SZ-Magazin: Herr Schäuble, Sie sind zuständig für die Innere Sicherheit. Dazu gehört auch ein Grundvertrauen der Bürger in das Führungspersonal des Landes. Halten Sie diese Sicherheit in Deutschland für gestört?
Wolfgang Schäuble: Es ist eine Malaise: Es gibt in der Tat ein gestörtes Vertrauen in die Integrität der Eliten, und wir müssen einiges dafür tun, sie wiederherzustellen. Wenn die Leute sagen: »Oh, bei den Großen, da geht alles!«, dann kann das gefährlich werden. Aber dass eben nicht alles geht, das zeigen ja die täglichen Nachrichten: Die Öffentlichkeit ist wach, der Blick auf Politiker und Wirtschaftsmanager ist streng, die Sanktionen, und da meine ich nun nicht die strafrechtlichen, sind es auch: Der berufliche und gesellschaftliche Absturz ist schon auch eine Sanktion.
Ist das ein Plädoyer für mehr Moral bei der Machtelite des Landes?
Ich sage zugleich auch: Wenn wir verlangen, dass das Führungspersonal von einer einzigartigen moralischen Qualität sein muss, dann haben wir ein falsches Menschenbild. Die Ersten, die gegebenenfalls dann an ihre Einzigartigkeit glauben könnten, sind übrigens die Betroffenen selbst. Und immer wenn es so war, das zeigt die Geschichte, dann war es ganz furchtbar. Wir sind allzumal Sünder. Das Führungspersonal sündigt auch. Aber bei Leuten wie Zumwinkel, dem ehemaligen Postchef, der sein Geld nach Liechtenstein geschafft hat, kommt man mit dem Begriff »Sünde« nicht weiter. Mit »Sünde« sind auch die Korruption bei Siemens oder die Spitzeleien im Auftrag der Telekom falsch beschrieben. Es geht um Kriminalität.
Die Bürger müssen sicher sein können, dass der Schutz von Daten auch in Unternehmen an erster Stelle steht. Aber auch da wie in den anderen Fällen gelten das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung. Man kann wohl nicht den Eindruck haben, dass diese im genannten Zusammenhang nicht angewandt werden. Es kommt keinem Mensch jemals der Verdacht, dass die Mächtigen nicht genauso der Herrschaft des Gesetzes unterliegen wie andere. Das ist gut und richtig so.
Sie sagen das, und zugleich höre ich Skepsis.
Ich denke gerade daran, dass die Justizministerin die Möglichkeiten des »Deals« in der Strafprozessordnung »effektiver« regeln will. Ich bin ganz strikt dagegen. Dies ist ein falscher Weg, weil der Deal, also die Absprache zwischen Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidigung, schon jetzt oft als Druckmittel gegen den Beschuldigten missbraucht wird: Die Staatsanwaltschaft kündigt weitere Maßnahmen und Ermittlungen gegen den Beschuldigten an, wenn der sich nicht zumindest auf ein Teilgeständnis und auf eine bestimmte Sanktion einlässt.
Der Deal wurde ursprünglich als Mittel der Strafverteidigung eingeführt, gerade die Anwälte von prominenten Beschuldigten haben ihn gern vorgeschlagen, um so die Sache möglichst schnell und abseits der Öffentlichkeit zu erledigen. Die Öffentlichkeit hat eher den Eindruck, der Deal sei ein Mittel, um Eliten gut wegkommen zu lassen. Der Deal gilt auch als Mittel der Justiz, um angesichts völliger Überlastung mit den Strafverfahren noch einigermaßen durchzukommen.
Dann soll die Justiz für mehr Personal- und Sachmittel kämpfen, statt sich einen schlanken Fuß zu machen. Wenn die Justiz lieber auf den Deal setzt – dann halte ich das für eines der großen Probleme, die für die Systematik unseres Rechtsstaats gefährlich sind. Das muss doch auch den ehemaligen Staatsanwalt Heribert Prantl empören.
Das tut es auch. Aber bleiben wir beim Thema. Braucht eine Demokratie eigentlich Eliten? Oder unterlaufen sie den Gedanken der Gleichberechtigung?
Vielleicht sagen wir statt Eliten besser – Persönlichkeiten! Ja, eine Demokratie braucht Persönlichkeiten. Mit Elite verbindet sich oft ein Dünkel. Eliten halten sich gern für etwas Besonderes. Mich ärgert es, wenn solche Eliten in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft die falschen Impulse geben. Es ist eigentlich ganz einfach: Wer eine höhere Position einnimmt, hat auch eine höhere Verantwortung, er muss an sich strengere Maßstäbe anlegen. Eine Persönlichkeit erkennt diese höhere Verantwortung und handelt danach.
Zumwinkel, Pierer und Co. sind keine Persönlichkeiten?
Dieses Urteil fällen nicht die Medien. Die sagen heute hui und morgen pfui.
Und was sagen Sie?
Erstens: dass man nicht zu schnell den Stab brechen soll. Zweitens: Jemand, der oben sitzt, muss viel genauer als die anderen darauf schauen, was er tut und wie er es tut. Demokratie beruht auf der Voraussetzung, dass diejenigen, die Verantwortung tragen, sich dessen bewusst sind und dies auch zeigen. Insofern sind beispielsweise die Liechtenstein-Affäre und die dort zutage getretenen Steuerhinterziehungen ein Desaster für die Demokratie.
Frisst dieses Desaster an der Glaubwürdigkeit des Führungspersonals in diesem Land?
Wir müssen alles tun, dass das nicht eintritt.
Und wenn das schon der Fall ist? Nehmen wir die exorbitanten Gehälter der Großmanager der Wirtschaft. Die Leute fragen doch zu Recht, womit diese verdient sein sollen.
Da ist uns die Wirtschaft noch Erklärungen schuldig. Man hat uns ja immer dargelegt, die hohen Bezüge seien notwendig wegen der internationalen Verflechtung und sie seien auch ein Korrelat zu den hohen Gewinnen, die die Unternehmen machen. Und jetzt erklär einer einmal, warum die Gehälter auch bei hohen Verlusten der Unternehmen nach wie vor so hoch sind, warum sich das also nicht negativ auf die Managergehälter auswirkt! Da muss man den Menschen Antworten geben, die sie auch akzeptieren können.
Vor dreißig Jahren hat kein Mensch auf die Manager geschaut.
Die Manager haben damals auch noch nicht die heutige Rolle gehabt. Die Finanzmärkte haben sich entwickelt, ein immer größerer Teil von Eigentümerrechten ist institutionalisiert. Gerade bei den börsennotierten Aktiengesellschaften beobachten wir eine Abhebung und Ablösung der Funktionseliten – diese bewegen sich in einem geschlossenen Kreislauf von Unternehmen zu Unternehmen.
Und werden beobachtet wie Politiker…
Aber wir müssen behutsamer umgehen mit der Durchleuchtung von Persönlichkeiten: Der Nachfolger des Gouverneurs von New York hat vor Amtsantritt gewissermaßen all seine »Sünden« seit dem dritten Lebensjahr öffentlich beichten müssen, damit ihm später keine Vorhaltungen gemacht werden können. Das unterstellt, es gebe Menschen, die keine Fehler haben. Das hat inquisitorische Züge und ist vordemokratisch. So eine Entwicklung dürfen wir nicht wollen.
Politiker haben nicht wenig dazu beigetragen, dass auch in ihr Privatleben hineingeleuchtet wird – sie haben die Türen zu ihren Wohnungen aufgemacht, haben, zu Wahlkampfzwecken, menschelnde Geschichten über ihr Familienleben schreiben lassen. Das kam ihnen als Werbung gelegen. Wenn das Menschelnde dann bei späterer Gelegenheit nicht mehr passt, meldet sich Empörung über die Verletzung der Privatsphäre.
Ich habe früher auch nicht so genau darauf geachtet, ich habe auch Homestorys machen lassen. Das war nicht gut. Das kommt mir heute nicht mehr in die Tüte.
Weil neues Vertrauen nicht dadurch entsteht, dass Politiker sich so verhalten wie Leute des Showgeschäfts…
Wenn die Menschen zu kaum jemandem in Politik und Wirtschaft noch Vertrauen haben, suchen sie sich Ersatzfiguren. Unter den Sportlern und den Menschen im Showgeschäft sind wunderbare Leute, und wenn die People-Magazine darüber berichten, ist das deren Leben. Aber unser Leben als Politiker ist ein anderes. Vertrauen gewinnen wir nicht durch die Befriedigung der Neugier nach immer neuen Details aus der Privatsphäre. Vertrauen gewinnen wir durch ein hinreichendes Maß an Seriosität und mit der Solidität der politischen Institutionen.