Muss ich zu Familienfeiern gehen, deren Anlass ich ablehne?

Der Neffe unserer Leserin feiert bald seine Erstkommunion. Sie ist aus der katholischen Kirche ausgetreten und fragt, ob sie trotzdem zur Feier kommen muss.

»Mein Neffe feiert bald Erstkommunion. Traditionell mit allem, was dazugehört, die Kinder bekommen an diesem Tag auch ordentlich Geldgeschenke (warum eigentlich?). Ich bin schon vor mehr als dreißig Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten. Soll ich der Kirchen- und ­Familienfeier fernbleiben, weil der Anlass absolut nicht meinem Weltbild entspricht?« Lisa F., München

Ich gebe Ihnen recht, dass es absurd ist, dass Kinder zur Kommunion oder Konfirmation Geld kriegen, wozu gibt es schließlich Weihnachten (kleiner Witz), gestehe aber, dass der Plattenspieler, den ich damals bekam, mich fast darüber hinwegtröstete, dass der Pfarrer, zu dem wir in den Unterricht mussten, der Meinung war, Frauen gehörten traditionell an den Herd, was ich genauso schlimm fand wie seine andere Meinung, Jesus wäre tatsächlich über Wasser gelaufen, also seine Füße hätten wirklich auf der Wasseroberfläche Halt gefunden. Meinen Einwand, es könne ja auch so etwas wie eine Metapher gewesen sein, wollte er nicht gelten lassen. Aber gut, ich war 14 Jahre alt, was wusste ich schon von ­Metaphern.

Im Grunde sind diese Feste aber doch das Netteste, was Religion zu bieten hat. Wann sonst kommen Familien in so gro-ßem Stil zusammen? Zu Beerdigungen, aber da fehlt immer einer. Zu Taufen, aber da sind wir schon wieder bei der Religion. Zu Hochzeiten vielleicht noch, aber da ist die Verwandtschaft ja oft eher die Statisterie unter den Gästen und sitzt verlegen und sehr verloren an einem Tisch in der Ecke, während sich die Party um den Freundeskreis des Paares herum abspielt.

Ich glaube, wenn ich Sie wäre, würde ich meine ganzen Riesenbedenken kühl im Hinterkopf behalten und mitfeiern. Sie können ja insgeheim etwas anderes feiern. Oder im Gottesdienst beim Glaubens-bekenntnis nicht mitmurmeln. Oder, vielleicht feiner, erst nach der Kirche hin-gehen. Oder sich den Kirchenbesuch als Recherche denken, um mal wieder zu wissen, gegen was man eigentlich ist. Oder es dann doch nicht so schlecht finden, wer weiß, bei den Katholiken riecht es immer so schön nach Weihrauch. Außerdem hat man sonst nachher kein schönes Foto von allen, das man sich später und noch später anschauen kann voll Trauer und Rührung darüber, wie jung damals noch alle waren.