Achtung, bei dir zieht's

Der Hosenstall einer fremden Person im Fahrstuhl steht offen - soll man etwas sagen, obwohl es alle Anwesenden mitbekommen würden? 

»In einem relativ vollen Aufzug im Büro bemerkte ich kürzlich, dass einem mir unbekannten Kollegen der Reißverschluss seiner Hose offen stand. Ihm einen Hinweis zu geben, den nur er hätte hören können, war nicht möglich. Hätte ich ihn dennoch darauf hinweisen müssen – trotz der Aussicht, dadurch im Aufzug eine peinliche Situation zu schaffen? Aber in der Hoffnung, eine möglicherweise noch peinlichere Situation für ihn außerhalb des Aufzugs vermeiden zu können?«
Stefan P., Hannover

Es ist ein großes Wunder, dass es bei bald acht Milliarden Menschen auf der Welt letztlich doch zu so wenigen Zwischenfällen kommt. Eine ganz wichtige Regel, die uns gegenseitig vor allem Möglichen schützt, ist es, mit anderen so umzugehen, wie man es auch selbst gerne erfahren würde, also im Flugzeug nicht handgreiflich zu werden, wenn der Sitznachbar die ganze Reise über die Armlehne für sich beansprucht, oder im Straßenverkehr niemandem, der zu langsam fährt, hintendrauf zu fahren, einfach um ihm eine Lektion zu erteilen und so weiter. Das sind so die elementareren Dinge, die ja den meisten auch klar sind.

In den Detailfragen aber zeigen sich die wahren Meister. Auch hier helfen Regeln zur Orientierung. Etwa: Nein, man sagt niemandem direkt, dass er Mundgeruch hat, sondern bietet ihm besser ein Pfefferminzbonbon an. Nein, man pinkelt nicht mitten in der Stadt gegen eine Hauswand oder einen Baum, nur weil man gerade muss und es halt im Stehen kann. Und eben: Je sympathischer einem jemand ist, der nichts ahnend mit einem offen stehenden Hosentürchen oder auch Petersilie zwischen den Zähnen durch die Welt spaziert, desto schneller sollte man ihn oder sie darauf hinweisen. Andersherum: Je wichtiger einem ist, dass einen die betreffende Person sympathisch findet, desto dringender ist Handlung geboten. Denn unterbleibt ein Fingerzeig, wird man später, wenn die Person selbst das Malheur entdeckt hat oder von jemand Mutigerem darauf hingewiesen wurde, rückblickend zur Gruppe derer gezählt werden, die wissend geschwiegen und das Ganze ja überhaupt erst peinlich gemacht haben. In einem vollen Aufzug ist ein diskretes Handzeichen vorstellbar. Wenn nicht, martern Sie sich nicht, es gibt Schlimmeres als einen offenen Reißverschluss.