Zu den sprachlichen Besonderheiten unseres geliebten Nachbarlandes Ö. gehören seit einer Weile nicht mehr nur die Zwetschke, das Pickerl und die Faschiermaschine, sondern auch der Genuss Wirt. Ein kurzer Blick auf die Internetseiten der entsprechenden Institutionen lehrt uns, was wir unter diesem Begriff zu verstehen haben: Der Genuss Wirt arbeitet in einer Genuss Region und sucht seinen Besuchern einen Genuss-Moment nach dem anderen, ja, sozusagen multiple Genuss-Momente zu vermitteln.
Als wäre das nicht genug, bietet man uns in Ö. nun auch Da-geht’s-mir-gut-Hotels. Wanderer, kommst du in ein Da-geht’s-mir-gut-Hotel, erfreue dich einerseits der »hohen Wanderkompetenz der Gastgeber und MitarbeiterInnen«! Andererseits rechne auch mit »erwander-baren ›Da-geht’s-mir-gut‹-Wandergeheimnissen in der Nähe des Hotels« und einem Schuhtrockenraum mit Waschgelegenheit.
Was diesen Nachrichten gemein ist: die ungeheure Anstrengung, die hinter jeder Silbe steckt, dieses: Du musst! Man sieht die Leute in den Hotels ja vor sich, voller Wohlfühlwillen, verzweifelt auf der Suche nach dem Da-geht’s-mir-gut-Geheimnis.
Was aber kommt dabei heraus, wenn man auf diese Weise den Namen des Hotels tatsächlich als Auftrag, ja, Befehl zu verstehen lernt? Dies erfuhr jetzt die Kanadierin Jasmin Klair. Sie wurde in Blaine im US-Staat Washington nahe der Grenze mit elf Kilogramm Kokain im Gepäck verhaftet – und zwar in einem Hotel, dessen Name Smuggler’s Inn lautet, Schmugglerhof, ein bisschen, als hätte sich Bin Laden im Hotel Terror-Stüberl versteckt.
Nun aber Folgendes: Nicht bloß das Hotel prägt den Gast, auch die Kleidung formt den Menschen, dies keineswegs im Sinn des bekannten und längst banalen »Kleider machen Leute«, sondern viel tiefer gehend. Im amerikanischen Journal of Experimental Social Psychology wurde eine Studie von Wissenschaftlern der Northwestern University veröffentlicht. Sie zeigt, dass Leute, die einen Arztkittel tragen, nicht nur für
Ärzte gehalten werden, sie sind auch wie Ärzte. Nicht in dem Sinne, dass sie nun plötzlich – auf geheimnisvolle Weise erworbene – medizinische Kenntnisse hätten, sondern so: Sie verhalten sich, wie man es von Ärzten erwartet, vorsichtig, streng, aufmerksam.
Dies funktionierte im Test nur, wenn die Kittelträger wussten (oder man ihnen gesagt hatte), dass es sich bei ihrem Kleidungsstück um das eines Arztes handelte. Teilte man ihnen zum Beispiel mit, sie trügen den Kittel eines Malers, zeigten sie die genannten Eigenschaften nicht. (Ob sie plötzlich besser malten oder sich irgendwie malerisch gerierten, wurde nicht untersucht.) Auch gab es keine experimentellen Nachweise für
Vorsicht, Strenge, Aufmerksamkeit, wenn die Probanden den Arztkittel nur sahen. Sie mussten ihn am Leib spüren. Embodied cognition, also etwa »Körperwissen«, nennen das die Wissenschaftler. Andere Untersuchungen zeigten, dass männlich gekleidete Frauen in Bewerbungsgesprächen bevorzugt wurden, nun gut, unsere eigene Kanzlerin ist ein Beleg für die These, nicht wahr? Und kennt nicht jeder dieses Humphrey-Bogart-Gefühl, das einen beim Überstreifen eines Trenchcoats durchströmt? Eingeweihte bei der Deutschen Bank wissen, dass ihr Chef Josef Ackermann an Tagen, an denen besonders diffizile Finanztransaktionen zu bewältigen sind, im hautengen Kostüm eines Trapezartisten im Büro erscheint, das ihm gleichzeitig Wagemut und Sicherheit verleiht. Guido Westerwelle ist erst ein besserer Außenminister geworden, seit er Tag für Tag unter seinen Hemden einen alten gelben Genscher-Pullunder trägt. Sogar seine Ohren sind seitdem, wie der aufmerksame Beobachter sieht, ein wenig gewachsen.
Und wie oft hat Günter Grass den Tag Anfang der Sechzigerjahre verflucht, an dem er das schöne Hemd wegwarf, mit dem bekleidet er Die Blechtrommel schrieb. Ja, er schuf vor Jahren mit vorletzter Tinte eine Ode an ebendieses Hemd, ein wahres Klagelied. Was getragen werden muss heißt das Werk. Doch bleibt es unveröffentlicht.
Illustration: Dirk Schmidt