»Ich hatte mich auf die klassische Versorgerrolle eingestellt«

Folge 6 von »Muslim aus Liebe« handelt davon, wie Markus plötzlich feststellte, eine sehr emanzipierte Frau geheiratet zu haben und wie Selma das Problem gelöst hat, islamische Vorschriften für Frauen zu umschiffen.

Ein gutes Verhältnis zu ihren Nachbarn ist Selma wichtig.

Markus
Ich liebe meine Frau, wie sie ist. Ich liebe sie als Algerierin, ich liebe sie als Muslima und ich liebe sie einfach als Selma. Aber als ich Selma kennengelernt habe, als Frau, die sehr, sehr gerne kocht und sich um den Haushalt kümmert… da habe ich insgeheim schon ein wenig gehofft, dass wir eine Ehe führen werden, wie ich sie von meinen Eltern kannte. Traditionell. Meine Mutter hat sich um uns Kinder und den Haushalt gekümmert, mein Vater hat gearbeitet. Wenn er heimkam, genoss er seinen Feierabend – er hat höchstens noch den Rasen gemäht. Ich bin davon ausgegangen, dass sich die Geschlechterrollen in Algerien und in unserem schwäbischen Dorf irgendwie ähneln. Das ist aber absolut nicht so. Die Frauen dort sind sehr dominant, auch Selmas Mutter oder Selmas Tante. Die beziehen die Männer gnadenlos in den Haushalt ein!

Selma
Was heißt hier, dass wir die Männer gnadenlos einbeziehen? Das ist ja wohl genauso gut euer Haushalt, eure Familie! Es stimmt schon, es gibt in Algerien heute verschiedene Familienmodelle, wie in Deutschland und sogar bei den Schwaben ja auch. Meine Schwester zum Beispiel ist nicht sehr emanzipiert, mein Schwager besteht auf die traditionellen Rollen und das ist für sie auch in Ordnung. Aber generell ist es so, dass die Frauen in Algerien genauso arbeiten gehen wie die Männer. Und dass dann natürlich Haushalt und Kinderbetreuung gerecht aufgeteilt werden.

Ich kümmere mich in unserer Familie momentan mehr um Haushalt und Kinder, weil Markus arbeitet und ich nicht. Das hat sich leider so ergeben: In meiner ersten Zeit in Deutschland musste ich ja zunächst Deutsch lernen, dann wurde ich mit Fares schwanger. Danach bin ich auf Jobsuche gegangen, aber bevor ich etwas finden konnte, wurde ich mit Samy schwanger. Trotzdem ist es mir wichtig, dass ich, wenn die Kinder größer sind, auch in Deutschland wieder arbeiten werde, nicht nur Hausfrau und Mutter bin. Und: Markus arbeitet nur Teilzeit, achtzig Prozent, und daheim ist es mit den zwei kleinen Kindern gerade wirklich stressig. Samy geht ja auch noch nicht in die Kita. Wenn Markus nachhause kommt, muss er genauso anpacken wie ich. Er muss ja nicht unbedingt kochen, das mache ich tatsächlich sehr gerne. Wenn er will, kann er sich an richtig »männlichen« Aufgaben in Haus und Garten ausleben – Hauptsache, er macht irgendwas.

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Markus
Ich kümmere mich ja auch gerne um die Kinder. Aber da trafen eben anfangs meine Erwartungen im Kopf mit der Realität zusammen. Ich hatte mich auf die klassische Versorgerrolle eingestellt – und war auf einmal selbst in Haushalt und im Job gefordert. Was ich sagen will: Es geht in muslimischen Ehen viel weniger Macho-haft zu, als man denkt.

Selma
Machos gibt es unter muslimischen Männern schon, die meisten algerischen Frauen mögen das, glaube ich, sogar. Ich finde es seltsam, wie brav und schüchtern die deutschen Männer sind. In Algerien werde ich ständig von Männern angesprochen, egal, ob mein Ehering weithin leuchtet oder ich meinen Sohn an der Hand halte. Manchmal kommt nur ein Spruch, manchmal will auch jemand meine Telefonnummer. Übergriffig finde ich das nicht. Ich fühle mich attraktiver, wenn das passiert, ich sehe es als Teil unserer Kultur.

Markus
Mich juckt das nicht, dass Selma in Algerien ständig angebaggert wird. Ich weiß, dass ihr die Komplimente schmeicheln, aber ich weiß auch, dass ich mich nicht bedroht zu fühlen brauche. Ich bin eben eher schüchtern – und froh, meine Frau gefunden zu haben und mich nicht mehr in diese Flirthölle stürzen zu müssen. So streng, wie der Islam zu den Frauen ist – da gönne ich es meiner Frau, in Algerien ein wenig Spaß zu haben.

Markus und Selma mit ihren Kindern Samy (6 Monate) und Fares (4) heißen eigentlich anders. In einer neuen Serie erzählen sie von ihrem Eheleben in der schwäbischen Provinz: von Vorurteilen und Toleranz, von muslimischen Festen und warum sie an Weihnachten trotzdem »Stille Nacht« singen. Und wie sie es schaffen, inmitten der Debatten um Integration, Rechtsruck und Feminismus ihren ganz eigenen Weg zu gehen. Hier geht es zu allen bisherigen Folgen.

Selma
Natürlich gibt es im Islam viele Verbote für Frauen. Aber ich habe für mich eine moderne Interpretation gefunden, mit der ich sehr gut zurechtkomme. Und ich passe mich den Gegebenheiten an. In Algerien ist es zum Beispiel nicht ausdrücklich verboten, sich am Strand im Bikini zu zeigen. Während des Ramadans wäre das aber eine große Provokation, darum verzichte ich in dieser Zeit darauf. In Deutschland ziehe ich meinen Bikini an, wann ich will, da stört es ja keinen. Ich betrachte die Regeln und überlege für mich: Kann etwas Böses daraus entstehen, wenn ich es trotzdem tue? Wenn ich keinen Schaden darin erkenne, halte ich mich nicht an die Verbote. Zum Beispiel beim Thema Kopftuch: Eine muslimische Frau sollte sich eigentlich nur vor ihrem Mann, Bruder oder Vater ohne Kopftuch zeigen. Und sie sollte einem Mann, der nicht ihr Mann ist, nicht die Hand geben oder mit ihm allein in einem Raum sein, um die Männer davor bewahren, dass unerwünschte erotische Gefühle hochkochen. Das ergibt ja durchaus Sinn: Wenn man es vermeidet, mit einem fremden Mann alleine in einem Raum zu sein, ist man auf der sicheren Seite, so dass es gar nicht zu einer außerehelichen Affäre kommen kann. Da ich bei mir selbst aber darin keine Gefahr sehe, mache ich es trotzdem. Und trage bislang auch das Kopftuch nicht. Ich befolge nur das, was mir für mich in meiner aktuellen Lebenslage sinnvoll erscheint. Dass es diese Verbote im Islam gibt, stört mich nicht. Jede Regel im Islam hat ihren Grund oder ihre historische Begründung.

Markus
Wenn meine Frau mit einem Mann in einem Raum ist, ohne Kopftuch, im Sommer vielleicht in einem kurzen Rock oder im T-Shirt – und wenn der sich dabei etwas Sexuelles denkt, dann ist das weder ihre Schuld noch ihr Problem.

Ich betrachte den historischen Hintergrund solcher Vorschriften und übertrage diese dann auf die heutige Zeit. Männer dürfen Frauen nicht die Hand geben, weil Prophet Mohammed Frauen die Hand nicht gereicht hat, Männern aber schon. Das kann man auch als Ausdruck von Respekt gegenüber Frauen deuten oder als Schutz vor Ehebruch. Dieses Berührungsverbot sollte man aber, finde ich, der jeweiligen Kultur und Situation anpassen. Ein muslimischer Kollege von mir hat das sehr elegant gelöst. Im privaten Umfeld vermeidet er den Hautkontakt mit Frauen, im beruflichen Kontext aber nicht, weil er weiß, dass seine Kolleginnen es befremdlich oder sogar respektlos finden würden, wenn er ihnen nicht die Hand gibt.

Würde meine Frau jetzt plötzlich ein Kopftuch tragen wollen, würde dies unseren Alltag momentan sehr viel komplizierter machen. Sobald wir überraschend Besuch bekämen, müsste sie sich erstmal schnell verstecken und das Kopftuch suchen. Wenn das aber ein Prozess ist, der sich im Laufe der Jahre entwickelt, habe ich kein Problem damit – wenn wir im Vorfeld Gespräche dazu führen und sie mich in ihre Entscheidung, das Kopftuch zu tragen, mit einbezieht, nicht plötzlich damit überrumpelt. Sie hat auch schon angekündigt, dass sie irgendwann vielleicht ein Kopftuch tragen möchte.

Selma
Im Moment denke ich nicht so viel darüber nach. Ich lebe in Deutschland, ich möchte hier irgendwann arbeiten – und auch wenn das traurig ist, ich weiß, dass es mit Kopftuch viel schwieriger sein würde, einen Job zu finden. In Algerien ist es aber üblich, dass Frauen, die sich in der Jugend gegen ein Kopftuch entschieden haben, im Alter darauf hoffen, mehr Muße und Ruhe für den Glauben zu finden. Dass sie, bevor sie sterben, eine Phase erleben wollen, in der sie ein Kopftuch tragen, fünf Mal am Tag beten, wirklich fromm und religiös sind. Ich kann mir gut vorstellen, dass es auch mir einmal so ergeht.