Wochen und Monate waren vergangen, Herbst war Winter war Frühling geworden, und mein Leben zunehmend deckungsgleich mit meinem Dienstplan. So konnte es nicht weitergehen.
Ich beschloss, mal wieder nach meinen eigenen Herztönen zu suchen. Drei Tage später sitze ich in einem Café und warte auf einen Mann, der in seiner Tinder-Beschreibung den lustigen Satz »Mit mir kann man Pferde schälen« angegeben hatte. Ich freue mich, mal wieder einem Mann ohne Arztkittel oder selig-entrücktem »Ich hab so eben das schönste Kind der Welt bekommen«-Gesichtsausdruck ins Gesicht zu blicken.
Er heißt Jakob. Seinem Profilbild sieht er erfreulich ähnlich, seine Umarmung ist herzlich, sein Lachen gewinnend. Erstmal warmreden. Nur womit?
Mein Beruf mag ein super Partythema sein – die lustigsten Vornamen und dramatischsten Geburten –, ein super Flirt-Thema ist er erfahrungsgemäß nicht. Bei Dates versuche ich die Tür zu meinem Hebammendasein geschlossen zu halten.
Denn so ein Fragefeuerwerk, wie es auf Feiern gerne mal auf mich hernieder geht (»Mal ehrlich, wie krass ist eine Geburt?«), fühlt sich bei einer Verabredung seltsam an: Ich habe dann immer den Eindruck, es gehe nicht um mich als Person, sondern um meinen ganzen Berufsstand. Und es gibt noch etwas, das ich oft unangenehm finde, Jakob wählte nach circa 25 Minuten folgende Formulierung: »Dann magst du ja bestimmt auch Kinder, oder?« Solche Fragen höre ich oft. Manchmal schleichen sich die Männer auch mit »Hast du auch selbst Kinder?« an.
Mir scheint, als wollten sie in Wahrheit etwas anderes wissen, nämlich: Willst du auch bald Kinder? Ich weiß schon, dazu müssen sich viele Single-Frauen mit Mitte 30 verhalten, doch bei mir kommt diese Frage nicht nach drei Monaten, wenn man als frisch verliebtes Paar zum ersten Mal den zuckersüßen Nachwuchs von Irgendwem trifft. Sondern direkt im Zusammenhang mit meinem Job. Hebammen unterstellt man von Berufswegen einen stark ausgeprägten Kinderwunsch, noch mehr: eine gewisse Mütterlichkeit. Die Frage ist, wie sexy das beim ersten Date ist.
Also Karten auf den Tisch: Klar hätte ich gern Kinder, aber nicht jetzt. Jetzt sehne ich mich vor allem nach einer Partnerschaft. Sehr sogar. Welcher Single würde das nicht, bei all diesen Super-Liebesfilm-Szenen, denen ich täglich beiwohnen darf. Der Kreißsaal ist die größte Bühne menschlicher Existenz. Wenn Leute sagen, der romantischste Moment eines Paars sei vor dem Altar oder beim Heiratsantrag am Strand, muss ich widersprechen. Wie groß, wie innig, wie Wir-gegen-den-Rest-Welt die Verbindung zweier Individuen ist, sieht man am besten, wenn sie ihr frisch geborenes Kind in den Händen halten. So viel Liebe. SO VIEL LIEBE.
An guten Tagen färbt sie ab, hebt mich hoch und trägt mich. An schlechten denke ich: Warum ihr? Wann endlich ich? Doch die Partnersuche als Hebamme ist nicht leicht. Bei uns auf der Station arbeiten fast nur Frauen, auch die meisten Ärzte sind weiblich. Außerdem habe ich einen sozial ziemlich unfreundlichen Schichtplan. Welcher normal arbeitende Single hat Donnerstag Vormittag Zeit, sich auf eine Apfelschorle zu treffen?
Ha, Jakob!
Der fragt mich dann doch noch etwas ausführlicher aus – und siehe da: Es macht mir gar nichts aus. Aus der Apfelschorle wird ein Mittagessen, dann ein Nachtisch und ein Kaffee. Als die Spätnachmittagssonne ins Café scheint, erzählt er mir von der Geburt seiner Patchworknachzügler-Schwester, an die er sich noch gut erinnern kann, es wirkt, als sei er aufrichtig daran interessiert, eine Verbindung zwischen uns aufzubauen.
Ich erzähle ihm von dem muskulösen Russen, der neulich mit seiner zierlichen Freundin bei uns war, ein Baum von einem Mann, ich hätte ihn irgendwo zwischen Boxpromoter und Türsteher verortet, und wie der Mann plötzlich wie ein kleiner Junge geweint hat, so bitterlich vor Rührung, als er zum ersten Mal sein Kind in den Händen hielt.
Ich erzähle ihm von dem Vater, dessen Frau sich vor Schmerzen fast um den Verstand geschrien hat und der – noch während sie genäht wurde – die Dreistigkeit besaß, mich zu fragen, was ich noch nach meiner Schicht mache und ob ich ihm nicht meine Nummer geben wolle.
Und ich erzählte ihm von dem indischen Paar, das neulich bei uns war, das mich so unglaublich gerührt hat. Ihr Mann war die ganze Zeit dabei gewesen, aber er hielt sich immer im Hintergrund. Berührt hatte er sie, wohl aus religiösen Gründen, die ganze Zeit nicht. Dennoch habe man gemerkt, wie groß seine Anteilnahme war, wie aufopferungsvoll er sich gekümmert hat. Als das Kind da war, war schließlich sie es, die sich bei ihm bedankte. Und da küsste er sie zart auf die Stirn – ein unbeschreiblich schöner Moment.
»Das glaube ich!«, sagt Jakob und lächelt. Und obwohl ich mal wieder nur von meinem Beruf erzählt habe, merke ich, er hat mir zugehört und nicht nur der Hebamme, die amüsante Geschichten erzählt. »Das nächste Mal erzählst du mir ganz viel aus deinem Beruf«, sage ich und hoffe inständig, dass er dazu Lust hat.