Das herrliche Aroma der Riesenhornissen-Larve

Seit Jahren rufen die Vereinten Nationen dazu auf, mehr Insekten zu essen, nun werden sie zum letzten Schrei in der Sterneküche. Unsere Autorin hat den Igitt-Faktor überwunden und reingebissen.

Das Problem: Mit wachsender Weltbevölkerung brauchen wir neue Methoden, den Eiweißbedarf zu decken.
Die Lösung: Ameisen, Grashüpfer und Termiten.

Justin Timberlake hat gerade bei der Vorstellung seines neuen Albums mit Rosenöl überzogene Ameisen und Grashüpfer serviert, pikant gewürzt mit schwarzem Knoblauch. Das schmeckt weniger verrückt als es klingt. »Insekten sind nahrhaft, köstlich und eine großartige Ressource«, sagt René Redzepi.

Nun ist Redzepi nicht irgendein Waldschrat, sondern der Chef des Noma in Kopenhagen, das viermal zum besten Restaurant der Welt gekürt wurde und gerade als Noma 2.0 wiedereröffnet wird. Es war auch das vielleicht einzige Spitzenrestaurant der Welt, in dem man sich nicht darüber beschweren durfte, wenn lebende Ameisen durch die Salatsoße schwammen, denn die gehörten zum Rezept. »Als wir damit anfingen, war es für die Restaurantbesucher ein echter Schock. Sie kommen ins Restaurant, und da steht Waldameisen-Mousse auf der Speisekarte. Nun, wo ist das Problem?«

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Nun, das Problem ist, dass wir in unseren Breitengraden normalerweise kein Ungeziefer essen. Sind wir jetzt hier beim Dschungelcamp, oder was? Bäh, igitt!

»Das muss schmecken!« sagt Redzepi, deshalb hat er mit anderen Feinschmeckern das »Nordic Lab« gegründet, eine Art kulinarischen Think Thank, der sich nicht nur darauf verschrieben hat, lokale und unbekannte Zutaten zu entdecken, sondern uns auch Insekten schmackhaft machen möchte. »Wenn man die Welt davon überzeugen will, Insekten zu essen, muss man auch richtig gute Rezepte bringen.«

Vor allem aber könnte darin die Lösung für ein drängendes Weltproblem liegen: Insekten brauchen weniger Wasser und Land, produzieren wesentlich weniger klimaschädliche Gase als beispielsweise Rinder, und es gibt unzählige schmackhafte Sorten im Überfluss. Die Vereinten Nationen rufen in ihrem Welthungerreport schon seit Jahren dazu auf: Esst mehr Insekten! Denn wir müssen unsere Ernährungsgewohnheiten drastisch ändern, wenn alle satt werden wollen.

Klar ist: Fast 900 Millionen Menschen hungern, die Weltmeere sind überfischt, Ackerland wird knapp. Wenn die Weltbevölkerung bis 2030 auf neun Milliarden wächst, brauchen wir neue Methoden, Nahrung zu produzieren. Oder eben alte: In vielen asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern gehören Krabbeltiere auf der Speisekarte zum Alltag. Frittierte Maden oder gegrillte Heuschrecken lieben sie in Thailand oder Kenia als proteinreichen Snack für zwischendurch. In Mexiko kann man zwischen Tacos mit Hühnchen- oder Larvenfüllung wählen. Die nährstoffreiche Proteinbeilage gibt es übrigens auch in Italien, dem Heimatland von »Nordic Lab«-Mitglied Roberto Flore: Der Casa Marzu, ein Gammelkäse mit Fliegenlarven, gilt in Sardinien als Delikatesse.

Im Lolli der Firma »bugs food« ist eine Grille zu erkennen, die ebenfalls verzehrt werden kann.

2000 essbare Sorten haben Josh Evans, Roberto Flore und Michael Bom Frøst vom »Nordic Lab« bei ihrer kulinarischen Weltreise in Länder identifiziert, in denen Maden und Motten zum täglichen Brot gehören. »Wir haben die richtigen Ressourcen, aber ein verschwenderisches System«, sagt Frøst, im Hauptberuf Direktor vom »Nordic Lab«, im Nebenberuf Nahrungswissenschaftler an der Uni Kopenhagen. Aber auch er weiß, dass Insekten allein das Problem nicht lösen: »Man kann die gleichen Fehler, die bei der Aufzucht von Schweinen, Kühen oder Hühner gemacht werden, auch bei Insekten wiederholen.«

Viele Insekten müssen allerdings gar nicht gezüchtet werden, sondern es gibt ohnehin zu viele, zum Beispiel fallen allein in Dänemark jedes Jahr 40 Tonnen Bienenlarven als Abfallprodukt an. Josh Evans vom »Nordic Lab« preist sie als wahre Delikatesse: »Die schmecken so köstlich wie Gänseleber.«

Als eine seiner ersten Proben für die Geschmacksnerven hat das »Nordic Lab« zusammen mit einer Brennerei einen Ameisen-Gin produziert, den Anty Gin. Die rote Waldameise Formica rufa, so erklären die Käferesser vom »Nordic Lab« mit unverhohlener Begeisterung, sei »eine inspirierend komplexe Kreatur«. Sie kommuniziert mit ihren Artgenossen durch chemische Pheromone und verteidigt ihren Haushalt durch eine Säure, die sie im Magen sammelt und bei Bedarf auf Eindringlinge sprüht. Ach, klingt das lecker, möchte man da sofort rufen, also jedenfalls, wenn man sich länger mit den Leuten vom »Nordic Lab« beschäftigt, die da schwärmen: «Diese Stoffe haben ein extrem köstliches Potenzial!« Das wird durch Alkohol aktiviert, und viele der Pheromone nehmen wir als Aroma wahr. »Indem wir diese Waldameisen destillieren, erforschen wir dieses schmackhafte Universum der natürlichen Moleküle.« Falls Ihnen jetzt noch nicht das Wasser im Mund zusammenläuft: Jede Flasche Anty Gin vereint die Würze von 62 Waldameisen. Und jetzt auf ex! (Das einzige Problem ist nur noch der Preis: 250 Euro pro Flasche. Für das Geld könnte man eine Menge Waldausflüge unternehmen.)

Veganer können mit Recht darauf verweisen, dass für Redzepis Madenmousse mehr Tiere sterben als für ein Steak. Aber wer Fleisch isst, hat eher wenige Argumente, die gegrillten Heuschrecken als Vorspeise abzulehnen. Sie schmecken nämlich knusprig, in Chili gebraten absolut köstlich und eigentlich nicht viel anders als Garnelen.

Ja, die Autorin hat sie tatsächlich selbst probiert, zwar nicht in Dänemark, aber in Asien. Als ich durch Java reiste, nahm mich eine Gruppe älterer Indonesierinnen unter ihre Fittiche. Weil sie mich zum Mittagessen einluden, aß ich, was sie mir vorsetzten. Ich habe mich einfach nicht getraut, die Delikatessen abzulehnen: Gegrillte Heuschrecken, frittierte Hühnerfüße, knusprige Maden und irgendetwas Undefinierbares mit vielen Krabbelbeinen.

Dabei habe ich festgestellt, dass der Igitt-Faktor rein psychologisch ist. Die »Nordic Lab«-Abenteurer haben dazu in einem Kopenhagener Einkaufszentrum ein Experiment unternommen: Sie verteilten eine grüne Erbsensuppe mit Bienenlarven - einmal püriert, einmal mit ganzen Stücken. Wenn die Passanten die Insekteneinlage nicht erkannten, fanden sie die Suppe köstlich.

Weil die Leute vom »Nordic Lab« Michelin-Gourmets sind, kennen sie natürlich auch die feinere Wissenschaft vom Würzen mit Krabbeltieren und haben sogar eigens ein Buch veröffentlicht, On Eating Insects. Hier einige Geheimtipps für Fortgeschrittene: Wenn man Heuschrecken fermentiert, geben sie Saucen eine wunderbare Umami-Note. Riesenhornissen-Larven schmecken herrlich nussig und man kann sie einfach roh wie Sushi mit Soja-Sauce essen, Termiten am besten mit Karamell als Dessert.

Ich empfehle die Termitenqueen mit Mango. Darauf einen Anty Gin!

Foto: Getty Images; dpa