Was Frauen wirklich das Herz bricht

Männer leiden häufiger an Herzkrankheiten, aber Frauen sterben öfter daran. Das Geschlecht des behandelnden Arztes spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Haben männliche Ärzte eher Schwierigkeiten ihre Patientinnen richtig zu behandeln? Studien aus den USA legen das nahe – mit besorgniserregenden Statistiken.

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Als die PR-Managerin Carolyn Thomas mit Ende 30 ihren ersten Herzinfarkt hatte, schickte sie der Arzt in der Notaufnahme wieder nach Hause. Sie habe nur Sodbrennen, beschied er ihr. Und sie solle sich ausruhen, dann werde die Müdigkeit und das Stechen in der linken Körperhälfte schon wieder weggehen. »Ich kam mir ziemlich blöd vor, dass ich wegen Sodbrennen so ein Theater gemacht hatte«, erzählt Thomas. Aber es wollte ihr einfach nicht besser gehen und zwei Wochen später landete sie wieder in der Klinik – mit einem so massiven Infarkt, dass er sie beinahe getötet hätte. Der Arzt hatte nicht erkannt, dass seine Patientin mitten in einer lebensgefährlichen Krise steckte.

Männer leiden häufiger an Herzkrankheiten, aber Frauen sterben öfter daran. In Zahlen: 26 Prozent der Herzinfarktpatientinnen sterben innerhalb eines Jahres im Vergleich zu 19 Prozent bei den Männern. Das wissen Ärzte schon lange und rätseln, warum das so ist. Einige Faktoren waren bekannt: Symptome beim »Eva-Infarkt« äußern sich anders, Frauen gehen später zum Arzt. Jetzt erst wissen wir: Es macht auch einen entscheidenden Unterschied, ob der behandelnde Arzt ein Mann oder eine Frau ist.

Eine Studie der University of Minnesota untersuchte die Fälle von mehr als 580 000 Herzpatienten und kam zu dem Schluss: Weibliche Patientinnen sterben signifikant öfter, wenn sie von männlichen Ärzten behandelt werden. »Die Überlebensraten waren für Patientinnen zwei bis drei Mal höher, wenn sie von Ärztinnen betreut wurden«, folgert die Studie.

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Zwei bis drei Mal höher? Die Wissenschaftler haben dazu die Daten von Herzpatienten in Florida aus fast 20 Jahren ausgewertet. Sie konnten zwar die Daten über Jahrzehnte zurückverfolgen, aber natürlich konnten sie nicht mehr fragen, wo genau die Unterschiede in der Behandlung lagen. Interessant ist aber die Erkenntnis: Männliche Ärzte behandeln ihre Patientinnen erfolgreicher, wenn sie in der Vergangenheit viele Patientinnen hatten und mit überwiegend weiblichen Kollegen zusammenarbeiteten.

»Männliche Ärzte scheinen Schwierigkeiten zu haben, Patientinnen richtig zu behandeln«, schreiben die Wissenschaftler. Womöglich seien Ärztinnen »besser in der Lage, weibliche Patientinnen richtig zu diagnostizieren«. Die Studie untersucht zwar nur Herzpatienten, die Verfasser vermuten aber, dass es Patientinnen mit anderen lebensgefährlichen Symptomen ähnlich geht. Eine Harvard-Studie aus dem letzten Jahr kam zu dem Schluss, dass auch Senioren, die von Internistinnen betreut werden, eine geringere Sterblichkeitsrate haben oder weniger Wiedereinlieferungen als diejenigen, die von männlichen Internisten betreut wurden. 

Unter anderem attestierten die Forscher, dass Ärztinnen ihren Patienten aufmerksamer zuhören, sich eher an die klinischen Richtlinien halten, mehr Vorsorge betreiben, Untersuchungen gründlicher durchführen und ihren Patienten mehr psychosoziale Beratung zuteilwerden lassen als ihre männlichen Kollegen. Sie kamen zu dem nahezu unglaublichen Schluss, jedes Jahr könnten bis zu 32 000 Leben gerettet werden, wenn die männlichen Ärzte so viel Sorgfalt walten ließen wie ihre Kolleginnen: »Das entspricht etwa der Zahl der Menschen, die jedes Jahr in Amerika in Autounfällen sterben.«

Die Journalistin Maya Dusenbery interessiert sich für das Thema, seit bei ihr mit Anfang 20 Gelenkrheumatismus diagnostiziert wurde. Sie beschreibt in ihrem Buch Doing Harm (das bislang nur auf Englisch vorliegt) alarmierende, oft lebensbedrohliche Beispiele »einer systematischen und unbewussten Voreingenommenheit, die darin wurzelt, was Ärzte und Ärztinnen in ihrer Ausbildung lernen«. Medizin sei seit jeher und bis heute von Männern dominiert, so Dusenbery – und daher das medizinische Wissen über männliche Körper und deren Behandlung deutlich größer.

Beispiel Herzinfarkt: Frauen unter 55 Jahren werden – wie Carolyn Thomas – sieben Mal öfter mitten in einem Herzinfarkt von Ärzten nach Hause geschickt als Männer. Selbst wenn sie gründlich untersucht werden, dauert es deutlich länger, bis sie endlich ein Elektrokardiogramm oder ähnliche Diagnostik bekommen. Darin liegt die Krux: Der Grund, warum wir weibliche Herzinfarktsymptome wie Übelkeit, Müdigkeit oder Schulterschmerzen als »atypisch« bezeichnen, meint Dusenbery, liege eben daran, dass die Mediziner die »typischen« Symptome am Prototyp Mann lernen. Bei Frauen tendieren Ärzte nachweislich eher dazu, psychologische Ursachen zu vermuten: Stress, Überlastung, Angst. »Beruhigen Sie sich mal wieder«, ist ein Satz, den Frauen häufiger hören.

Bis in die 1990er Jahre wurden Frauen von der amerikanischen Behörde für Arznei- und Lebensmittel (FDA) aus vielen wichtigen Studien komplett ausgeschlossen, wenn neue Medikamente getestet wurden. Aber selbst wenn Frauen inzwischen Teil der meisten Studien sind, wird selten differenziert, wie unterschiedlich Medikamente in Frauen und Männern wirken – Gewicht, aber auch Hormone, Enzyme, Körperfett und vieles mehr beeinflussen die Resultate.

Ein besonders hübsches Beispiel aus Dusenbery Buch ist der medizinische Kongress »Hearts and Husbands«, der erste Frauenkongress zu Herzproblemen, bei dem sich mehr als 1000 Frauen trafen, um sich über die Herzkrankheiten ihrer Gatten zu informieren. Weibliche Herzprobleme wurden damals gar nicht erst erwähnt, weil man glaubte, Herzinfarkte seien fast ausschließlich ein Männer-Problem. Das war zwar in den Sechzigerjahren, es dauerte dann aber mehr als 30 Jahre, bis der amerikanische Kardiologen-Verband zum ersten Mal einen Kongress zu Herzpatientinnen einberief. Mehr als die Hälfte aller Ärzte wussten bei einer Umfrage aus dem letzten Jahr gar nicht, dass die Herzen von Frauen und Männern etwas anders ticken.

Frauen mit Herz-Symptomen zögern, zum Arzt zu gehen, weil sie laut einer Yale-Studie fürchten, abgewimmelt zu werden. »Das war für mich eine der verstörendsten Erkenntnisse meiner Recherche«, sagt Dusenbery: »Wie viele Frauen erzählten, dass sie darum kämpfen mussten mit ihren Symptomen ernst genommen zu werden. Oft hatten sie das Gefühl, sie mussten eine männliche Begleitperson mitbringen, einen Lebensgefährten, einen Vater oder sogar ihren Sohn, der bezeugen konnte, dass sie sich ihre Symptome nicht einbildeten. Dann wurden sie ernst genommen.«

Carolyn Thomas hat die »Heart Sisters« gegründet, einen Club für weibliche Herzpatientinnen, »zu dem keine freiwillig gehören will«, scherzt sie. Inzwischen berät Thomas hauptberuflich Frauen in Gesundheitsfragen. Die Lösung liegt auf der Hand: Die Studie der University of Minnesota empfiehlt, mehr Ärztinnen in der Notaufnahme einzustellen und auch Ärzte darin zu schulen, Symptome bei Patientinnen besser zu erkennen.

In Deutschland wächst zwar der Frauenanteil unter Medizinern stetig, inzwischen sind sogar die meisten Medizinstudenten weiblich - in Führungspositionen und in Notaufnahmen sind Frauen aber nach wie vor in der Minderzahl. Verbände wie der deutsche Ärztinnenbund und die Initiative Pro Quote Medizin fordern eine Frauenquote in  Führungspositionen.

Das löst dann vielleicht nebenbei gleich noch ein zweites, eklatantes Problem: Nämlich, dass Frauen in medizinischen Berufen immer noch weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen.