Die heilende Kraft des Optimismus

Die Weltlage bringt derzeit viele zum Verzweifeln. Unsere Autorin erklärt anhand neuester Forschungen, wie heilsam dagegen eine positive Lebenseinstellung wäre – und wo die guten Nachrichten herkommen könnten.

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Das Problem: Mehr als ein Drittel der Menschen weltweit sagen, die Nachrichten machen sie deprimiert, wütend oder traurig.
Die Lösung: Gute Nachrichten, wie sie in dieser Kolumne zu finden sind, denn Optimisten leben länger.

Seit Ewigkeiten sucht die Menschheit nach dem Geheimnis, ewig jung zu bleiben. Mehr Grünkohl, weniger Steak, mehr Sport, klar, aber nun gibt es neue Erkenntnisse, wie (lebens)wichtig nicht nur Brokkoli und Pilates, sondern psychologische Faktoren sind: Eine optimistische Einstellung und Aufmerksamkeit für die positiven Seiten des Lebens erhöhen die Chancen, länger zu leben und fit zu bleiben.

»Optimisten leben länger«, formulieren die Harvard-Forscher mit ihren Kollegen von der Boston University’s School of Medicine unmissverständlich und präsentieren wahrhaft optimistische Forschungsergebnisse: In ihrer umfassenden Meta-Studie fanden sie heraus, dass Optimismus unsere Chancen, älter als 85 zu werden, »um mehr als 50 Prozent erhöht«. Dafür analysierten sie immerhin die Einstellung von über siebzigtausend Frauen und Männern, über einen Zeitraum von zehn bis dreissig Jahren. 

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Natürlich fragten sie auch nach Zigaretten und Alkohol, Sport und Arztbesuchen, aber als wichtigste lebensverlängernde Maßnahme kristallisierte sich heraus: Im Durchschnitt leben Frauen und Männer, die an das Gute glauben, 11 (Männer) bis 15 Prozent (Frauen) länger als Miesepeter und Griesgrämerinnen. Die Aussichten von Optimisten, 85 Jahre oder älter zu werden, sind 50 bis 70 Prozent größer. Und dabei leben sie nicht nur länger, sondern sind auch seltener krank.

Noch besser finde ich die Erkenntnis, dass Optimismus lernbar ist. »Interessanterweise kann eine optimistische Einstellung durch relativ einfache Techniken und Therapiemethoden beeinflusst werden«, sagt Studienautorin Lewina Lee, Psychiaterin am National Center for PTSD in Boston. Etwa 25 Prozent unserer Einstellung sei angeboren, aber das heisst auch: Über die restlichen 75 Prozent haben wir die Kontrolle. Lee nennt zwei Methoden, die sich für eine optimistischere Haltung bewährt haben: kognitive Verhaltenstherapie und das bewusste Vorstellen einer Zukunft, in der sich unsere Ziele erfüllt haben. Sie glaubt, dass optimistische Menschen nicht nur bessere Lebensentscheidungen treffen, sondern auch besser mit Stress umgehen können.

Das klingt natürlich super, aber da haben die Harvard-Forscher leicht reden: So simpel ist es ja auch wieder nicht; wir können eine optimistische Lebenseinstellung nicht einfach anknipsen wie unseren Instantkocher.

Denn das Dilemma ist folgendes: Wie soll man Optimist bleiben (oder werden) und an das Gute im Menschen glauben, angesichts des Klima-Versagens, des Kurden-Kriegs, des Brexit-Debakels … um nur die größten Stimmungsstinker einer einzigen Woche zu nennen?

Angesichts der politischen Dauerkrisen haben Psychiater inzwischen einen Namen für das, was sie vermehrt in ihren Sprechzimmern beobachten: Trump Anxiety Disorder (TAD), also die Angstzustände, die der amerikanische Präsident mit seinen unberechenbaren Ausfällen auslöst. In Großbritannien leiden die Folks am Brexit Blues, auch Brexit Anxiety Syndrom (BAS) genannt. Krisen machen krank, egal wo: Menschen berichten, sie schlafen schlecht, können sich nicht konzentrieren, haben Albträume, Angstzustände, Depressionen und somatische Beschwerden.Das »Gefühl der Machtlosigkeit, Wut, chronischen Sorge« fräße sich in die Seelen, diagnostiziert die Mental Health Foundation.

In Deutschland hat die Nervosität noch keinen griffigen Namen, weil es mehr als einen Auslöser gibt (AKK-Allergie? Fridays for Hohlraum? Rechtsextremisten-Tumor?), aber die Symptome beobachten wir auch hierzulande: Ich kenne kaum jemanden, der noch eine Nacht selig durchschläft.

Die Menschen schützen sich vor der grassierenden Depression mit Nachrichten-Verweigerung: Laut des aktuellen Reuters Digital News Report sagt ein Viertel der Deutschen, sie wollten manchmal oder oft keine Nachrichten mehr hören und lesen, denn »sie wirken sich negativ auf meine Stimmung aus« oder »Ich kann nicht darauf vertrauen, dass die Nachrichten wahr sind«. Weltweit sind es mehr als ein Drittel der Menschen, die sagen, sie vermeiden Nachrichten, weil diese ihnen die Stimmung vermiesen oder sie sich hilflos fühlen, an den Ereignissen etwas zu verändern. Da haben die Harvard-Forscher gut reden mit ihren Optimismus-Befunden.

Aber die Augen zu verschließen ist ja auch keine Lösung. Es wird nun nicht ausdrücklich in der Studie erwähnt, aber eine mögliche Konsequenz der Optimismus-Forschung ist klar: Lesen Sie diese Kolumne! Und zwar regelmäßig! Denn für viele unserer Probleme gibt es effektive Lösungsansätze, die sich bereits in der Praxis bewährt haben: Denn wo immer es Klimakiller gibt, gibt es Klimakiller-Killer.  
Wo Menschen versagen, gibt es andere, die Lösungen finden.  
Wo Menschen verschwenden, gibt es andere, die bewahren.
Seit zwei Jahren erscheint die Lösungskolumne auf sz-magazin.de, nach einer langen Sommerpause nehmen wir sie jetzt wieder auf.

Zu Risiken und Nebenwirkungen (Leser melden unter anderem einen erhöhten Tatendrang und Lebensfreude) fragen Sie bitte Ihren Arzt oder Chefredakteur.