So wie Richelle Careys Leben aussieht, muss sich Martin Luther King die Zukunft Amerikas erträumt haben: Carey ist eine der prominentesten Nachrichtensprecherinnen bei CNN – und sie ist schwarz. Sie lebt in Atlantas teurem Stadtteil Buckhead, geht einkaufen bei Ralph Lauren und Donna Karan und trifft sich nach Feierabend mit Freunden im besten Sushi-Restaurant. (Lesen Sie weiter unterhalb der Bildstrecke)
Was in den Siebzigerjahren undenkbar war, gehört heute zum Geschäftsleben Amerikas wie Internet und Blackberry: Afroamerikaner machen Karriere, leiten Abteilungen oder Unternehmen, verdienen gute Gehälter und schicken ihre Kinder auf prestigeträchtige Schulen. Ist etwas außergewöhnlich daran? Nein – und genau das ist die Sensation. »Ist es etwa typisch weiß, Karriere zu machen, und typisch schwarz, erfolglos zu sein?«, fragte Michelle Obama und brachte damit ein Gefühl auf den Punkt, das vor allem die junge Generation von Afroamerikanern umtreibt: Die hat nämlich keine Lust mehr, sich nur über die Hautfarbe zu definieren. Cornell Belcher, 38 Jahre, Tennisschuhe, Anzug, ist Wahlkampfhelfer von Obama und sagt: »Wir tragen unsere Geschichte nicht mehr anklagend vor uns her, wir sehen die Welt mit anderen Augen als die Bürgerrechtler damals.«
Die modernen Schwarzen betrachten ihren Erfolg als selbstverständlich und begreifen sich nicht mehr als Ausnahme. Vor einigen Wochen hat Quintin E. Primo III, Chef des Hedgefonds Capri Capital, einen Vertrag mit dem Königreich Saudi Arabien unterzeichnet. Zwei Milliarden Dollar wird er investieren, um in der Wüste eine Wissenschaftsstadt zu bauen. »Ich verstehe mich nicht als schwarzer Geschäftsmann, sondern als Geschäftsmann«, sagt er.
162 Schwarze sitzen heute in den Aufsichtsräten der 200 größten Unternehmen des Landes; an der Wall Street dreht sich niemand mehr nach einem schwarzen Broker um und 900000 Afroamerikaner besitzen derzeit eine eigene Firma – sieben Mal so viele wie noch vor dreißig Jahren.
Der Aufstieg der schwarzen Mittelschicht begann in den Achtzigerjahren. Sie nannten sich selbstbewusst »Buppies«, eine Abkürzung für »Black Urban Professionals« – schwarze Yuppies. Vor allem in Los Angeles, Philadelphia und Chicago entstand eine wohlhabende schwarze Mittelschicht, die gebildet war, nach politischem Einfluss strebte und sich genauso wie weiße Amerikaner gern teure Autos und einen exklusiven Lebensstil leistete.
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Die Affirmative Action half ihnen auf ihrem Weg zum Erfolg: 1965 hatte Lyndon B. Johnson das Gesetz verabschiedet, das schwarzen Schulabgängern auch bei zu schlechten Zeugnissen ein Studium ermöglichte – so sollte jahrhundertealte Benachteiligung kompensiert werden. Die Kinder dieser Studenten gingen ebenfalls zur Universität und aus ihnen erwuchs die erste Generation einer schwarzen Upperclass. Tom Bradley, Bürgermeister von Los Angeles, nutzte als erster Politiker diese Entwicklung. Von 1984 an veranstaltete er Spendenpartys nur für schwarze Geschäftsleute. Endlich nahm ein Politiker die Belange von afroamerikanischen Geldgebern ernst – heute eine Selbstverständlichkeit.
Nun könnte Barack Obama – kein Afroamerikaner, sondern Halbafrikaner – bald der erste schwarze Präsident der USA werden. Und plötzlich diskutieren die Amerikaner doch wieder über Rassenfragen – so hitzig wie lange nicht; doch erstaunlicherweise findet die Debatte nicht hauptsächlich zwischen Schwarz und Weiß statt, sondern innerhalb der schwarzen Gemeinschaft: Schwarze Unternehmer unterstützen Obama, weil sie sich von ihm noch mehr Fortschritt erhoffen. Auf der anderen Seite beschweren sich altgediente Bürgerrechtler, Obama benehme sich wie ein Weißer.
Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Jesse Jackson erklärte gar, er würde ihm »am liebsten die Eier abschneiden«. Einst war Jackson ein Vordenker der Schwarzenbewegung und enger Vertrauter von Martin Luther King, nun hört er sich an wie ein alter Mann, der dem jungen Nachfolger den Erfolg neidet. Denn Obama prangert den »Anti-Intellektualismus« vieler Schwarzer an und fordert sie auf, sich mehr anzustrengen, statt über ihre mangelnden Chancen zu jammern.
Viele Schwarze fürchten, Obama wolle die Affirmative Action abschaffen. Er sagt, die habe keinen Sinn mehr im 21. Jahrhundert: »Die Kluft in der Gesellschaft verläuft nicht mehr zwischen den Rassen, sondern zwischen den Klassen. Die reichen Schwarzen und Weißen müssen den Armen helfen. Allen Armen: weiß, schwarz, hispanisch, asiatisch.«
Richelle Carey von CNN fährt nach ihrem Arbeitstag die Peachtree Road von Downtown Atlanta Richtung Norden nach Buckhead. Das Viertel gehört zu den zehn besten Vierteln Amerikas, die Bewohner dort besitzen Mercedes und BMWs, tragen Jeans von JBrand und Saddelites und haben teure Handtaschen über der Schulter hängen. Aber anders als in Beverly Hills oder der Upper East Side sind die meisten Flaneure, die an den Boutiquen der großen Designer entlangschlendern, schwarz. Ihr Stil unterscheidet sich nicht von dem weißer Spaziergänger oder von Geschäftsleuten, der Wunsch sich abzugrenzen ist verblasst. Im Herbst eröffnet hier im Viertel das Luxus-Einkaufszentrum »Streets Of Buckhead« – die Flächen sind ausgebucht.
Scott Schuman (Fotos)