Das Problem: Kleidung im Wert von 100 Milliarden Dollar wird jedes Jahr weggeworfen, davon wurden 40 Prozent nie oder kaum getragen.
Die Lösung: Rückkaufen, reparieren, leihen, upcyclen. Oder ganz radikal: Nichts mehr kaufen!
Ich nehme einfach mal an, dass Ihnen das, was Sie auf der Haut tragen, wichtig ist. Und Sie ganz gut darüber Bescheid wissen, wie Kleidung hergestellt wird. Oder? Ein kleines Quiz gefällig?
Wie viele Kleidungsstücke kauft der Durchschnittsdeutsche im Jahr?
a) 20
b) 40
c) 60
Wie viele Liter Wasser braucht man, um ein buntes Baumwoll-T-Shirt herzustellen?
a) 1000 Liter
b) 5000 Liter
c) 15000 Liter
Wieviel Prozent unserer Kleidung wird aus Plastik hergestellt?
a) 10 %
b) 50%
c) 70%
Die Fragen und Antworten – richtig ist übrigens jeweils c) – stammen aus der jüngsten ARD-Themenwoche »So ungerecht ist Mode«. Da erfährt man auch, dass die Textilindustrie laut der Vereinten Nationen der zweitgrößte Wasser- und Energieverschwender der Welt ist und bei den Nähern in Bangladesch von einem 30-Euro-T-Shirt lediglich 18 Cent ankommen.
Designerin Eileen Fisher nannte die Modeindustrie »den zweitgrößten Umweltverschmutzer nach der Ölindustrie«: ausgelaugte Böden, toxische Farbstoffe, die ins Grundwasser sickern, Plastikpartikel in den Weltmeeren. Man kann und soll natürlich bei Ökostandards ansetzen, Fair Fashion statt Fast Fashion, giftfreie Zutaten, klar macht das Sinn, aber letztendlich ist es die Masse, die den Mist macht: Die Welt produziert derzeit 100 Milliarden Kleidungsstücke pro Jahr – damit könnten wir jeden Menschen mehrfach einkleiden.
Das Problem hat sich in den letzten Jahren verdreifacht. Billigläden wie Zara oder H&M haben Fast Fashion befeuert, im wahrsten Sinn des Wortes: Viele kaufen die spottbilligen Fetzen, ohne sie anzuprobieren, und werfen dann eben weg, was nicht passt. Durch die immer schneller rotierenden Saison-Angebote verfeuern sowohl Billiganbieter wie H&M also auch Edel-Marken wie Burberry tonnenweise Kleidung, die sich nicht verkauft. Aber dieses Jahr könnte ein Wendepunkt sein. Als Burberry im letzten Jahr Ladenhüter im Wert von 32 Milionen Euro verbrannte, weil die Luxusteile nicht auf dem Wühltisch landen sollten, war der Aufschrei groß. Der Protest wurde so massiv, dass Burberry seine Politik ändern musste: Die Teile sollen künftig gespendet oder recycelt werden. Letztendlich haben wir Konsumenten doch die Macht: Wenn wir etwas wirklich wollen, müssen es die Hersteller umsetzen, um uns als Kunden zu behalten.
Die Frage ist: Wie geht es besser? Seit ich diese Kolumne schreibe, bekomme ich regelmäßig Briefe von Lesern, die fragen, was sie denn selbst im Alltag gegen den Klimawandel und für den Umweltschutz tun können. Hier ist eine radikale und super simple Lösung, bei der sie sogar noch Geld sparen: einfach mal gar nichts tun.
Denn wenn jetzt zu Weihnachten wieder viel Kleidung verschenkt wird, weiß man schon vorher, wohin ein Großteil wandern wird: direkt in die Müllkverbrennung. Laut einer Greenpeace-Umfrage werden 40 Prozent der Klamotten selten oder nie getragen. Im Durchschnitt tragen wir die 60 Teile, die wir jedes Jahr kaufen, genau vier Mal. Eine Milliarde Kleidungsstücke, schätzt Greenpeace, liegen auf ewig ungetragen in deutschen Kleiderschränken. Wenn ich ehrlich bin, würden alle Jeans und Hosen und Blusen, die in meinem Kleiderschrank hängen, mindestens für die nächsten zehn Jahre reichen.
Namhafte Hersteller wie Eileen Fisher und Patagonia, aber auch kleinere Startups und Second-Hand-Läden stellen sich dem besinnungslosen Kaufrausch entgegen. Warum sollen vollkommen intakte, womöglich nie oder kaum getragene Klamotten, die unter enormem Aufwand produziert wurden, im Müll landen?
Fisher gründete deshalb extra ein neues Label, Renew, das nur ein Ziel hat: Die Mode so lange wie möglich im Umlauf zu lassen. »Wir versuchen, Verantwortung zu übernehmen«, sagt die amerikanische Designerin. Ihre Firma kauft die Stücke für fünf Dollar pro Stück von den Kunden zurück, reinigt, repariert und redesignt sie. Ein altes Lagerhaus in Irvington hat sie zu einer Nähwerkstatt umfunktioniert. Eine 300-Dollar-Bluse darf dann für 80 Dollar weiterleben. Wenn ein Stück Stoff gar nicht mehr zu retten ist, kann es vielleicht zur Faser in einem Kissen verarbeitet werden, oder ihm steht die Wiedergeburt als Putzlappen bevor. Inzwischen wurden weit über eine Million Kleidungsstücke auf diese Weise wiederverwertet. »Wir wollen als Hersteller die Ressourcen wertschätzen, die wir verbrauchen, und Kleidung herstellen, die lange ihren Wert behält und wiederverwendet werden kann«, meint Fisher.
Man darf es Fisher abnehmen, dass sie das vor allem aus Umweltgründen macht. Ein lukratives Geschäft ist das Second-Hand-Business nämlich nicht. Aber Fisher zahlt auch nicht drauf: Die Renew-Aktivitäten trugen im vergangenen Jahr drei Millionen Dollar zum Unternehmensergebnis bei. »Wir müssen von einer Wegwerf-Wirtschaft zu einer Wiederverwertungs-Wirtschaft werden«, forderte Fisher in der Washington Post. Tatsächlich werden weniger als ein Prozent der Textilien recycled, laut Greenpeace sind es 0,5 Prozent.
Second Hand gab es schon immer, lange haftete den entsprechenden Läden aber der Ruch von Mottenkugeln an. Startups wie ThredUp und Vinted versuchen, das Recycling online chic zu machen, andere verleihen ihre Klamotten, etwa Rent the Runway oder die Kleiderei. Tchibo verleiht seit Januar unter dem Label der Magdeburger Firma Kilenda im Modellversuch für ein paar Euro im Monat Kinderklamotten; diesind ja meist schon wieder zu klein, bis man vom Laden zuhause ankommt. Beim Flohmarkt 2.0 mischen auch andere Industrien mit: Fluglinien wie Southwest, Delta oder KLM werben damit, dass sie Uniformen, Kissen und Decken als Taschen und Stofftiere wieder aufleben lassen. Das ist alles lobenswert, aber angesichts der fatalen Ökobilanz der Klamottenindustrie (oder des Flugbetriebs) oft nichts anderes als Greenwashing und Augenwischerei.
Wer es ernst meint, der müsste eben noch einen Schritt weitergehen. Die Outdoor-Firma Patagonia schaltete zur Vorweihnachtszeit 2011 ganzseitige Kampagnen mit dem zerknautschten, wettergegerbten Konterfei des Gründers Yvon Chouinard und der auf den ersten Blick widersinnigen Botschaft: Kauf diese Jacke nicht!
»Die meisten kaufen eine neue Jacke, weil sie eine neue Jacke wollen, nicht, weil sie wirklich eine neue brauchen«, sagt er. Chouinard hat sich der Bewegung der »mindful consumption« verschrieben hat, also des achtsamen Konsums. »Wir ermutigen unsere Kunden, ehrlich mit sich zu sein und genau darüber nachzudenken, was sie konsumieren, bevor sie ihre Kreditkarte zücken.« Chouinard setzte davor als erster die Technik um, Fleece-Jacken aus recycelten Plastikflaschen herzustellen, und die Firmenzentrale wird natürlich mit Solarpaneelen gepowert.
Aber ganz ohne Gift lassen sich die atmungsaktiven, wetterfesten, schweißabsorbierenden Aktiv-Klamotten eben nicht herstellen. Auch eine vermeintlich umweltfreundlich hergestellte Jacke verbraucht wertvolle Ressourcen und belastet die Umwelt. In einer Welt, in der Konzerne schreien, dass wir dringend das neueste Smartphone, den neuesten Fernseher und die neueste Mode brauchen, macht Patagonia genau das Gegenteil. »Ich glaube wirklich, dass die meisten Menschen unsere Produkte nicht kaufen sollten, weil sie sie nicht wirklich brauchen«, sagt Chouinard. »Sie kaufen sie aus einem Impuls heraus oder aus Eigensucht, nicht aus einem echten Bedürfnis. Wir sind wie ein Alkoholiker, dem nicht klar ist, dass er zuviel trinkt.« Sein Rat: »Kauft weniger!« Letztendlich, sagt er, sei das im Interesse aller: »Auf einem toten Planeten kann man keine Geschäfte machen.«
Der Haken: Die Kampagne »Kaufen Sie diese Jacke nicht!« war die erfolgreichste in der Firmengeschichte: Der Umsatz der Jacke stieg um ein Drittel. Weil sie damit also genau das Gegenteil erreichten, dachte sich die Patagonia-Chefin Rose Marcario etwas Neues aus: Weil die Leute am umsatzstärksten Tag des Jahres, dem Black Friday (das ist der Freitag nach Thanksgiving, in diesem Jahr der 23.11.), trotz aller Konsumrausch-Warnungen noch mehr kaufen, spendete Marcario den gesamten Umsatz vom Black Friday 2017 an Umweltschutzorganisationen – immerhin 10 Millionen Dollar. Aber bei genauem Hinsehen ging auch dieser Schuss nach hinten los: Denn normalerweise setzt Patagonia am schwarzen Freitag nur eineinhalb bis zwei Millionen Dollar um, der Umsatz hat sich also durch die Aktion verfünffacht. Wenn es einem guten Zweck dient, kaufen die Leute wie verrückt. Anstatt es einfach zu lassen.