Dennis Gassner: Ich sitze am liebsten auf dem Boden, ich bin ein Yogi. (Gassner verschränkt die Beine zum Lotossitz.) Wo wollen Sie sitzen?
SZ-Magazin: Vielleicht auf dem Sofa?
Achtung, das Sofa ist was ganz Besonderes. Darauf saß schon Paul Newman. Ich habe es aus dem Set von Hudsucker – Der große Sprung mitgenommen, dem Film, den ich mit den Coen-Brüdern gemacht habe. Ich habe keine Zeit zum Shoppen, also kaufe ich oft einfach das Filmset.
Sie sind auch der Produktionsdesigner des neuen James-Bond-Films Spectre. Das heißt, Sie bestimmen das Bühnenbild und die Ausstattung. Bei James Bond muss immer alles total cool und hypermodern wirken. Sie dagegen sind gerade vom Hippie-Festival »Burning Man« aus der Wüste mit Ihrem Wohnwagen zurückgekommen, tragen ein Bali-Hemd, leben in einer Villa im spanischen Stil aus dem Jahr 1921 und meditieren täglich. Schon klar, dass Sie nicht wie Ihre Filmgestalten sind, aber James Bond und Sie erscheinen schon wie Gegensätze, oder?
Ja und nein. Ich bin ja nicht nur Produktionsdesigner bei James Bond. Ich habe sehr viele Filme gemacht, die in den Zwanzigern, Dreißigern oder Vierzigern spielen, deshalb lebe ich so. Aber gerade weil ich mich für Geschichte interessiere, für vergangene Zeiten, bin ich Teil der James-Bond-Familie: James Bond gibt es seit über fünfzig Jahren, und in jedem Bond-Film steckt ein Teil dieser langen Geschichte. Dieses Haus ist mein Rückzugsort. Jedes Detail hier hat eine Geschichte. Es geht immer um die Geschichte. Ich designe für die Story.
Ihr Haus sieht tatsächlich aus wie ein Filmmuseum. Ist das da ein Foto von Ihnen am Bond-Set? Neben dem überdimensionalen Drachen?
Ja, das haben wir am Set von Skyfall aufgenommen, am Tag, bevor wir mit Daniel Craig drehten. Ich habe 14 Chinesen eingeflogen, damit sie diese großen Drachen-köpfe aus Seide bauen. Eigentlich wollten wir in Shanghai oder Indien drehen, aber die wollten fünf Millionen Dollar zu viel, weil sie dachten, das ist ein Bond-Film, die haben Kohle. Also hat der Regisseur gesagt: »Dennis, vergiss es, wir gehen nach Istanbul, und du baust Shanghai in Istanbul und in England. Das Geld wächst schließlich nicht auf den Bäumen.«
Wo haben Sie für den neuen Bond-Film Spectre gedreht?
Sam Mendes, der Regisseur, hat gesagt: »Finde heiß und kalt.« Also bin ich gereist und weitergereist und weitergereist, gelaufen, gefahren, gewandert – eine Art nomadisches Suchen. Bis ich heiß und kalt gefunden habe.
Und wo war das?
Das darf ich nicht verraten.
Es ist doch kein Geheimnis, dass »Spectre« auf kalten Ötztaler Gletschern und im heißen Mexiko gedreht wurde.
Da müssen Sie sich den Film anschauen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass wir in »Spectre« den mexikanischen Tag der Toten zeigen.
Also den traditionellen Feiertag, an dem in Mexiko der Verstorbenen gedacht wird. Der wird nicht wie in Europa in Trauerschwarz gefeiert, sondern mit üppigen Masken und farbenprächtigen Kostümen.
Es wird der beste Tag der Toten der Geschichte. Wir müssen jedes Mal versuchen, uns nicht zu wiederholen. Einen Bond-Film zu machen, ist wie einen großen Klum- pen Ton in die Mitte eines runden Tisches zu legen und zu fragen: Was soll es werden? Dann drückt und zieht und formt jeder, bis irgendwann ein Gebilde entsteht.
Was gehört zum typischen Bond-Stil? Wie muss zum Beispiel ein Hotelzimmer aussehen, damit es zu Bond passt?
Na, es muss die Geschichte erzählen, das ist der einzige Punkt. Welchen Stil muss es haben, um die Story zu transportieren? Chic oder romantisch? Die Story gibt mir die Antwort.
Viele Männer wären gern so cool wie Bond. Was also ist für den Bond-Designer cool?
Seine Haltung. Das kann man nicht in einem Laden kaufen. Ist es Armani? Ist es Ford? Das sind doch bloß Etiketten. Cool ist ein Feeling.
Aber wie übersetzen Sie dieses Gefühl in Schauplätze, in Designs, in die richtigen Accessoires?
Bond ist inzwischen eine Sammlung aus 24 Filmen. Da muss es einen Rhythmus und eine Balance geben. Der australische Regisseur Peter Weir, mit dem ich die Truman Show gemacht habe, hat mich gelehrt, musikalisch zu denken. Es ist wie mit Beethovens Fünfter. Wie fange ich an? Das Publikum kommt in einen dunklen Raum, und plötzlich: Da-da-da-daaa! (Gassner trommelt und singt die fünfte Symphonie.) Boom! Weck sie auf, erzeuge Spannung! Die Zuschauer halten ihr Popcorn in den Händen, aber jetzt habe ich ihre Aufmerksamkeit. Und dann lockst du sie … Ta-ta-ta-ta … (Gassner trommelt sanfter und singt leiser.) Das ist die Bewegung. Da gibt es keine große Offenbarung, nur viele kleine Bewegungen, die zusammen eine Symphonie ergeben. Ich kann über Stil und Formen sprechen, aber es geht wirklich um die Musik in meinem Kopf. Das ist kein logischer Prozess, sondern ein emotionaler. Ähnlich wie die Frage: Wie verliebt man sich?
Stimmt es, dass Sie die Ästhetik Ihres ersten Bond-Films Ein Quantum Trost auf Daniel Craigs blaue Augen ausgerichtet haben?
Als wir anfingen, war das Drehbuch noch in der Umarbeitung. Wo fängt man an, wenn die Story noch nicht steht? Ich habe eine Nacht darüber geschlafen, wachte am Morgen auf und wusste: Ich hab’s! Wir fangen mit Daniel an! Warum nehmen wir nicht dieses faszinierende, zerfurchte, schiefe Gesicht mit diesen blauen Augen als Grundlage? Da steckt doch eine ganze Geschichte drin! Also haben wir damit eine symbolische Sprache kreiert: blaues Licht, zerfurchte Landschaften, und ich sagte dem Regisseur: Es muss Wasser vorkommen. Wasser ist das kostbarste Gut, das wir haben. Das war unser Anfang. Bond muss seinen Job erledigen, ich meinen.
Sie haben allerdings etwas, das Bond nicht hat: ein Zuhause.
Doch, er hat eins.
Wie sieht das aus?
Es ist immer ein flüchtiger Ort. Bond hat oft nicht viel Zeit und muss weiterziehen, das ist Teil des Prozesses. Sein Zuhause ist einfach und nicht für die Ewigkeit eingerichtet, mit einigen Schätzen, die er in seiner Laufbahn gesammelt hat und die ihn inspirieren, Fotografien, Kunst. Ich weiß das, weil ich ja immer die Sets ausprobieren muss, um sicherzustellen, dass es für Bond funktioniert. Ich darf immer 007 sein, bevor Daniel Craig es ist.
Arbeiten Sie so? Sie schlüpfen in Bonds Haut?
Ja, in die Haut aller Charaktere. Jeder Charakter muss sein Gleichgewicht finden. Die Charaktere müssen versuchen, Probleme zu lösen, genau wie ich am Set. Hitchcock hat gesagt: Es geht darum, sehen zu lernen. Ich sehe etwas, und es sieht ganz gut aus, aber noch nicht großartig. Wie kann ich es großartig machen? Stimmt es, dass Sie für diese Freiheit eine Football-Karriere ausgeschlagen haben? Ja. Ich sah Lawrence von Arabien und hatte nur eine Frage: Wer hat das gebaut? So was will ich auch bauen!
Da wussten Sie, dass Sie Produktionsdesigner werden wollten?
Das weiß ich seit meinem sechsten Lebensjahr.
Was ist da passiert?
Ich hatte großartige Eltern, die einfach lebten und hart arbeiteten. Als ich fünf war, baute mein Vater unser Familienheim in Oregon mit seinen Händen. Ich bettelte, mitmachen zu dürfen, und er gab mir kleine Jobs: Nägel gerade hämmern, solche Sachen. Da war für mich klar, dass ich Dinge bauen will. Darin liegt Glückseligkeit. Das ist auch Bonds Charakter. Er stellt sich der Herausforderung und findet die beste Lösung. Aber es ist unheimlich erschöpfend. Ich habe eineinhalb Jahre lang nichts anderes gemacht, als an Spectre zu arbeiten, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.
Hilft Ihnen Ihre tägliche Meditation bei der Suche nach den richtigen Bildern?
Mein Prozess ist die Summe aller meiner Teile. Ich habe bei Francis Ford Coppola mit Apocalypse Now als Assistent angefangen, indem ich einfach zuhörte. Das ist das beste Training der Welt. Wie findet man den Weg? Da ist eine Saat, lass sie wachsen, und wir sehen, was daraus wird.
Wäre es denkbar, dass Bond Yoga macht?
Klar.
Er wirkt nicht wie jemand, der sich dafür Zeit nähme.
Vielleicht in seiner Freizeit. Im Film wird er übel zugerichtet. Warum, glauben Sie, sieht er trotzdem immer wieder so gut aus?
Foto: Chris McPherson