Polen oder Ungarn. »Ganze Berge an Spenden, Decken und Schlafsäcken landen an der polnischen Grenze im Müll, während ich verzweifelt versuche, Ressourcen für eine syrische Familie zu finden, die an der türkischen Grenze bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt ausharrt, mit nur einer Plastikplane über dem Kopf, und einem unterernährten Baby, das sie nicht füttern können.«
Mehrere Journalisten und Politiker beschrieben die ukrainischen Flüchtlinge als »zivilisiert«, »intelligent, nicht wie die Leute mit unklarer Vergangenheit«, oder sagten: »Sie sind uns so ähnlich; das macht es so schockierend«, als seien Geflüchtete aus anderen Ländern weniger wert. Elliott betont hingegen die Gemeinsamkeiten, die sie besonders zwischen Syrien und der Ukraine sieht: »In beiden Ländern werden Bomben auf Zivilisten geworfen; beide Länder haben einen reichen Kulturschatz, der geplündert und zerstört wird. Aber die Medien und Menschen schreiben den ukrainischen Menschen mehr Wert zu als Flüchtlingen aus anderen Ländern.«
Sie freut sich über die derzeit herrschende Hilfsbereitschaft. »Aber während sich die Leute auf den jüngsten Krieg konzentrieren, dürfen wir nicht vergessen, dass es Menschen gibt, die seit zehn Jahren auf der Flucht sind und vergessen wurden«, sagt Elliott. »Menschen leiden überall gleich, unabhängig von der Hautfarbe.«