Verbrennt man beim Kaugummikauen Kalorien?

Ob durch die Kaugymnastik tatsächlich schon mal jemand abgenommen hat, erklärt ein Experte. 

Illustration: Ryan Gillet

Adam van Casteren ist Zoologe und Biomechaniker, der sich auf die Evolution des Menschen spezialisiert hat. Er leitet die Forschungsgruppe des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie und hat untersucht, wie sich die Form von Zähnen und Kiefern bei Menschen verändert haben.

»Am Universitätsklinikum Maastricht haben wir das Kaugummikauen und die Frage, ob man dabei Kalorien verbraucht, untersucht. Wir wollten ausschließen, dass der Geschmack oder der Geruch von Kaugummi den Körper zur Verdauung animiert, was wie wir wissen, viele Kalorien verbraucht. Denn schmeckt oder riecht etwas gut, dann kann das als Signal auf den Verdauungstrakt wirken, mit der Verdauung zu beginnen. Wir wollten den Energieverbrauch beim Kauen nicht verfälschen und benutzten daher einen zähen, farblosen Kaugummi-Rohstoff. Darauf zu kauen, fühlt sich etwa so an, als hätte man schon zu lange einen Kaugummi im Mund. Viel Spaß macht das nicht.

In speziell ausgestatteten Messkammern wurde dann untersucht, wie viel Sauerstoff beim Kauen verbraucht und wie viel Kohlendioxid ausgestoßen wurde. So lässt sich der Energieumsatz berechnen. Das Ergebnis: Selbst bei besonders hartem Kaugummi stieg der Energieverbrauch um nur 0,64 Kilojoule pro Minute, was etwa knapp 0,15 Kilokalorien entspricht. Hochgerechnet auf 75 Minuten Kauen pro Tag entspricht das weniger als 0,5 Prozent des gesamten täglichen Energieverbrauchs. Wer ernsthaft Kalorien verbrennen will, sollte lieber spazieren gehen. Ein Spaziergang verbraucht etwa zehnmal so viel Energie wie Kauen.

Meistgelesen diese Woche:

Interessant ist diese Erkenntnis für die Erforschung der Evolutionsgeschichte des Menschen. Unsere Vorfahren mussten harte oder zähe, unverarbeitete Nahrung oft stundenlang zerkauen und haben wahrscheinlich viel mehr Energie dafür aufwenden müssen. Ähnlich wie heutige Affen. Schimpansen kauen etwa viereinhalb Stunden am Tag. Gorillas und Orang-Utans sogar noch länger. Wir moderne Menschen kommen durchschnittlich auf 35 Minuten pro Tag. Die Energetik des Kauens besser zu verstehen, gibt Auskunft über das menschliche Verhalten vor Millionen von Jahren und warum die Zähne, sowie Kiefer massiver waren. Heute gibt es auf Social Media den Trend, die Kiefermuskulatur mit besonders zähem Kaugummi zu trainieren, um so die Gesichtszüge zu definieren. Die Form des Gesichts wird von einem komplexen Mix von genetischen und Umweltfaktoren bestimmt. Das Kauen hat daher nur, wenn überhaupt, bei Kindern und Jugendlichen einen Effekt – ist ein Mensch ausgewachsen, ändert sich an der Form der Kieferknochen auch bei intensivem Kautraining wenig.«