Schwangerschaft und Ehrlichkeit

Eine Freundin erzählt unserer Leserin, mit 48 überraschend schwanger geworden zu sein. Dabei hat sie sich wohl mehrfach künstlich befruchten lassen. Darf man sie auf den Widerspruch ansprechen?

Illustration: Serge Bloch

»Eine Freundin ist im Alter von 48 Jahren schwanger geworden (es ist ihre erste Schwangerschaft). Als wir uns neulich trafen, erzählte sie mir, was für eine große Überraschung die Schwangerschaft ist und dass sie den Befund des Arztes erst gar nicht für möglich gehalten hat. Über Freunde weiß ich aber, dass sie und ihr Mann mehrfach zur künstlichen Befruchtung im Ausland waren, was sie mir gegenüber nie erwähnt hat. Es geht mich natürlich nichts an, auf welchem Wege ein Kind entstanden ist, aber mich treibt um, dass ich so offensichtlich angelogen werde. Wie kann ich das kommunizieren, ohne der Freundin zu nahe zu treten?« Anonym

Ein paar Worte über künstliche Befruchtung: Nur weil man sich dieser Prozedur unterzieht, bedeutet das noch lange nicht, dass man tatsächlich schwanger wird. Eine Schwangerschaft ist auch bei künstlicher Befruchtung, wie jede Schwangerschaft, eine Überraschung, ein Wunder, zumal im Alter von 48 Jahren. Hinzu kommt, dass das kein lustiger Eingriff ist, dem sich eine Frau, ein Paar, mal eben so aussetzt. Es ist mit Hoffnung verbunden, aber eben oft auch mit Enttäuschungen, und zwar Monat für Monat mit zunehmender Härte. Es gibt Nebenwirkungen für Körper und Gemüt. Und es gehört eine Vorgeschichte dazu, und die wird nicht glücklich gewesen sein.

Ich möchte Sie darum bitten, jedes wohlwollende Gefühl gegenüber der Schwangerschaft Ihrer Freundin in sich zu mobilisieren, das Sie auftreiben können. Stellen Sie sich vor, was noch alles auf sie zukommt bis zur Geburt eines hoffentlich gesunden Kindes. Schwanger zu werden ist ja nur eine von vielen Hürden, die zu nehmen sind. Sind dann auch die ersten drei Monate geschafft, kommen all die Voruntersuchungen, deren Ergebnis immer nur eine Wahrscheinlichkeit ist, sowieso eine Überforderung für alle werdenden Eltern, aber im Falle Ihrer Freundin extra brutal, da ihre Schwangerschaft als Risikoschwangerschaft gilt. Die Wahrscheinlichkeit, dass nicht alles gut geht, wird ihr offiziell als hoch bescheinigt. Stellen Sie sich vor, welche Ängste das auslöst. Und was für Entscheidungen aufgrund bloßer Prozentzahlen zu treffen sind.

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Ich verstehe, dass es einen fuchst, wenn man das Gefühl hat, dass einem etwas vorgemacht wird oder jedenfalls nicht die ganze Wahrheit gesagt. Aber bitte treten Sie einen Schritt zurück und sehen Sie das große Bild: Eine Frau, die schon glaubte, es sei zu spät, bekommt ein Kind. Öffnen Sie Ihr Herz und wünschen Sie ihr Glück.