Schluss mit süß!

Liebe Frauen über 25: Wollt ihr sein wie Grace Kelly oder wie das ewige Girlie? Also zieht euch anständig an, verdreht nicht die Kulleraugen und werdet endlich erwachsen. Das Mädchengetue nervt.

Vielleicht sollte man das alles nicht so ernst nehmen: die Bonbonbrosche von Dior für 150 Euro; die Teddyanhänger am Rucksack; die 31-Jährige, die einem das Lied Schnappi als MP-3-Datei zuschickt und einen Smiley an ihre Mail hängt; die Zeitschrift, die 29-jährige Schauspielerinnen »Mädchen« nennt; die Abteilung »freche Frauenliteratur« in der Buchhandlung; die Bodylotion »Baby Grace« von Philosophy, die 35-Jährige wie frisch gebadete Säuglinge duften lässt; TV-Serien wie Desperate Housewives, in denen 40-jährige Frauen den Gartenschlauch fallen lassen, wenn vorm Haus gegenüber ein Mann auftaucht. Oder Kinofilme, in denen der Mann zur Frau sagt: »Wissen Sie, dass Sie eine sehr, sehr süße Art haben, die Gabel zu halten?« Vielleicht darf man nur nicht den Fehler machen, sechzig Jahre alte Filme wie Tote schlafen fest oder Die Killer zu sehen. Darin spielen Lauren Bacall, damals 22, oder Ava Gardner, 24, aufregende Fabelwesen, die es heute im Kino kaum noch gibt: geheimnisvolle, intelligente, gänzlich unhysterische junge Frauen, die niemand »Mädchen« nennen würde. Frauen mit einem Leben zwischen Pubertät und Mutterschaft. Heute stapfen Moppeltrottel wie Bridget Jones auf der Jagd nach dem Mann fürs Leben über die Leinwand. Trotzblöde, in Frauenkörper katapultierte Kleinkinder, die andauernd stolpern und stottern und viel zu enge Pullover tragen. Zwanzig Prozent aller Plüschtiere in Deutschland kaufen Frauen für sich selbst. Jeder sechste Löffel Babybrei landet in einem Frauenmund. »Wir haben uns angewöhnt, Frauen unter dreißig als halbe Kinder zu betrachten«, schreibt der 45-jährige Claudius Seidl in seinem Essay Schöne junge Welt. Uns bleibt nichts anderes übrig. In Werbefilmen sehen wir, wie sie mit ihren Pumps im Gullydeckel hängen bleiben. Auf Werbeplakaten für Sparkassen tragen sie einen Schnuller im Mund. Im Radio singen sie Ich Will Doch Nur Spielen. Kleine hilflose Bambis. Im echten Leben heißen sie Jule oder Nora und drehen beim Reden eine Locke um ihren Zeigefinger. Manchmal fahren sie eine ganze Nacht lang mit dem Auto herum und singen laut die Lieder aus dem Radio mit. Mitten in der Woche, einfach so. »Ich bin ein bisschen verrückt«, sagen sie. Meistens machen sie gerade ein Praktikum oder studieren ein Fach, das sie nach den Semesterferien wechseln wollen. Fragt man nach ihrem Berufswunsch, antworten sie »irgendwas mit…«. Wenn sie mit einem Mann Kaffee trinken gehen, lassen sie sich gern Milchschaum von der Nasenspitze streichen. Süß sieht das aus. Bambi ist mehr als ein Synonym. Bambi ist ein Syndrom. Tu mir nichts, dann tu ich dir nichts. Ich bin, wie ich bin. Ich will so bleiben, wie ich bin. Doch wenn Bambi so bleibt, wie sie will, bleibt alles, wie es ist. Süß sieht die aus. Annett Louisan. Kulleraugen auf Beinen. Ich bin klein, blond und singe, hat sie auf einen Zettel geschrieben und ihn bei einer Party dem Hit-Autoren Frank Ramond zugesteckt, der heute ihre Texte schreibt: »Ich steh doch nur so rum, tu so dies und das, fahr mir durch das Haar und schon willst du was.« Im Video dazu krabbelt die 25-Jährige unter einer Bettdecke herum, als wüsste sie nicht, wie sie da wieder rauskommt. Willdochnurspielen. »Ich hoffe, dass ich so manches Klischee aus der Welt der Frauen- und Männerbilder auflösen kann«, hat Annett Louisan in einem Interview erklärt. Wirklich sehr, sehr süß. Neulich war Annett bei Reinhold Beckmann zu Gast. Saß da mit Stefanie von der Band Silbermond und Eva von Juli. Alle drei – so Beckmann in seiner charmant gemeinten Anmoderation – als »neues deutsches Fräuleinwunder«, als »Mädchenriege, die dem deutschen Pop ein neues Gesicht gibt«. Annett erzählte, dass sie manchmal U-Bahn fährt, weil sie privat ein normaler Mensch sein will. Das »Mädchen« Eva Briegel trug einen Ring im rechten Nasenloch und sagte eher wenig. In einem ihrer Lieder heißt es: »Du willst hier weg, du willst hier raus, du willst die Zeit zurück.« Das »Fräulein« Eva Briegel wird bald 27 Jahre alt. Eine Janis Joplin, die mit 27 starb, hätte sich niemals »Mädchen« oder »Fräulein« nennen lassen. Wir leben die längste Jugend aller Zeiten, schreibt Seidl in seinem Buch und findet das als Mann eigentlich ziemlich gut. Vielleicht sollte man jenseits der vierzig nicht mehr den 20-Jährigen hinterhersteigen, aber wenigstens kann man noch auf die Partys gehen, wo man sie finden würde. Die Marktforschung hat den Begriff vom »kidult« (»kid« plus »adult«) geprägt und ersetzt allmählich die Idee der Demografie durch die »Psychografie«. Man ist so jung, wie man sich fühlt. Der Amerikaner Robert Bly mokierte sich bereits 1996 über die »kindliche Gesellschaft«, eine verantwortungslose Augenblickswelt, der allmählich die Respektspersonen abhanden kämen. Niemand möchte mehr erwachsen sein. In einem autobiografischen Text für die Zeitschrift Woman fasst eine Autorin ihre nicht enden wollende Jugend zusammen: »Heute bin ich 32 und glaube nicht mehr, das man irgendwann erwachsen ist.«

Ein schöner Traum. Ein Bambi-Traum. Denn Verantwortung, Macht – jene Insignien des Erwachsenseins verschwinden ja nicht aus der Welt, nur weil man sie selbst nicht haben will. Die Männer jedenfalls – mögen sie auch im Job Tischkicker spielen, am Wochenende Sneakers tragen und heimlich Jungsmusik von Limp Bizkit hören – übernehmen sie gern. Der Ebay-Europachef Philipp Justus ist 35. Rainer Beaujean, der Vorstandsvorsitzende von T-Online, ist 36 – so alt wie Kai Diekmann war, als er Bild-Chef wurde. Auf Bambi wartet niemand. Für die Geschichte Zu gut für meinen Job suchte die Zeitschrift Neon unlängst überqualifizierte Akademiker in miesen Jobs und fand – drei Frauen. Pia, Birgit und Karen. Frauen, Anfang dreißig, die zwischen dem »Nicht mehr« und dem »Noch nicht« hängen geblieben waren. Das Besondere an der »schönen jungen Welt« ist nicht, dass Frauen für immer jung sein dürfen. Sondern, dass sie glauben, es zu müssen. In einer großen deutschen Fernsehredaktion arbeitete bis vor kurzem eine junge, sehr ehrgeizige Frau, die tatsächlich alle »Bambi« nannten. Braune Augen, blond, eine Stimme, die im Gespräch mit wichtigen Männern zwei Lagen höher jagte. Der Spitzname lag nahe. Bambi wurde 26. Bambi wurde 28. Bambi wurde 30. Mit 31 wurde Bambi gefeuert. Ihre Nachfolgerin ist acht Jahre jünger, kostet ein Drittel weniger Gehalt und um ihre Augen sieht man keine Falten, wenn sie von schräg unten nach oben schaut. 79 Prozent der Männer mögen es, »wenn die Frau noch ein bisschen unschuldig wirkt«, meldet die Zeitschrift Elle. Ein paar Zahlen für Bambi: Wenn beide arbeiten, erledigt die Frau 70 Prozent der Hausarbeit. Kommt ein Kind, bleibt sie in 95 Prozent der Fälle daheim. An deutschen Hochschulen stellen Frauen die Hälfte der Absolventen, aber nur 13 Prozent der Professoren. Selbst in der Türkei liegt der Frauenanteil mit 21,5 Prozent höher. Weibliche Angestellte verdienen im Durchschnitt 70 Prozent des Gehalts ihrer Kollegen – bei gleicher Arbeit wohlgemerkt. In den Vorständen der 30 deutschen DAX-Firmen sitzt genau eine Frau. Und die kommt auch noch aus Holland. Insgesamt haben es nicht einmal sieben Prozent in die Führungsetagen der deutschen Unternehmen geschafft – das entspricht ziemlich genau dem Frauenanteil in den Parlamenten der arabischen Welt. Und in den Medien, wo FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher eine »noch nie da gewesene Akkumulation weiblicher Macht«, eine Art Medusa(lem)-Komplott, konstatiert? Moderatorinnen, Kommissarinnen, Nonnen, Hausfrauen und Anwältinnen bevölkern die Bildschirme, so viele wie nie zuvor. Aber unter den 13 ARD-Intendanten gibt es nur eine Frau. Und in die Führung des ZDF hat sich gar kein weibliches Wesen verirrt. Das Autorinnenteam Barbara Sichtermann und Andrea Kaiser (Frauen sehen besser aus. Frauen und Fernsehen) zitiert den ehemaligen ZDF-Chefredakteur Klaus Bresser mit dem schönen Satz: »Seit ich zu den Entscheidern gehöre, gucke ich mich immer um: Wo bleiben die Frauen, die unsere Jobs wollen?« Was war das für eine Aufregung, als vor der Bundestagswahl 2002 Sabine Christiansen und Maybritt Illner die Kanzlerkandidaten Schröder und Stoiber zum Wahlkampf-Duell baten. Doch all jene, die darin die endgültige Machtübernahme der Fernsehfrauen wähnten, übersahen ein kleines Detail. Im deutschen Fernsehen dürfen die Maischbergers, Illners und Christiansens zwar jetzt auch die wichtigen Fragen stellen. Aber die Antworten gibt noch immer ein Mann. Im Verhältnis zwischen der Moderatorin und ihren – zu gefühlten 95 Prozent – männlichen Polittalk-Gästen spiegelt sich so auf subtile Weise das Verhältnis zwischen kleiner, neugieriger Tochter im Fragealter und väterlicher Deutungsmacht. Im vergangenen Herbst sahen beinahe eine Million Menschen in Deutschland den Film 30 über Nacht; die Geschichte der unglücklichen, unbeliebten 13-jährigen Jenna, die sich danach sehnt, endlich erwachsen zu sein. Eines Morgens erwacht sie im Körper und im Leben ihres 30-jährigen Ebenbildes. Jenna hat als Modejournalistin Karriere gemacht. Eiskalt, mit miesen Tricks, sexuell skrupellos, wie Frauen eben angeblich so sind, die im Hollywood-Kino nach oben kommen. Doch jetzt schlägt das reine Herz eines Teenagers in der Business-Zicke. Und Jenna, von einer dauerstrahlenden Jennifer Garner, 33, gespielt wie Julia Roberts auf Prozac, erträgt das erwachsene Leben nicht. Männer wollen Sex statt Liebe. Ihre besten Ideen werden geklaut. Und die vermeintliche Kolleginnen-Freundin entpuppt sich als herzlose Intrigantin. Macht macht keinen Spaß. »Ich möchte doch nur ein netter Mensch sein«, sagt sie und weint. Jenna schmeißt den Job und heiratet den Mann, der ihr damals, zum 13. Geburtstag, ein supersüßes Traumhaus gebastelt hat. Am Ende ist sie, die 30-jährige Frau, die alle Chancen hatte, im Herzen wieder 13 Jahre alt. Ein Kind, das keinem wehtut. Es ist ein Happy End. Vielleicht sollte man auch diesen Film nicht so ernst nehmen. Er passt nur so gut.