Manchmal unterhalten sich meine Kinder mit Fremden. Sie antworten alten Damen, die über das Wetter schimpfen, bleiben stehen, wenn jemand ihren Hund streicheln will und lassen sich an der Theke in Wurstscheibengespräche verwickeln. Sie sind jetzt selbstredend, begreife ich, kann es mir aber nicht abgewöhnen, neben ihnen zu nicken, zu ergänzen oder Witze zu machen. In den Ferien erzählt Martha unserer Tischnachbarin, dass ihre Schwester in die achte Klasse ginge. Nein, korrigiere ich, in die fünfte. Mama, sagt Martha, ich meine Marie. Aber Marie, antworte ich, ist deine Patchworkschwester.
Blöder Gedanke, reflexartig ausgesprochen. Ich bin die letzte in unser großen Familie, für die diese Unterscheidung wichtig ist. Meine Töchter haben einen Bruder, Robin, der ist sieben. Und eine Schwester, Marie, sie ist 14. Das ist ihre Realität, die sich von meiner unterscheidet: Meine Familie ist dreiköpfig. Aber dann beobachte ich die Vertrautheit zwischen den Vieren und weiß, dass es mir so geht wie allen anderen, die einmal geöffnete Grenzen wieder schließen: Ich werde verlieren. Weigere ich mich, in ihnen mehr zu sehen als Spielkameraden, setze ich die Nähe zu meinen Töchtern aufs Spiel.
Sie verteidigen Geschwister, deren Mutter ich nicht bin. Ich bin nicht mal ihre Stiefmutter, dazu sehe ich sie zu selten. Nur stiefmütterliche Gefühle habe ich, ab und zu, möchte ich ergänzen, dabei sind Marie und Robin feine Kinder. Komm mal klar, sagt Jan, und er hat Recht. Ich konkurriere heimlich um Einfluss, um gemeinsame Stunden mit Martha und Louise. Um Vorlieben und Vorbilder und das letzte Wort, das die Herde von Pubertieren gerne selbst blöken würde, während ich hilflos meine Eltern zitiere: Wie redest du denn, jetzt ist aber Schluss. Spielkameraden kann ich abends heimschicken, ich kann ihnen erklären: Das sind die Regeln bei uns. Patchworkgeschwister bleiben und uns stellt sich die Frage: Was meine ich mit: bei uns? Auch wenn Marie und Robin noch nie widersprochen haben, bin ich manchmal strenger, als ich es sein müsste.
Dabei weiß ich, Martha und Louise wählen selbst, wem sie sich zuneigen. Sie haben ihre Geschwisterfreunde als solche wie ein Geschenk angenommen, eine Haltung, die ich wertschätze, von der Jan und ich wollten, dass unsere Töchter sie einnehmen. Ich erinnere mich an die Versuche meiner Stiefmutter, die Auswahl meiner Freunde zu korrigieren. Meine beste Freundin Lulu auszutauschen gegen eine Pfarrerstochter. Sie verleugnete mich am Telefon. Vergaß auszurichten, wenn Lulu angerufen hatte, und erzählte mir stattdessen, was die Pfarrerstochter für eine prima Type sei. Alles umsonst, Lulu ist heute Marthas Patentante. Daran muss ich denken und versuche mich dem zu öffnen, was Martha und Louise sich längst zu Eigen gemacht haben: unserem Patchwork.
Illustration: Grace Helmer