Die Gewissensfrage

Darf man das Stofftier der Ex-Freundin dem Hund zum Spielen geben?

»Vor 20 Jahren schenkte mir meine damalige Freundin ein Stofftier. Die Beziehung ist längst beendet. Gestern hat mein Hund sein aktuelles Spieltier kaputt gemacht - Ersatz war gefragt. Ich hab ihm das Geschenk von damals zum Spielen gegeben. Aber irgendwie habe ich kein gutes Gefühl dabei: Darf man ein Geschenk der Ex an seinen Hund ›verfüttern‹?«  Torsten S., Fulda

Etwas, insbesondere einen Menschen, »den Hunden zum Fraß vorzuwerfen« zieht sich als besonders verwerfliches Tun durch die Geschichte. Von den alten Ägyptern, bei denen es im sogenannten Zweibrüdermärchen vorkam, bis heute, wo man davon im Rahmen von schaurigen Verbrechen und furchtbaren Kriegsgräueln liest.

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Speziell wenn es sich um Menschen handelt, mag sich das zum Teil dadurch erklären lassen, dass manche Religionen es als notwendig ansehen, einen Leichnam zu beerdigen, um dem Toten den Zugang zum Jenseits zu ermöglichen. Eine Überzeugung, auf der auch das klassische Drama schlechthin beruht: Antigone, die ihren Bruder Polyneikes gegen den ausdrücklichen Befehl des Königs Kreon deshalb symbolisch bestattet und dadurch die Todesstrafe auf sich zieht, wofür Kreon am Ende zugrunde geht.

Dieses geballte Unheil könnte Ihr ungutes Gefühl erklären. Denn symbolisch oder gefühlt haben Sie zwar vielleicht nicht Ihre damalige Freundin, aber doch die Beziehung oder Liebe zu ihr nicht einmal begraben, sondern eben »verfüttert«. Und nun fürchten Sie womöglich, dass die durch das zerfetzte Stofftier repräsentierte Liebe nicht ordentlich ins Jenseits gelangt und als Untote weiterhin ihr Unwesen treibt.

Nun bin ich kein Spezialist für untote Gefühle, dennoch wage ich zu behaupten, dass Ihnen durch das Verfüttern keine größere Gefahr droht, als wenn Sie das Stofftier weitere 20 Jahre aus Sentimentalität aufheben. Von der Alternative, das Plüschwesen auf einem speziellen Friedhof der Kuscheltiere beizusetzen, ganz zu schweigen. Sie brauchen also kein Bauchweh wegen der Sache zu bekommen. Der Hund hoffentlich auch nicht - denn am Ende scheint mir die Frage, ob das Stofftier für den Hund geeignet ist, die aus moralischer Sicht entscheidende bei dieser Aktion.

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Literatur:
Das Zweibrüdermärchen findet man zum Beispiel in:
Pharao Cheops und der Magier. Altägyptische Märchen und Erzählungen, Aus dem Hieroglyphischen, Demotischen und Altgriechischen übersetzt und mit einem Nachwort von Karlheinz Schüssler, Manesse Verlag, Zürich 2003, S. 136ff.
Altägyptische Märchen. Mythen und andere Erzählungen, Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Emma Brunner-Traut, Eugen Diederichs Verlag, München 1963, S. 60ff.

Sophokles, Antigone, zum Beispiel in der Übersetzung von Wilhelm Kuchenmüller, Reclam Verlag, Stuttgart 1955
Einen Überblick über die verschiedenen Bearbeitungen und Themen dieses zentralen Dramas bietet: George Steiner, Die Antigonen. Geschichte und Gegenwart eines Mythos, dtv München, 1990

Illustration: Serge Bloch