Dass der Parlamentssaal bei der Vereidigung des knapp wiedergewählten polnischen Präsidenten Andrzej Duda am vergangenen Freitag eher dürftig gefüllt war, lag nicht etwa an den Corona-Auflagen. Etliche Abgeordnete der größten Oppositionspartei PO (der auch Dudas Wahlkontrahent, der Warschauer Bürgermeister Rafal Trzaskowski angehört), blieben den Feierlichkeiten als Boykott fern. Sie hatten zuvor beim Obersten Gericht Beschwerde gegen das Wahlergebnis eingereicht und Unrechtmäßigkeiten bei der Abstimmung beklagt – ohne Erfolg. Andere drückten ihren Widerspruch gerade mit ihrer Anwesenheit aus: Politikerinnen des Linksbündnisses erschienen gekleidet in leuchtende Regenbogenfarben und solidarisierten sich so mit den Mitgliedern der LGBTQIA+-Community.
Die Community sieht sich in Polen extremen Feindseligkeiten ausgesetzt. Duda selbst stellte als zentralen Teil seines Wahlprogrammes eine vollkommen hinterweltliche Familiencharta auf, in der er vom »Schutz unserer Kinder vor der LGBT-Ideologie« spricht, die »Verteidigung der Ehe als Verbindung von Mann und Frau« ankündigt und Adoptionsrechte für homosexuelle Paare kategorisch ablehnt. Seit Anfang 2019 haben sich in Polen rund 100 Regional- und Kommunalverwaltungen unter der nationalkonservativen polnischen Regierungspartei PiS zu »Zonen frei von LGBT-Ideologie« erklären lassen, in denen lesbische, schwule, bisexuelle oder Trans-Personen offiziell unerwünscht sind und die Sexualaufklärung in Schulen unter Strafe gestellt werden soll.
Wer sich das auf der Zunge zergehen lässt, dem fällt es schwer zu glauben, dass die geschichtsträchtigen Stonewall-Unruhen mittlerweile mehr als ein halbes Jahrhundert hinter uns liegen: 1969 widersetzte sich eine Gruppe Homosexueller im »Stonewall Inn« in der New Yorker Christopher Street wirksam ihrer polizeilichen Verhaftung wegen angeblicher »Anstößigkeiten« und bewirkte damit einen Wendepunkt im Kampf für die Gleichberechtigung aller Sexualitäten – ein Ereignis, dem jedes Jahr mit dem Christopher Street Day gedacht wird. Wichtigstes textiles Ausstattungsmerkmal bei den weltweiten Feierlichkeiten im Juni: Die Regebogenflagge. Diese hat ihren Ursprung wiederum im Jahr 1978, als der amerikanische Künstler und Aktivist Gilbert Baker sie im Auftrag von Harvey Milk, dem ersten offen schwulen Politiker der USA, als ein neues Symbol für die Gay Community schuf, um sich von bestehenden Symbolen zu lösen – etwa von dem pinken Dreieck, das unter anderem auch im Zweiten Weltkrieg von den Nazis verwendet wurde. Barker mag damals vom Judy-Garland-Hit »Over the Rainbow« beeinflusst gewesen sein. Die Sängerin war nämlich nur wenige Tage vor den Stonewall-Riots in New York beerdigt worden und Zeit ihres Lebens eine Ikone der schwulen Camp-Kultur.
Seitdem hat die Regenbogenflagge sich weiterentwickelt – aus anfänglich acht Farben wurden sieben, aus einer politischen Flagge wurden unzählige Ableger. Von der Regenbogenversion auf dem Nivea-Cremetiegel bis zur »Stonewall«-Linie bei Primark gehören alljährliche »Pride«-Kollektionen bei zahlreichen Riesenbrands längst zum guten Ton. Ist das noch Engagement oder Verkaufsargument? Solange die Firmen sich auch tatsächlich für LGBTQIA+-Rechte starkmachen (über Spenden an entsprechende Organisationen und vor allem durch eine entsprechende Behandlung ihrer MitarbeiterInnen), tut die Kommerzialisierung dem Symbol keinen Abbruch. Die Botschaft der Regenbogenflagge bleibt die Gleiche: Respekt und Gleichberechtigung für Mitglieder der LGBTQIA+-Community.
Vieles hat sich in diesen Belangen zum Positiven entwickelt seit 1978, doch die Reise bleibt eine weite. 2015 noch feierte Barack Obama die Erlaubnis der gleichgeschlechtlichen Ehe durch den Supreme Court mit einer Regenbogen-Beleuchtung des Weißen Hauses. Ziemlich genau fünf Jahre später versteckte sich sein Nachfolger Trump dort im Bunker – während die Bevölkerung gegen Rassismus und Diskriminierung auf die Straße ging. Und in Warschau wurde am Abend von Dudas Vereidigung Dudas die LGBTQIA+-Aktivistin Margot verhaftet, deren Kollektiv unter anderem Christus-Denkmäler mit Regenbogenflaggen dekoriert.
Die bunt gestreiften Stoffe sind (leider) kein Mittel gegen Homo- und Transphobie. Aber sie sind ein eindrückliches Zeichen geschlossener, friedlicher Solidarität. Und die Kleiderwahl der polnischen Links-Politikerinnen ist ein starkes Statement. Einzig die Tatsache, dass nur die weiblichen Abgeordneten sich für Regenbogen-Kleider entschieden, ist schade. So ein paar Anzugträger in Rot bis Lila hätten wir nicht nur gern gesehen, sie hätten auch von wahrer Progressivität gezeugt. Aber gut, war ja irgendwie auch ein Anlass der Trauer – und da kann man im schwarzen Anzug ja wenig falschmachen.
Wird getragen von: Regina Regenbogen und ihrem Einhorn, Fensterrahmen von Gay Bars, Aktivist*innen und allen, die sich mit der LGBTQIA+-Community sichtbar solidarisieren möchten
Wird getragen mit: Respekt
Nicht verwechseln mit: Dem staatliche Gesundheitssystem in Großbritannien und Nordirland NHS (auch dieses nutzt die Regenbogenfarben als Symbol, besonders zu Coronazeiten wird es oft verwendet, um dem NHS-Personal zu danken), DJ »Alle Farben«