»Ich liebe Kunst und sammle alle möglichen Postkarten und Zeitungsausschnitte von Bildern, die mir gefallen - darunter auch Bilder aus Kriegs- oder Krisenregionen. Andererseits frage ich mich: Ist es nicht moralisch verwerflich, ein Bild ›schön‹ zu finden, auf dem das Leid anderer Menschen gezeigt wird?« Lars D.,Ulm
Ein brutales Kriegsbild war lange Jahre Wandschmuck in vielen Jugendzimmern und WGs, fast jeder kennt es: Ein Soldat, offensichtlich gerade getroffen, die Knie sacken ein, der Körper ist nach hinten durchgebogen, die Arme wie in Kreuzigungspose nach oben gereckt und vor der offenen rechten Hand, durch die Momentaufnahme wie in der Luft schwebend, sein Gewehr. Darüber der Schriftzug »Why?« Moralisch bedenklich? Eher im Gegenteil: Dient das Poster doch zum Protest gegen den Krieg und will weiteres Leid verhindern.
Wer wissen will, welche Kraft Kunst in diesem Zusammenhang entfalten kann, sollte sich im Madrider Museum Reina Sofía das Original des berühmten Gemäldes Guernica von Pablo Picasso ansehen. Das dreieinhalb Meter hohe und mehr als sieben Meter breite Bild, das Picasso als Reaktion auf die brutale Zerstörung der Stadt durch einen Luftangriff der deutschen Legion Condor im Jahre 1937 geschaffen hat, stellt die Gewalt und vor allem das von ihr ausgelöste Leiden in einer Intensität dar, der man sich nicht entziehen kann. Als »schön« würde ich es jedoch nicht bezeichnen.
Ich frage mich deshalb, was genau Sie mit »schön finden« meinen. Die Basler Philosophin Dagmar Fenner weist darauf hin, dass man damit oft, gerade bei moderner Kunst, »ästhetisches Wohlgefallen« ausdrückt, und führt dazu aus: »Ein Kunstwerk kann somit als ästhetisch gelungen angesehen werden, wenn es aufgrund sinnlicher Reichhaltigkeit und formaler Eigenschaften die Rezipienten zur Reflexion über Welt- und Selbstbezüge herausfordert und ein interesseloses Wohlgefallen auslöst.«
Das scheint mir den Weg zu weisen: Solange die Fotos bei Ihnen zu Auseinandersetzung und Reflexion führen, ist das nicht nur unbedenklich, sondern sogar zu begrüßen. Für eigenartig hielte ich es hingegen, wenn Sie sich das Bild eines blutigen Gemetzels an Ihre Kühlschranktüre pinnen, um sich jeden Morgen beim Müsli an dem schönen Rot zu erfreuen und aus der frischen Farbe Kraft für den Tag zu schöpfen.
Illustration: Serge Bloch