Bruno, mein alter Freund, besuchte mich im Büro. Wir saßen auf dem Sofa und unterhielten uns, als aus der Toilette ein lautes Rascheln, Krachen, Rumpeln drang.
»Um Himmels willen!«, sagte Bruno.
Ich hatte das Fenster in der Toilette offen gelassen.
»Das ist eine Elster«, sagte ich. »Sie wohnt in der Nähe, und wenn ich vergessen habe, das Toilettenfenster zuzumachen, kommt sie herein und holt sich Tabletten gegen Sodbrennen. Sie sind in glitzernder Folie verpackt. Ich weiß nicht, warum diese Elster Sodbrennen hat, vielleicht liegt es an den ekelhaften Tauben, die ihr Stress bereiten.«
Wenig später schickte mir Bruno eine Mail mit einem Film über Raben in Japan. Diese Raben fressen unter anderem Nüsse. Weil sie diese nicht mit ihren Rabenschnäbeln zerknacken können, lassen sie Nuss für Nuss auf eine Straße fallen. Dann setzen sie sich auf eine Telefonleitung und warten, bis ein Auto über die jeweilige Nuss gefahren ist und fressen den Schaleninhalt von der Straße weg. Was gefährlich ist für die Raben! Weswegen es Raben gibt, die ihre Nüsse auf einem Zebrastreifen ablegen, sich an die Fußgänger-Ampel stellen, auf Grün warten und dann gefahrlos zum Nuss-Mus gehen, um es aufzupicken. Wobei sich andere Raben dieses Verhalten abgeschaut haben und es nun ebenfalls praktizieren, sodass in einem Umkreis von fünf Kilometern viele Raben an Fußgängerüberwegen stehen, um Nüsse zu futtern.
Ich stelle mir vor, wie weitere Raben dieses Verhalten imitieren. Bald werden in ganz Tokio, im gesamten Japan, schließlich überhaupt in Asien und dann der ganzen Welt Raben an Zebrastreifen stehen, um bei Grün Nussmahlzeiten einzunehmen. Dieses Verhalten wird landesspezifisch geprägt sein.
Ich stelle mir also weiter vor: wie britische Raben Schlange stehen, hingegen italienische Raben am Tresen der nächsten Espressobar lehnen, um im Pulk die Nussrezepte ihrer Mütter auszutauschen und die Ergebnisse der jeweils favorisierten Nussball-Klubs zu diskutieren. Wie arabische Raben ihre Nüsse in die Luft zu sprengen versuchen und taube Nüsse mit Schuhen bewerfen. Wie iranische Raben in riesigen unterirdischen Anlagen versuchen, nicht nur die Nüsse selbst, sondern auch deren Kerne zu spalten.
Wie andorranische Raben immer wieder probieren, aus der Höhe genau ihr Land zu treffen. Wie Schweizer Raben ihre Nüsse in den Genfer Teilchenbeschleuniger füllen, um sie mit anderen Nüssen kollidieren zu lassen. Wie amerikanische Raben aus 789.500.000.000 Nüssen ein Paket schnüren, um dann auf einen gigantischen Truck zu warten, der auf einem Highway all diese Nüsse auf einmal schreddert. Wie Wall-Street-Raben auf eine Wagenladung tauber Nüsse einen großen Kredit aufnehmen, um damit leer stehende Häuser im Mittleren Westen zu kaufen, während die Hohlnüsse auf dem Atlantik nach Island treiben.
Wie kolumbianische Raben ihre Nüsse so lange überfahren lassen, bis sie das Nusspulver durch ihre Schnabellöcher schnupfen können. Wie russische Raben einen Fernsehfilm sehen, in dem Premier Putin mit bloßen Händen und nacktem Oberkörper die große sibirische Tigernuss besiegt. Wie chinesische Raben die erste bemannte Nuss ihres Landes in den Weltraum schießen. Wie französische Raben an den Kreuzungen Illustrierte lesen, in denen berichtet wird, Präsident Sarkozy lasse sich scheiden, um eine blonde dänische Nuss zu heiraten.
Und die deutschen Raben? Diskutieren erregt ein Verbot des Nussknackens auf Straßen, weil es mit zu hoher Kohlendioxid-Emission verbunden sei und außerdem von Autoreifen zerquetschte Nüsse einen über dem Grenzwert liegenden Kautschukanteil hätten. Es sei zu erwägen, ob Nüsse nicht ausschließlich mit Hilfe von speziell geschulten Mountainbikern zerquetscht werden dürften. Schließlich legt die Bundesregierung ein Gesetz vor, das eine Helmpflicht für Nüsse knackende Raben festlegt. Dieser Entwurf scheitert aber im Bundesrat.