Danke

Wir müssen vor einem Wort warnen, das uns alle täuschen will. Es tut, als sei es besonders höflich. Dabei ist es nichts als eine einzige Unverschämtheit.

Dieser Text muss an der Wursttheke beginnen, weil an der Wursttheke auch das Problem beginnt. Natürlich, wie fast alle Probleme, weit vor dem fünften Geburtstag.

Metzgersfrau: »Magst du eine Scheibe Gelbwurst?«
Kind: Nickt stumm
Metzgersfrau: »Da, schau her!«
Kind: Ist verunsichert, schaut her
Mutter: »Wie sagt man da?«
Kind: Ist verunsichert, sagt: »Danke.«
Mutter und Metzgersfrau: Atmen auf, lächeln selig, sind voll des Lobes

Ein fataler Fehler. Weil das Kind den Eindruck mit nach Hause nimmt: Wer »Danke« sagt, wird gelobt. Wer »Danke« sagt, wird süß gefunden. Wer »Danke« sagt, kriegt Wurst geschenkt. Ein Kind, das auf sich hält, wird das Wort »Danke« jetzt mehrfach täglich benutzen. Warum auch nicht, es klingt ja höflich. Und genau da liegt das Problem. Jeder bedankt sich, dauernd, für alles. Und sehr oft auch für nichts: Danke für Ihre Antwort. Danke für Ihre Bewerbung. Für die Zusammenarbeit, Ihr Interesse, Ihre Aufmerksamkeit.

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Ja, was hätte man denn tun sollen? Sich nicht bewerben? Nicht zusammenarbeiten? Sich die Ohren zuhalten?

Der Grund für die »Danke«-Dauerberieselung liegt nahe: »Danke« ist praktisch. Es passt immer, auch dann, wenn einem nichts Besseres einfällt. »Danke« hilft in jede heikle E-Mail hinein und aus jeder schwierigen Situation hinaus. Mit Dankbarkeit hat dieses »Danke« nur noch die ersten vier Buchstaben gemeinsam, es ist eine leere Hülse, eine Floskel, ein Platzhalter für Worte, die besser passen. Oder, wie es Hans-Michael Klein sagt, Kommunikationsexperte und Vorsitzender der Deutschen Knigge-Gesellschaft: Danke ist ein Ausdruck von Sprachlosigkeit.

Der Sänger Max Raabe beklagte sich einmal in einem Interview über die Angewohnheit von Sängern, sich überschwänglich für Applaus zu bedanken. Das anbiederische »Danke! Danke! Vielen, vielen Dank!« gehe ihm schwer auf die Nerven, sagte Raabe. »Demut wird schnell inflationär. Ich denke dann immer: Die sollen gescheit singen, sich verbeugen und gehen.« Und genau das ist es: Wir benehmen uns, als stünden wir auf einer Bühne und könnten nicht singen.

Die Inflation der Demut komme aus den USA, sagt der Benimm-Experte Hans-Michael Klein. »Danke« stehe in einer Reihe mit »Gern«, »Entschuldigung« und »Schönen Tag noch« – »alles Bausteine in einer Fassade der Freundlichkeit«. Schuld ist die Coaching-Kultur: Wer, statt anzugreifen, einen verbalen Kniefall vollzieht, nimmt seinem Kontrahenten den Wind aus den Segeln – ein alter Trick aus dem Beschwerdemanagement.

Wenn ein Kunde im Discounter sagt, er brauche den Kassenbon nicht, antwortet der Kassierer: »Danke!« In Kaufhausdurchsagen ist an die Stelle von »Frau Meier, zweite Kasse, bitte« ein einziges, langes Wort getreten: »MelanieandieHauptkassebittedanke«. Das können aber nicht nur Kaufhäuser.

Danke, dass Sie hier nicht rauchen.

Danke, dass Sie hier nur 30 fahren. Dass Sie zeitnah antworten. Dass Sie im Sitzen pinkeln.

Wie perfide solche Sätze Anweisungen in eine Ummantelung aus Höflichkeit stecken, ist beinahe schon unverschämt: Sie nehmen das Einverständnis des Empfängers vorweg, ohne überhaupt danach gefragt zu haben. »Alles nur, weil sich jemand nicht getraut hat, eine klare Anweisung zu geben.«

Es geht natürlich auch direkt.

Danke, ich komme zurecht.

Danke, ich habe verstanden.

Danke, habe ich schon gesehen.

Danke, halt die Klappe, und nerv mich nicht.

Vielleicht ist das »Danke« längst kaputt. Verbraucht, ausgeleiert, überstrapaziert. Zeit für die nächste Welle aus den USA: Wenn mein Gegenüber freundlich zu mir ist – was meint es dann wirklich?