Wie wir endlich von der Flasche loskommen

Leere Duschgels und Shampoos tragen zum weltweiten Plastik-Problem bei. Nicht mehr lange, wenn es nach einem 19-jährigen Amerikaner geht: Er entwickelt Verpackungen, die sich noch in der Dusche auflösen. 

Viel Müll, wenig Inhalt: Hotel-Shampoo, das wohl jeder schonmal hat mitgehen lassen.

Foto: Adobe Stock / showcake

Das Problem: Jeder von uns verbraucht Hunderte von Plastikflaschen für Shampoo und Duschgel. Ein Drittel des Einwegplastik auf Mülldeponien stammt von Körperpflegeprodukten.
Die Lösung: Ein 14-jähriger Schüler hat biologisch abbaubare Shampoo-Tropfen erfunden, die sich wie Waschmittel-Kapseln selbst auflösen.

Na, heute schon geduscht?

Der Dreck, der sich dadurch nicht beseitigen lässt, ist ziemlich exakt zu beziffern: Im Durchschnitt verbraucht jeder Deutsche 10 Shampoo-Flaschen, 11 Flaschen Duschgel, und 3,7 Packungen Flüssigseife - pro Jahr! Multipliziert mal 83 Millionen Einwohner macht das: 2075 Millionen Plastikflaschen. Multipliziert mit den 80 Jahren, die wir durchschnittlich auf der Welt sind, ergibt das die stattliche Zahl von 166 Milliarden. So viele Plastikflaschen verbrauchen wir. Hinzu kommen die kleinen Shampoofläschchen, die man in Hotels klaut. Und all die Wasserflaschen, Cremetiegel, Zahnpastatuben, Rasierschaumcontainer undsoweiter, die wir sonst noch für ein passables Erscheinungsbild brauchen, sind noch gar nicht mitgezählt.

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Als Benjamin Stern mit 14 Jahren im Biologieunterricht seiner Schule in Florida zum ersten Mal vom Ausmaß des Plastikproblems hört, ist er schockiert. Ein Drittel des Einwegplastik in Mülldeponien stammt von Körperpflegeprodukten. »In Amerika könnten wir alleine mit den Shampoo-Flaschen jedes Jahr 1200 Football-Stadien füllen, und vier von fünf Leuten geben zu, dass sie nicht konsequent recyclen«, sagt der 19-Jährige heute. »Wir werfen tonnenweise Plastikmüll weg, und vieles davon landet in den Meeren, den Gewässern, unserer Natur. Ich wusste, dagegen wollte ich was unternehmen.« Noch am gleichen Tag will er nach dem Sport eine leere Shampoo-Flasche wegwerfen, aber er findet nirgendwo in der Umgebung der Duschen einen Recycling-Container. Als er nach Hause kommt, sieht er seine Mutter die Wäsche waschen, mit einer Waschmittelkapsel, die sich selbst auflöst. »Das war mein Heureka-Moment! Kann man das nicht auch mit Shampoo und Duschgel machen?«

Der Schüler experimentiert mit biologisch abbaubaren Materialien und gründet die Firma Nohbo-Drops. Die Abkürzung steht für »No Hair Bottles«: Die tropfenförmigen Kleckse mit Shampoo oder Duschgel werden von einer biologisch abbaubaren Schicht aus Zucker zusammengehalten und lösen sich auf, wenn sie mit Wasser in Berührung kommen. Einmal unter der Dusche in den Händen reiben, und die richtig dosierte Menge Shampoo für eine Haarwäsche ist in Sekundenschnelle einsatzbereit. Es gibt keinen Müll, keine Rückstände. Dass Benjamin Stern die Idee hatte, als er erst 14 war, macht sie umso charmanter - auch für Investoren.

Portionsweise in wasserlöslicher Folie: Das Shampoo von Benjamin Stern

Mit 16 Jahren bewirbt sich der Jungunternehmer mit diesem Konzept bei der amerikanischen Wettbewerbs-Show Shark Tank (die deutsche Entsprechung wäre Die Höhle der Löwen mit Carsten Maschmayer). Mit Erfolg: Der Unternehmer Mark Cuban ist von dem enthusiastischen Teenager so begeistert – vielleicht auch, weil ihn der dunkelhaarige Entrepreneur ein wenig an ihn selbst erinnert – dass er ihm 100.000 Dollar Startkapital gibt. Unerschrocken googelte der forsche Teenager danach einfach die Email-Adressen von führenden CEOs und schrieb unter anderem den CEO der Hyatt-Hotel-Kette an. Der forderte prompt Proben an. Im Interview flüstert Stern geheimnisvoll, Verhandlungen mit mehreren Hotelketten, die Mini-Portions-Fläschchen in ihren Zimmern durch Tropfen zu ersetzen, stünden kurz vor dem Abschluss. Trotz seines jungen Alters hielt Stern inzwischen Vorträge in Yale und am renommierten MIT, und nennt sich nun, mit 19 Jahren, stolz Head Honcho seiner eigenen Firma.

Er ist gut positioniert in einem intensiven Wettrennen, wer am schnellsten, billigsten und praktischsten Plastik-Alternativen auf den Markt wirft. Denn bekanntlich haben die EU und zig andere Staaten angekündigt, demnächst Wegwerfplastik verbieten. Ab 2021 sollen keine zusätzlichen Plastikgabeln, Strohhalme und Wattestäbchen aus Plastik die Weltmeere und Müllhalden belasten - zumindest aus Europa. Was werden wir stattdessen verwenden? Erfinder arbeiten an biologisch abbaubarem Plastikersatz aus Algen, Zucker oder Maisstärke: eine Art positiver Wettbewerb, wirklich umweltfreundliche Alternativen zu kreieren. Auch in dieser Kolumne stelle ich immer wieder neue Ideen vor, etwa Kaffeetassen aus Kaffeesatz, Tüten aus Zucker, Klamotten aus Mist und Verpackungen aus Bio-Abfall  herzustellen. Alles pfiffige Ideen, aber klar ist auch: durchsetzen wird sich nur, was praktisch, massentauglich und billig ist.

Stern gibt selbst zu, dass die erste Version, die er bei Shark Tank präsentierte, verbesserungsbedürftig war. Der Prototyp ähnelte eher in Bonbonpapier gewickelten Badesalzen. Inzwischen hat der junge CEO ein professionelles Team, und ein deutlich besseres Produkt, finanziert durch eine Crowdfunding-Kampagne. Dass die Leute weniger Plastik wollen, wird nicht nur in allen Umfragen klar, sondern auch bei Nohbo war das Interesse so enorm, dass Stern in kurzer Zeit dreimal soviel Geld einsammelte wie erhofft. Die neuen Nohbo-Tropfen beinhalten Shampoo, das ohne Parabene, Sulfate oder schädliche Chemikalien auskommt. Es ist in eine hauchdünne, aber stabile Schicht aus Zuckerrohr gebettet, die – so verspricht Stern zumindest - auch den Transport in der Sporttasche oder dem Reisegepäck überstehen soll. Nur mit Wasser dürfen die Tropfen nicht in Berührung kommen, logisch.

Was bei Teenagern wie der 16jährigen schwedischen Klima-Aktivistin Greta Thunberg, der inzwischen dreizehnjährigen Avery McRae aus Oregon, die die amerikanische Regierung mit dem Children’s Trust wegen Untätigkeit verklagt, oder eben Benjamin Stern auffällt, ist, dass sie Dinge ganz anders angehen als die Generation vor ihnen und sich nicht damit zufrieden geben, auf dem Status Quo aufzubauen. »Ich wollte den Konsum von Plastikflaschen nicht reduzieren, nicht mehr recyclen, die Leute nicht zu Verzicht aufrufen«, sagt Stern dazu, »sondern ich möchte Plastikflaschen ersetzen, denn wenn wir eine Plastikanwendung nach der anderen ersetzen, brauchen wir hoffentlich irgendwann überhaupt kein Plastik mehr.»

Das Shampoo ist jetzt auf dem Markt, Conditioner, Duschgel und Rasiercreme sollen noch in diesem Frühjahr folgen. Sollte Stern mit seiner Vision erfolgreich sein, wird die menschliche Körperpflege vielleicht bald wirklich eine saubere Angelegenheit.