Im Namen der D-Mark

Vierzig Jahre lang war die Westmark für DDR-Bürger ein unerreichbares Symbol westlichen Konsums. Als die Mauer fiel, bekamen Ostdeutsche 100 Mark Begrüßungsgeld. Wir haben sechs von Ihnen gefragt, was sie sich damals gekauft haben.


CD-Player Ingo Tretbar, 37, Berlin
„Das Witzige ist: Ich war am 9. November sogar in Berlin. Aber ich habe nichts vom Mauerfall mitgekriegt. Damals habe ich mit meinem Walkman immer RIAS 2 gehört, einen Radiosender aus dem Westen. Ausgerechnet am 9. November war der Walkman kaputt. So habe ich den Fall der Mauer verpasst und bin abends zurück nach Eberswalde gefahren, wo ich damals eine Ausbildung gemacht habe. Am Montag, den 13. November, habe ich es dann endlich geschafft, mir West-Berlin anzugucken. Ich weiß noch genau, wie ich am Bahnhof Zoo aus der S-Bahn gestiegen bin. Ich habe erstmal tief Luft geholt und gedacht, aha, so riecht also der Westen. Es war alles überwältigend. Bei einer Commerzbank in der Nähe vom Zoo habe ich mir das Begrüßungsgeld abgeholt. Ich hab's aber nicht gleich ausgegeben - lieber sparen und dann was größeres kaufen. Drei Wochen später habe ich mir bei Karstadt in Steglitz für 400 Mark den CD-Player gekauft. Unsere West-Verwandten hatten ab und zu Geld geschickt und ich hatte ein bisschen was gespart, aber hundert Mark fehlten mir noch - genau mein Begrüßungsgeld. Der CD-Player steht immer noch bei mir im Bad. Inzwischen muss man ihn allerdings ein bisschen schütteln, damit die CD anläuft."


Ferngesteuertes Spielzeug-Auto Roland Feike, 65, Klein-Kussewitz
„Ich bin niemals der erste am kalten Büffet. Auch beim Begrüßungsgeld hatte ich keine Lust, mich ewig anzustellen. Direkt nach dem Mauerfall haben die Leute bis zu zehn Stunden gebraucht, um von Rostock nach Lübeck zu kommen; das war mir einfach zu blöd. Deshalb sind wir erst kurz vor Weihnachten rübergefahren. Auf dem Weihnachtsmarkt hatte eine Bank einen Container aufgestellt, da haben wir das Begrüßungsgeld für unsere Familie bekommen. Danach sind wir über den Weihnachtsmarkt und durch die Geschäfte gebummelt. Mein erstes Erlebnis war an einem Bäckerstand: Da hat es so lecker gerochen, und wir haben uns einfach ganz normale Brötchen gekauft. Ich habe reingebissen und gleich gemerkt: Oh, da ist aber viel Luft drin. Mein Sohn, er war damals zehn, hat dann in einem Schaufenster den Truck mit Fernsteuerung entdeckt. Der muss es sein, das war gleich klar. Heuzutage kriegt man so etwas für 30 Euro, damals hat er genau 99,90 D-Mark gekostet. Weil er so teuer gewesen war und weil sich diese Erinnerungen damit verbinden, wurde der Truck wirklich gehütet. Ich glaube, wir haben ihn nur bei schönem Wetter benutzt."

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Aluminiumleiter Ursula Wolf, 60, Potsdam
„Das Begrüßungsgeld haben wir uns Mitte November geholt. Mein Mann und ich haben einen Spaziergang über die Glienicker Brücke gemacht, direkt dahinter, im Schloss Glienicke, hatten sie damals eine Bank-Filiale eingerichtet. Toll, jetzt haben wir 200 Westmark, haben wir uns gefreut. Es herrschte eine euphorische Stimmung, aber man war auch unsicher, wie es in der DDR weitergeht. Das Geld haben wir jedenfalls erstmal gebunkert. Wir hatten keine Verwandten im Westen und wollten deshalb etwas kaufen, das wir wirklich brauchen und das es in der DDR nicht gab. Es war damals ja gerade Herbst und in unserem Haus mussten, wie jedes Jahr, die Dachrinnen gereinigt werden. Dafür haben wir uns von unseren Nachbarn immer eine Holzleiter geborgt. Die war zehn Meter lang und entsprechend schwer. Eine Aluminiumleiter wäre die Lösung, haben wir gedacht. Wir haben uns dann lange in Baumärkten umgeguckt und die Leiter schließlich in West-Berlin gekauft; unsere 200 Euro haben gerade so gereicht. Die Leiter war dann die Attraktion in unserer Straße, wir haben sie allen Nachbarn geborgt. Im Osten war das so, man half sich gegenseitig."


Modelleisenbahn Rainer Vogt, 56, Karlsburg
„Ich bin gleich in der Nacht vom 9. zum 10. November rübergefahren. Kurz nach Mitternacht saß ich im Zug nach Berlin, der war so vollgeproppt, dass der Schaffner gar nicht mehr durchgekommen ist. Morgens um vier, halb fünf war ich dann am Bahnhof Zoo. Der Morgen war eklig kalt, und ich habe mich erstmal in ein kleines Kellerlokal verzogen. Als ich um acht einen Rundgang gemacht habe, standen die Leute schon in Dreier- und Viererreihen vor den Banken. Da habe ich mir auch gleich das Begrüßungsgeld abgeholt. In der Nähe vom Kudamm habe ich einen Modelleisenbahn-Laden entdeckt. Ich hatte mich damals schon seit einigen Jahren für Modelleisenbahnen interessiert, aber in der DDR war das alle schwer zu kriegen. In dem Laden fiel mir gleich eine Dampflokomotive auf, die im Osten von TT gebaut wurde, aber bei uns nicht zu bekommen war. So eine schöne, lange Dampflokomotive! Ich weiß noch genau, wie viel ich bezahlt habe: 70 DM. Ich habe dann noch andere Kleinigkeiten gekauft, die es bei uns nicht gab, und bin abends wieder zurückgefahren. Damals war die Freude groß, heute ist sie nicht mehr ganz so groß. Ich bin 56 und arbeite zur Zeit als 1,50-Euro-Jobber. Richtige Arbeit bekomme ich nicht mehr."


Fliesen für die Küche Christel Gütschow, 60, Warnemünde
Die Sache mit dem Begrüßungsgeld war eigentlich eine Verdummung. Wir waren so lange eingesperrt gewesen und blickten nun in dieses bunte Schaufenster: Mich wundert es nicht, dass viele das Geld verjubelt haben. Bei mir und meiner Familie hat es allerdings ein bisschen gedauert, bis wir es ausgegeben haben. Das passierte, als wir einen Onkel meines Mannes in Bielefeld besuchten, da sind wir in unserem Wartburg Tourist rübergefahren. Der Onkel hat nicht verstanden, warum ich von dem Geld ausgerechnet Fliesen kaufen wollte. Ich habe ihm erklärt, wie schwer es zu DDR-Zeiten war, Fliesen zu bekommen: Man musste entweder Beziehungen haben oder nachts um vier am Baumarkt Schlange stehen. Deshalb wollte ich diese schönen, kleinen Mosaikfliesen! Und die habe ich auch gekriegt - obwohl alle dagegen waren.


Gasofen Margarete Grasteit, 88, Dabitz
„Erst wollte ich gar nicht in den Westen fahren, um das Begrüßungsgeld zu
holen. Aber meine Söhne haben mich überzeugt. Mein Mann war damals schon krank und ihm war immer kalt; wir hatten ja auch nur Ofenheizung. Deshalb habe ich gesagt: Von meinem ersten Westgeld kaufe ich für meinen Mann einen kleinen Gasofen, damit er nicht mehr frieren muss. Am 23. Dezember bin ich mit meinen Söhnen im Trabi nach Lübeck gefahren. Bei einer Bank habe ich das Begrüßungsgeld bekommen, und gleich beim selben Besuch haben wir glücklicherweise einen Laden gefunden, in dem wir den Ofen kaufen konnten. Mein Mann hat sich gefreut; er konnte sich noch einige Zeit an dem Ofen wärmen. 1990 ist er gestorben."

Johannes Waechter (Interviews)