Schwäbisch für Anfänger

Aus Liebe ist Markus zum Islam konvertiert und Selma ist nach Schwaben gezogen. Sie backt Kuchen für den Dorf-Flohmarkt, trifft sich mit Frauen zum Sport und wundert sich nur, wenn die Nachbarin mal wieder Dosenwurst mitbringt. Folge 3 von »Muslim aus Liebe«.

Im Dorf ist Selma sehr verwurzelt. Nur dass sie ihren Glauben kaum in Gemeinschaft ausleben kann, bekümmert sie.

Selma
Für mich war klar: Wenn Markus bereit ist, Muslim zu werden, ziehe ich zu ihm nach Deutschland. Ich hätte nie von ihm erwartet, dass er sein Leben und seinen Job aufgibt und nach Algerien kommt. Ich hatte zwar auch einen guten Job zuhause, als stellvertretende Abteilungsleiterin in einer großen Firma. Ich hatte meine Freunde, meine Familie … Aber in unserer Kultur ist das eben so: Die Frau folgt dem Mann. Markus hat das oft als Tausch unserer Liebesbeweise bezeichnet. Er nimmt die fremde Religion an, dafür verlasse ich meine Heimat. Beides war nicht leicht. Aber wir haben es nie bereut, weil wir nur dadurch zusammen sein können – und das ist es alles wert.

Ich konnte ja auch überhaupt kein Deutsch, Markus und ich haben uns immer auf Spanisch verständigt. Doch um nach Deutschland ziehen zu dürfen, musste ich erst eine Sprachprüfung ablegen. Ich habe gelernt und gelernt, Deutsch konnte ich am Ende des Kurses immer noch nicht – aber die Prüfung habe ich bestanden. Danach mussten wir fünf Monate warten, bis mein Visum genehmigt wurde. Ich kam im Mai 2013 hier an und zwei Wochen später fand unsere deutsche Hochzeit statt. Für algerische Verhältnisse war das eine ganz kleine Hochzeit, in Algerien feiern normalerweise 400 oder 500 Leute. Bei uns waren es immerhin gut hundert Gäste, weil Markus‘ Bruder ein paar Tage vorher meinte: »Ach, wie cool, ihr heiratet, da machen wir doch mit.« So wurde es eine schwäbisch-algerisch-italienische Doppelhochzeit.

Das Schwierigste war, einen passenden Catering-Service zu finden. Wir wollten unser eigenes Fleisch mitbringen, das wir beim Metzger halal gekauft haben, und baten darum, dass nur dieses Fleisch verarbeitet wird. Vielen Catering-Firmen war das zu umständlich oder unlukrativ. Erst nach langem Suchen haben wir einen hilfsbereiten Caterer gefunden. Meine Mutter hat zudem einen ganzen Ballen Koriander mitgebracht, um sicherzustellen, dass die Speisen typisch algerisch schmecken. Es gab einen wunderbaren Mischmasch aus Suppe, Lamm, Pizza und Spätzle.

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Und es gab zahlreiche schwäbische Traditionen. Zum Beispiel mussten wir Brautpaare plötzlich einen Baumstamm durchschneiden, da dachte ich nur: »Wozu das denn jetzt?« Ich habe mich etwas fremdbestimmt gefühlt bei unserer Hochzeit. Es waren so viele Leute da, die ich nicht kannte, so viele Bräuche, von denen ich noch nie gehört hatte… Es war schön, aber es fühlte sich nicht an wie meine eigene Hochzeit.

Doch wir haben auch einige algerische Traditionen untergebracht. Irgendwann legte mein Bruder algerische Lieder auf, da ging die Feier erst richtig los. Wir hatten auch Henna für die Gäste. Viele wollten diese filigranen Muster gemalt bekommen, aber das machen nur die Deutschen. Haben sie wohl in irgendwelchen Urlauben gelernt. Bei uns gibt’s einen Klecks auf die Hand und fertig.

Und ich habe drei Mal meine Kleidung gewechselt: ein Kleid fürs Standesamt, einen Kaftan fürs Essen und für den Abend einen Anzug ganz in Gold. Markus hat gewitzelt, dass er mich bei unserer algerischen Hochzeit schon nicht sehen durfte und bei unserer deutschen auch nicht, weil ich mich ständig umgezogen habe. Aber in Algerien wechselt die Braut ihr Kleid sogar sieben Mal – ich habe mich also ziemlich zurückgehalten.

Danach haben wir ein Jahr lang in einer Wohnung gewohnt. Als wir dann versucht haben, ein Kind zu bekommen, sind wir zu Markus‘ Eltern gezogen sind, um Geld für unser eigenes Häuschen zu sparen.

Zwischen meinen Schwiegereltern und mir kommt es oft zum Kulturclash. Weil wir in Deutschland leben, ist es mir besonders wichtig, den muslimischen Alltag in unserem Leben zu verwurzeln. Ich bin manchmal traurig, wenn sie dieses Bedürfnis nicht ernst nehmen. Zum Beispiel würde ich mich freuen, wenn wir uns an islamischen Festen wie Eid ul-Adha, dem Opferfest, als Familie zuhause versammeln, so wie wir es auch in Algerien tun. Diesen Wunsch haben sie lange Zeit ignoriert und sind stattdessen ins Kino gegangen. Inzwischen zeigen sie mehr Verständnis und gratulieren mir sogar an hohen islamischen Festen.

Ein anderer Streitpunkt ist das Beten: Wir beten vor dem Essen – das lernt Fares im Kindergarten natürlich nicht, darum lege ich Wert darauf, dass wir das daheim konsequent durchziehen. Als wir bei meinen Schwiegereltern gewohnt und sie das mitgekriegt haben, schauten sie immer kritisch.

Ich bete mit Fares auch vor dem Schlafengehen. Manchmal hat er keine Lust, er bekommt ja mit, dass die meisten seiner Freunde aus dem Kindergarten das nicht tun. Aber ich sehe an meiner Nichte in Algerien, was er hier alles verpasst. Meine Nichte lernt alle Gebete im Kindergarten, bekommt dort auch den Koran vorgelesen. Nachmittags geht sie in eine Koranschule, die zur Moschee gehört. Ich muss mich um die religiöse Erziehung meiner Kinder ganz alleine kümmern.

Markus und Selma mit ihren Kindern Samy (6 Monate) und Fares (4) heißen eigentlich anders. In einer neuen Serie erzählen sie von ihrem Eheleben in der schwäbischen Provinz: von Vorurteilen und Toleranz, von muslimischen Festen und warum sie an Weihnachten trotzdem »Stille Nacht« singen. Und wie sie es schaffen, inmitten der Debatten um Integration, Rechtsruck und Feminismus ihren ganz eigenen Weg zu gehen. Hier geht es zu Folge 1 und Folge 2.

Ab und zu fühle mich einsam mit meiner Religion, weil ich auch gerne mal in eine Moschee gehen würde. Die wenigen Moscheen im Umkreis gehören zu türkischen Gemeinden, dort werden die Gottesdienste auf Türkisch abgehalten und sie haben auch andere Gebete als wir. Die nächste algerisch-arabische Moschee ist vierzig Minuten von uns entfernt. Natürlich, die Strecke wäre schon machbar. Aber unsere Söhne dürften ja gar nicht mit mir den Gottesdienst besuchen, ihr Vater müsste sie mitnehmen. Und dafür müsste der erstmal selbst in die Moschee gehen… Das will Markus aber nicht, obwohl ich es mir sehr wünschen würde – er sagt, er würde sich unwohl fühlen, allein mit den Kindern im Gottesdienst. Ich glaube, es ist ihm einfach nicht wichtig genug.

Ich werde wehmütig, wenn mir bewusst wird, wie kompliziert es ist, meinen Glauben hier zu leben, ihn meinen Kindern zu vermitteln; wie viel von dem, was ich in Algerien als selbstverständlich hingenommen habe, hier täglich auf der Strecke bleibt. Ich bin ebenso gläubig wie früher, Allah ist mir genauso wichtig wie immer. Aber die Ausübung der Religion kommt in unserem deutschen Alltag leider oft zu kurz, ich muss viele Abstriche und Kompromisse machen.

Trotzdem bin ich alles in allem glücklich in unserem kleinen Dorf. Seit zwei Jahren leben wir ein paar Orte entfernt von meinen Schwiegereltern und diese Distanz tut uns gut. Wenn Samy etwas größer ist, möchte ich auch endlich wieder arbeiten.

In unserem eigenen Heim haben uns wir hier gemütlich eingerichtet, sind auf den ersten Blick nicht von der typischen schwäbischen Familie zu unterscheiden. Wir haben ein hübsches Häuschen, einen Garten, wir fahren eine klassische Familienkutsche … Und zum Glück haben wir eine große Küche! Ich koche sehr gerne, ein Fünf-Gänge-Menü an einem gewöhnlichen Dienstagmittag ist für mich völlig normal. Oft koche ich algerisch, lasse mir von meinem Bruder Fladenbrot und Gewürze schicken. Ich mache aber auch Markus‘ schwäbische Leibgerichte, selbstgemachte Spätzle zum Beispiel. Er hat mir gezeigt, wie das geht – inzwischen kann ich es besser als er!

Auswärts essen ist schwierig, weil man sich nie darauf verlassen kann, dass kein Schweinefleisch dabei ist. Markus isst auf seiner Arbeit selten in der Kantine, meistens nimmt er etwas mit. Auch Fares bekommt sein eigenes Essen im Kindergarten. Im Moment ist er kein großer Esser, Fleisch mag er ohnehin nicht so gerne. Seine Freunde wissen aber Bescheid: »Gell, du isst ja kein Schweinefleisch!« Kinder kapieren das schnell, viel schneller als die Erwachsenen.

Überhaupt, das Fleisch, das ist immer wieder ein leidiges Thema. Die Regeln sind ja ganz simpel: kein Schweinefleisch und nur Fleisch, das halal ist. Trotzdem ist das für viele Leute so schwierig zu verstehen. Unsere Nachbarn laden uns häufig zum Grillen ein, die Frau arbeitet in einer Metzgerei. Ich sage immer: »Wir kommen gerne, aber wir bringen unser eigenes Fleisch mit.« An Weihnachten waren sie bei uns zu Besuch und haben uns einen riesigen Haufen Dosenfleisch geschenkt. »Ja, wir wissen ja, du isst unser gutes Fleisch nicht, aber für den Markus…« Sie haben immer noch nicht kapiert, dass wir beide Muslime sind.

Die meisten hier im Ort nehmen uns nicht als muslimische Familie wahr, sondern denken: Das ist der Schwabe mit seiner muslimischen Frau. Wenn ich erzähle, dass Markus den Ramadan einhält, kriegen sie sich vor Verwunderung nicht mehr ein. »Hä, was, wieso macht der das?« Und dann kommen die Mitleidsbeteuerungen: »Das muss aber schwierig für ihn sein…« Ja, er muss das ja nicht machen! Ich bin doch nicht die böse Muslima, die ihn zwingt.

Aber die Leute wundern sich nicht nur, dass Markus Muslim ist, sie wundern sich auch über mich. »Du bist so unglaublich integriert!«, sagen sie zu mir. Ich habe meine Gruppe an älteren Frauen, mit denen ich zum Gymnastikkurs gehe. Wir sind eine richtige Clique und treffen uns auch abends einfach mal zum Quatschen. Im Dorf kann ich nicht einkaufen gehen, ohne dabei ständig Leute zu treffen. Viele habe ich durch den Sportverein kennengelernt, aber ich bin auch sonst überall dabei, wo was los ist im Dorf. Ich backe Kuchen für den Flohmarkt, ich helfe mit, Dorffeste zu organisieren, ich lade unsere Nachbarn zum Kaffee ein…

Mir ist es sehr wichtig, dass wir zur Dorfgemeinschaft gehören. Wenn ich mit Markus unterwegs bin, tut er manchmal genervt, weil ich so oft stehenbleibe und grüße und Small-Talk halte. Aber ich weiß genau: In Wahrheit freut er sich darüber, dass es mir hier gut geht. Nur einmal jährlich, da fliegen die Fetzen zwischen uns, im Ramadan.