Folge 5: Widder Hotel - Zürich

Wer hat die Spitzenhotellerie erfunden? Natürlich die Schweizer. Doch dafür muss man nicht unbedingt in eines der ehrwürdigen Grand Hotels.

Wenn es um die Produktion von Hoteldirektoren geht, gehören Schweizer, das weiß man, zum allerbesten Rohstoff. Die Schweiz exportiert ihre Hoteldirektoren in die ganze Welt, und überall leiten sie großartige Häuser. Es ist also ein absolut richtiger Impuls, in der Schweiz selber, an der Quelle gewissermaßen, das Allerhöchste zu erwarten, zu dem Hotellerie fähig ist. Zürich etwa besitzt so viele klingende Fünf-Sterne-Hotels, dass die Auswahl schwer fällt und jedes seine ergebene Gefolgschaft unter den Gästen hat. Wem aber die ehrwürdigen Grand Hotels wie das „Baur au Lac“ oder das „Dolder“ oben am Hang ein wenig zu viel Kronleuchter-Atmosphäre atmen, der kann seit Mitte der Neunziger im „Widder“ absteigen.

Nicht, dass man sich dort nicht der Tradition verschrieben hätte, im Gegenteil: Gäste logieren hier in Originalmauern aus dem 16. oder zählen an der Zimmerdecke die Kringel der Fresken aus dem 18 Jahrhundert – allerdings von Vitra-Chairs aus. Denn das „Widder“ ist eine absolut sehenswerte Symbiose aus Alt und Neu, oder eigentlich aus Alt und Zeitlos. Die Architektin Tilla Theus brachte es nicht nur fertig, neun Altstadthäuser vor dem Verfall zu retten und dabei deren alte Balken, Mauern und Eigentümlichkeiten sehenswert zu konservieren. Sie schuf dazu auch eine Inneinrichtung, die sich mit ewigen Möbelstücken von Loos bis Eames erstaunlich gut in die ehernen Grundrisse einfügt.

Von außen ist das „Widder“ – nur einen Tell-Pfeilschuss von der Bahnhofstraße entfernt – ein perfekt in neun historische Altstadthäuser integrierter Komplex. Innen ist jedes der 49 Zimmer ein Unikat. Es gilt sich zu entscheiden, zwischen einem vertäfelten Herrenzimmer mit samtgrünen Stoffen oder einer reduziert gehaltenen Corbusier-Suite, manche der Räume sind zehn Meter hoch und haben eine Galerie, andere eigene Dachterrassen oder verspiegelte Wände. Die Gastgeber merken sich hier natürlich, welche Zimmer der Gast schon bewohnt hat, und empfehlen dann ganz nach Wunsch für den nächsten Besuch ein anderes – oder reservieren das gleiche. Das verwinkelte Auf und Ab der Treppen und Gänge, die einen hier unmerklich von einem Haus in das nächste leiten, bewirkt eine angenehmes Privatgefühl, das man auf Hotelfluren sonst vergeblich sucht. Gefördert wird diese Luxusheimeligkeit noch vom – selbstverständlichen, schweizgemäßen – Top-Service, der hier in aller Stille und ohne goldlivrierte Hundertschaften bestens organisiert ist. Eine große Lobby oder springbrunnige Parkanlagen bietet das „Widder“ nicht. Dafür sehen die Stammgäste, die hier vorfahren, so entspannt aus, als würden sie nur eben mal Daheim einchecken – nicht von ungefähr bekommt man für seinen Aufenthalt im Widder auch eine eigene Visitenkarte mit persönlicher Telefonnummer. Aber dass irgendwo in diesem eleganten Labyrinth noch die beste Whisky-Bar der Schweiz und ein hochdotiertes Restaurant warten, gehört dann eben doch wieder zu den Annehmlichkeiten, die nur ein Hotel bieten kann.

Widder Hotel *****, Rennweg 7, 8001 Zürich-City, Schweiz, Tel 0041 (0) 44 224 2526, www.widderhotel.ch, DZ ab ca. 498 Euro.

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Mit wem hinfahren: Am besten mit jemandem, der immun gegen die fantastischen Auslagen der edlen Schaufenster ist, von denen das „Widder“-Hotel umzingelt wird. Andernfalls mit einer sehr guten Kreditkarte.

Unbedingt: Zeit auf dem Zimmer einplanen. Nur zum Schlafen sind die viel zu schade (und zu teuer).

Welches Zimmer: Ist hier wirklich Geschmackssache, aber 303 bietet nicht nur Fresken aus dem 16. Jahrhundert, sondern hat auch so entzückend schiefe, uralte Fensterstöcke, dass man den ganzen Tag aus diesen Fenstern hinausschauen möchte.

Unbedingt essen/trinken: Worauf alle Zürcher ganz wild sind – die berühmte St. Galler Kalbsbratwurst, die man korrekt nur im „Sternen Grill“ am Bellevue kriegt und zwar pur auf die Hand, mit einem Schälchen superscharfem Senf. Vom Hotel ein Spaziergang von zehn Minuten. Theaterstrasse 22, www.sternen-foifi.ch

Was man im Hotel am liebsten klauen würde: Das wunderbare Robert-Rauschenberg-Gemälde, das hier in einem kleinen Konferenzzimmer hängt. Der Maler bewohnte übrigens längere Zeit die Penthouse-Suite mit Dachterrasse.

Nicht perfekt: Auch als Hausgast bekommt man in der „Widder“-Bar ab 21 Uhr kaum mehr einen Platz.

Shop/Restaurant/Sehenswürdigkeit in der Nähe:
Nicht direkt in der Nähe vom Hotel, aber vor der Bratwurst liegt ein interessanter Laden namens myspace. Jeden der Designklassiker, auf oder neben denen man hier seinen Kaffee trinkt, kann man kaufen.
Hottingerstraße 4, www.myplacedesign.ch