Markus
Zu Beginn unserer Beziehung, als ich überlegt hatte, ob ich Muslim werden will, habe ich mich sehr alleine gefühlt mit all den Fragen, die sich mir plötzlich gestellt haben. Bis auf Mirza, meinen muslimischen Freund aus Indien, hatte ich niemanden, mit dem ich darüber sprechen konnte. Keiner meiner Freunde konnte nachvollziehen, was in mir vorging, es war ein Prozess, den ich mit mir alleine ausgemacht habe. Ich habe versucht, ein paar Freunden davon zu erzählen. Aber die haben immer nur gelacht und abgewunken. Die haben das nicht so ernst genommen, die hielten das mit der Konvertierung für Spinnerei und dachten sich: »Der wird schon eine andere Frau finden.«
Heute kennen wir einige algerische Familien, mit denen wir auch islamischen Feste zusammen feiern, und ich habe zwei Kollegen, die Muslims sind. Auch wenn ich nicht so gläubig bin wie sie, gibt es ein Bündnis zwischen uns: Wenn die anderen aus dem Team blöde Sprüche bringen, pseudo-lustige Sex-Videos im Büro rumschicken oder sich so verhalten, dass gläubige Muslime es als unsensibel oder vulgär empfinden, wissen diese Kollegen: Das würde ich ihnen gegenüber nie machen. Damals gab es aber in meinem Freundeskreis außer Mirza keinen einzigen Muslim. Darum war es für mich eine große Entscheidungshilfe, als ich Selmas Freunde in Algerien kennenlernen konnte. Die mochten mich sofort und ich mochte sie. Wir haben zusammen gefeiert, wir waren zusammen tauchen… Und ich habe gesehen: Die sind ja gar nicht so anders als meine Freunde. Das hat mir sehr dabei geholfen, dass ich mir vorstellen konnte, zum Islam zu konvertieren.
Selma
Ich habe zunächst niemandem erzählt, dass Markus überhaupt existiert. Mein Vater hätte mich jetzt nicht getötet oder so, aber er hätte mir verboten, Markus zu sehen, meine Eltern hätten mich streng kontrolliert. Und ich war ja auch schon alt, über 30! Ab 20 gilt man in Algerien schon als alte Jungfer. Meine Freundinnen und Schwestern waren allesamt längst verheiratet. Nur ich hatte immer meinen Dickkopf. Meine Eltern haben öfters mal Männer für mich ausgesucht, da kam dann die Mutter des Mannes zu uns ins Wohnzimmer und hielt um meine Hand an. Aber ich habe immer Nein gesagt.
Markus
Meinen Eltern habe ich gar nicht erzählt, dass ich vorhabe zu konvertieren und in Algerien zu heiraten. Ich habe sie nur kurz vorher angerufen und gesagt: »Wir feiern hier Verlobung.« Ich habe befürchtet, dass sie versuchen würden, mir die Konvertierung auszureden.
Selma
Meine Eltern lieben Markus nun, nachdem er Muslim ist. Ihnen ist es – anders als mir – auch egal, wie gläubig er wirklich ist. Es geht ihnen vor allem darum, dass alles so ist, wie es sich gehört. Am meisten aber liebt ihn meine Oma…
Markus
Als ich damals, nach der Konvertierung, zu Selma nachhause fuhr, gab sie mir die Anweisung: »Kauf meiner Oma einen Blumenstrauß, gib ihr einen Kuss auf den Kopf und sage: Hadja.« Hadja ist eine Ehrenbezeugung. Das habe ich gemacht. Ich war so erleichtert, die Konvertierung hinter mich gebracht zu haben, in diesem Moment hätte ich die ganze Welt küssen können! Da fand sie mich sofort wundervoll – und findet mich bis heute wundervoll, obwohl sie mich nur dieses einzige Mal gesehen hat und wir kein Wort miteinander reden konnten. Selmas Familie ist so herzlich und unkompliziert. Es ist nur schade, dass die Kommunikation manchmal schwierig ist, weil ich kaum Französisch kann und Selmas Mutter und Schwestern kein Englisch sprechen.
Selma
Markus' Mutter hat es sich einfach gemacht: Sie hat von Anfang an nur Deutsch mit mir gesprochen, auch, als ich noch gar kein Deutsch konnte. Hat mir seitenlange E-Mails geschrieben, aus ihrem Leben erzählt, gefragt, wie die Hochzeitsvorbereitungen laufen… Da war ich froh, dass es Google Translator gibt.
Vielleicht hat sie das auch ein bisschen aus Protest gemacht, um zu zeigen, dass sie ihre Vorbehalte gegenüber unserer Beziehung hatte. Zu Beginn war sie sehr skeptisch, weil sie befürchtet hat, dass ich ihr den Sohn wegnehme, dass wir nach Algerien ziehen könnten. Aber in Algerien sagt man: Die Schwiegermutter ist wichtiger für eine Frau als der Ehemann. Als sie das gehört hat, war sie glücklich! Das ist in Algerien ganz traditionell, nach der Eheschließung gehört eine Frau zur Familie des Mannes. Man wohnt im selben Haus, verbringt viel Zeit miteinander – mehr als mit dem Mann selbst. Heute verstehen meine Schwiegermutter und ich uns sehr gut, wir sind wie Freundinnen, gehen zusammen shoppen oder mal einen Kaffee trinken.
Auch mit meinem Schwiegervater war es am Anfang nicht leicht. Als wir bei meinen Schwiegereltern gewohnt haben, hat er mal versucht, meinem Sohn heimlich Schweinefleisch auf den Teller zu legen. Das fand ich nicht in Ordnung. Ich glaube aber, er wollte sich mit solchen Aktionen einfach ein wenig abgrenzen von all den fremden Bräuchen um ihn herum.
Markus
Unsere Eltern waren zuerst total euphorisch, einander kennenzulernen – obwohl unsere Mütter bis heute kein Wort miteinander wechseln können. Ich habe mit meinen Eltern Selmas Familie besucht, wir haben noch nicht mal ein Hotelzimmer genommen, weil meine Eltern meinten: »Wir sind doch eine Familie, wir können alle in einem Raum schlafen!« Als Selmas Eltern uns dann besucht haben, waren sie zusammen im Fußballstadion, Selmas Vater war mit meinem Vater Holz hacken.
Irgendwann wurde es meinem Vater aber zu viel. Zu viel Besuch, zu viele fremde Bräuche… Es gab keinen offenen Streit, aber mein Vater hat das deutlich gezeigt, sich zurückgezogen und sich einfach nicht mehr so um sie bemüht. Gerade unsere Väter sind sehr, sehr unterschiedlich. Mein Vater ist der typische Schwabe, der immer am Schaffen ist, immer irgendwo herumwerkelt, immer irgendwas zu tun braucht. Auch das ist vielleicht ein kultureller Unterschied: Selmas Vater wie auch ihr Bruder machen es sich gerne mal gemütlich. Können sehr gut relaxen, einfach mal herumhängen, lange schlafen. Sowas treibt meinen Vater in den Wahnsinn!
Heute ist das Verhältnis zwischen unseren Eltern distanziert, aber in Ordnung. Meine restlichen Verwandten lieben meine Frau sowieso. Sie haben sie kennengelernt, wie sie eben ist – fürsorglich, warmherzig, hilfsbereit. Immer dabei, wenn es darum geht, eine Feier zu organisieren, sich zu kümmern, etwas zu kochen oder zu backen. Sie haben Selma einfach als Person derart in ihr Herz geschlossen, dass religiöse und kulturelle Fragen völlig nebensächlich wurden.
Selma
Markus' Onkel ist ein alter Mann und ein typischer Schwoob – aber trotzdem lieb. Der hat uns Kaninchen serviert, als wir ihn besucht haben, und meinte gleich zu mir: »Mach dir keine Sorgen, ich habe persönlich dafür gesorgt, dass halal geschlachtet wurde!« Das ist gar nicht so selbstverständlich. Die Leute wissen zwar: Muslime essen kein Schweinefleisch. Darüberhinaus denken aber die wenigsten mit.
Markus
Mit Selmas Geschwistern ist das Verhältnis gemischt. Selmas Bruder ist dreizehn Jahre jünger, wohnt noch bei den Eltern und kommt uns öfter mal für mehrere Wochen besuchen. Er liebt Deutschland und kann auch ein paar Brocken Deutsch. Bei unserer Hochzeit in Algerien hat er gleich seine Gitarre ausgepackt und die deutsche Nationalhymne gesungen. Sämtliche Strophen – auch die erste! Ich weiß ja, wie er drauf ist, er ist macht sich bei so etwas nicht so viele Gedanken. Darum fand ich das eher lustig. Hätte er dasselbe in Deutschland gemacht, wäre es natürlich peinlich geworden.
Selma
Mit meiner älteren Schwester hingegen ist unser Verhältnis inzwischen sehr schwierig. Ihr Mann ist extrem streng und extrem strenggläubig. Er hat mich bei unserer Hochzeit in Deutschland mit einem Glas Wein und einer Zigarette in der Hand erwischt. Meine Schwester war damals hochschwanger, aber er hat darauf bestanden, dass sie noch mitten in der Nacht abreisen. Seitdem hat er ein Besuchsverbot ausgehängt, meine Schwester und ihre Kinder dürfen nicht mehr zu uns kommen. Einmal wollten wir sie besuchen, hatten den TGV schon gebucht gehabt und plötzlich hieß es: »Ihr dürft aber nicht bei uns übernachten.« Da sind wir eben nicht gefahren.