Wie Sammeln Leiden schafft

Nein, wir möchten keine Herzchen und erst recht keine Bonuspünktchen! Wir wollen nur bezahlen. Doch das ist gar nicht mehr so einfach.

Kürzlich in Berlin beim Jeanskaufen: Das Personal bietet als verkaufsfördernde Dreingabe eine Packung Kondome an. Der Kunde lehnt dies ab, weil man eben im Jeansladen Jeans und keine Kondome will, auch nicht geschenkt. Die Konsequenz der Jeansverkäuferin besteht nicht etwa darin, sich aufs Jeansverkaufen zu beschränken. Ob der Kunde dann wenigstens ein Eis wolle, fragt sie. Er bleibt beim Nein. Schließlich wäre er ansonsten in eine Eisdiele gegangen, wo er im übrigen Wert darauf gelegt hätte, zum Eis keine Jeans angeboten zu bekommen. Aus der Episode zu lernen, dass man in Berlin besser keine Jeans kauft, wäre zwar nicht falsch, aber dennoch zu kurz gedacht. Es geht um mehr. Oder besser: um weniger. Darum, dass weniger kostenlos und unaufgefordert beigegebener Krimskrams aller Art mehr wäre: mehr Platz in unseren Einkaufstüten, Geldbörsen und Schubladen. Denn es wird eindeutig immer schwieriger, ein Geschäft nach dem Bezahlen nur mit dem Produkt seiner Wahl und nichts anderem zu verlassen. Wer in der Parfümerie seinen üblichen Duft kauft, findet im Anschluss in der Tragetasche sicher vier weitere Pröbchen, die die Jahre bis zum nächsten Umzug in einer vergessenen Ecke im Bad verstauben werden. Wer im Lebensmittelladen an der Kasse steht und nichts will, als seinen Wochenend-einkauf zu bezahlen und zu verstauen, wird mit einem Wortungetüm entlassen: »Sechsunddreißigachtundneunzigsammelnsieherzen?« Und schon hat man ein halbes Dutzend selbstklebender und sinnfreier Herzchen-Aufkleber im Geldbeutel. Die lassen sich – die alte Rabattmarkennummer – sammeln und irgendwann gegen etwas eintauschen, was man auch nicht braucht. Kaum ein Handyvertrag, der einem online angeboten würde ohne eine Playstation Portable als Zugabe oder auch einen CD-Player, in dem die Frau des Hauses dann beispielsweise ihre CD mit Sommersongs abspielen kann, die wiederum gerade ihrer Lieblingszeitschrift beiliegt. Ihr Liebster vergnügt sich so lange mit dem Minifußball, den es gleich um die Ecke als Dreingabe für zwei Flaschen Herrenshampoo gibt. Demnächst ziehen beide in ihr neues Häuschen, zu dem ihnen die Baufirma zwei WM-Karten gratis dazu- gab. Wenn sie sich für eine neue Küche bei Alno entscheiden, haben sie noch mal die Chance auf ein Ticket. Diese Beispiele sind leider alle wahr, ebenso wahr wie die Tatsache, dass all diese Dinge ja keine Geschenke sind, sondern nur so tun, als ob. In Wahrheit bezahlen wir all den Quatsch, den wir nicht wollen, natürlich mit, durch Preisaufschläge an anderer Stelle. Noch frustrierender ist dann lediglich die Erkenntnis, dass die ganze Sache auch noch funktioniert. Würde es den Firmen nichts bringen, den Kunden etwas zu »schenken« oder wenigstens diesen Eindruck zu erwecken, dann würden sie es auch nicht tun. Wer das nicht glaubt, der muss es nur einmal schaffen, an der Supermarktkasse das Herzchenangebot zurückzuweisen. Sofort wird sich eine Stimme aus der Schlange hinter ihm zu Wort melden: »Tschuldigungkönntichvielleichtihreherzenhaben?« Früher gab es einmal eine Zugabeverordnung, die viele solcher Auswüchse verbot. Sie stammte noch aus der Weimarer Republik und ihre Abschaffung wurde 2001 als überfälliger Schritt im Kampf gegen Bürokratie und Wachstumshemmnisse gefeiert. Heute wissen wir, was wir an ihr hatten, und sind dabei ganz anderen Herausforderungen ausgesetzt. Denn längst schon hat das Zugabeprinzip ganze Produkt-familien von innen heraus verändert. Dass ein Handy auch filmt, wundert niemanden mehr, oder dass ein Computer Musik abspielt. Nun aber fangen die Autoradios an, zugleich DVD-Player sein zu wollen, mit einem integrierten Minibildschirm, Handys werden unterdessen Navigationssystem und demnächst wird man sich mit dem iPod anrufen. Spätestens dann, wenn sie uns ein Handy anbieten, mit dem man »auch telefonieren« kann, wissen wir, dass sich der Kreis geschlossen hat. Bis dahin noch eine Anmerkung in eigener Sache: Als aufmerksamem Leser ist Ihnen vermutlich nicht entgangen, dass der Süddeutschen Zeitung seit geraumer Zeit immer freitags ein so genanntes Magazin beiliegt. Wir hoffen, dies sagt Ihnen zu. Es ist als Geschenk an Sie gedacht, kostet Sie nichts und bereitet Ihnen hoffentlich viel Freude.