Fast schon ein Skandal

Nach einigen gescheiterten Unternehmungen startet Boris Becker eine eigene Modelinie. Seine Stilkompetenz? Nicht vorhanden – findet unsere Kolumnistin. Das zeigt einmal mehr, dass Kleidung den Rang eines Werbe-Kugelschreibers erreicht hat. 

»There is nothing like a tailored man in a tailored suit!«, sagt Becker.

Foto: Instagram

Boris Becker startet seine eigene Modelinie.

Kurz mal sacken lassen den Satz, um die ganze Tragweite dieser scheinbar harmlosen Meldung zu begreifen. Denn eigentlich ist sie ein einziger Skandal.

Mit Boris Becker selbst hat das nur nebenbei zu tun. Der Mann ist eine Legende. Irre guter Tennisspieler. Danach ziemlich lustiger BBC-Kommentator, kurzfristig erfolgreicher Trainer, zwischendurch fataler Poker-Unternehmer, irgendwann mal Autohausbesitzer. Unter dem Punkt »berufliche Erfahrung« ist da ganz schön was los bei dem Leimener. Wenn Personaler bei Bewerbern nach »interessanten Brüchen« in den Lebensläufen suchen, würden sie bei diesem Herrn Becker eine ganze Trümmerfraktur vorfinden.

Meistgelesen diese Woche:

Aber wenn nur die Hälfte aus den Berichten der letzten Jahre über die Finanzen des ehemaligen Sportstars stimmt, dann waren die meisten Unternehmungen nur so mittel erfolgreich. 2017 erklärte ihn ein Londoner Gericht für bankrott, es folgte ein vom Boulevard, sagen wir, äußerst interessiert beobachtetes Insolvenzverfahren. Deshalb müssen nun die nächsten, hoffentlich lukrativeren Versuche folgen. Aktuell plant er offensichtlich die »Boris Becker International Tennis Academy«, zumindest postete er auf Instagram den Spatenstich dazu. Das könnte durchaus Sinn machen. Rafael Nadals Akademie auf Mallorca läuft ja angeblich super. Und dann kommt demnächst eben noch diese Modelinie »Boris Becker Style« auf den Markt. Das hingegen ergibt leider überhaupt keinen Sinn.

So unbestritten hart Beckers Aufschläge, so unbändig sein Siegeswille waren – mit besonders gutem Stil abseits des Platzes ist der 52-Jährige bislang nie aufgefallen. Äußerlich hat der Mann ohnehin stark nachgelassen in den letzten Jahren. »Verlebt« haben Mütter früher dazu gesagt, was ja nur einer ehrlichen Zustandsbeschreibung entspricht. Gelebt hat der Mann schließlich ziemlich intensiv. Trotzdem scheinen er und seine Geldgeber zu glauben, für eine eigene Kollektion wird der »BB Style« schon noch reichen. Oder halt nur das BB. Wenn sein Name drauf steht, wird das Zeug schon irgendwer kaufen.

Wann hat das eigentlich angefangen? Dass jeder Prominente, und mag er noch so abgehalftert sein, Klamotten macht? Als wäre es die profanste Sache der Welt, ein Jedermann-Sport für Amateure. Früher hätte niemand, der nicht mindestens eine ordentliche Schneiderlehre oder sonst welche Erfahrung vorzuweisen hatte, eine Modelinie auf den Markt bringen können. Jetzt braucht man nur noch einen Namen. Vorkenntnisse? Nicht erforderlich.

Der blöde Spruch: Wer nichts wird, wird Wirt. Heute müsste er lauten: Wenn sonst nichts zieht, ziehen Anziehsachen.

Als C&A 2012 eine Kollektion mit Cindy Crawford in die Läden brachte, war das noch eine große Sache. Als Claudia Schiffer 2016 im x-ten Anlauf eine Kaschmirkollektion lancierte, schon nicht mehr so. Aber die beiden waren immerhin Models, hatten also hauptberuflich mit Mode zu tun. Bei aktueller Promi-Mode wie von Justin Bieber liegt der Effekt auf der Hand. Sein Label »Drew« besteht in erster Linie aus Merchandising Artikeln, die seine Fans kaufen, um ein Stück ihres Idols am Leib zu tragen. Dass der Luxuskonzern für Rihanna gleich ein eigenes Luxuslabel – Fenty – aus dem Boden stampfte, macht auch noch Sinn, weil die Sängerin in der Vergangenheit immer wieder durch ihr Trendgespür und ungewöhnlichen Kleidungsstil auffiel. (Nebenbei hat sie 86,1 Millionen Follower.) Alles ungefähr so wie Starköche, die Pastasaucen und Pfannen unter ihrem Namen vertreiben, oder eben Tennisstars, die Tennis-Akademien gründen.

Das eigentlich Skandalöse ist: Irgendwer scheint die Sachen ja tatsächlich mitzunehmen

Aber warum lässt Aldi die US-Schauspielerin Halle Berry (Link) eine Kollektion »entwerfen«, wieso führt Til Schweiger nicht nur Regie, sondern gründete auch noch ein Modelabel, warum muss der ehemalige Serienstar Patrick Dempsey »unter die Designer gehen«, wie auf stern.de kürzlich gemeldet wurde? Wie sich das schon anhört, als könnte man sich mal eben darunter mischen wie bei einer Corona-Demo. Im Zuge von Fast Fashion hat Mode in unserer Gesellschaft endgültig den Rang eines Werbe-Kugelschreibers erreicht. Ein ganz simpler Mitnahmeartikel. Kann man immer brauchen. Kann man vor allem schön billig in irgendeiner Fabrik produzieren lassen.

Das eigentlich Skandalöse ist: Irgendwer scheint die Sachen ja tatsächlich mitzunehmen. Der Schweizer Finanzinvestor Pegasus Development, die Boris Beckers Linie produzieren, verkündeten im Branchenmagazin Textilwirtschaft, die erste Kollektion sei bereits ausverkauft. Ab Oktober soll sie in allen »namhaften« Stores hängen, über 300 Verträge habe man bereits abgeschlossen, mehr als erwartet. Die Preise sollen zwischen 49 und 199 Euro liegen, also deutlich über Discounterniveau.

Becker modelt die Anzüge, Lederjacken und V-Pullover auf den Vorschaubildern der Kollektion teilweise selbst und verziert sie auf Instagram mit kalenderhaften Sinnsprüchen wie »Dressing well is a form of good manners« (Sich gut anziehen, ist eine Form von guten Manieren). Das, plus ein paar Bunte-Cover pro Jahr, sollen wohl reichen, um ein paar austauschbare Mainstream-Klamotten unter die Leute zu bringen. Insolvenz hin oder her – im Zuge der allgemeinen Zurechnungsfähigkeit wünscht man sich, dass diese Unternehmung schnell wieder vor die Wand fährt. Becker dürfte das Honorar für seine »Arbeitsleistung« ja eh längst bekommen haben.

Pegasus Development hat vergangenes Jahr übrigens bereits eine andere Promi-Kollektion lanciert, mit Jeremy Meeks. Das war dieses Model, der vor allem durch einen Mugshot, sein irre gut getroffenes Polizeifoto, bekannt wurde. Becker ist also in bester Gesellschaft. Falls er für einen seiner nächsten Entwürfe noch einen Sinnspruch braucht: »No road is long with good company« (In guter Gesellschaft ist kein Weg lang).

Machen auch: Til Schweiger, Daniela Katzenberger, Matthias Schweighöfer
Typischer Instagram-Kommentar: »Wer will noch mal, wer hat noch nicht?«
Passender Song: »Throwing it all away« (Genesis)