Die Idee, Musik aufzuzeichnen, ist eine Idee des 20. Jahrhunderts. Das Tollste, was aus ihr entstand, war die Popmusik. Sie verließ sich völlig auf die Macht, die mit ihrer Aufzeichnung einherging. Sie lieferte uns den Soundtrack für die große Liebe, für das erste Mal, für ein gebrochenes Herz oder auch nur für den ersten Schuss. Sie gab uns den Anstoß, Autoritäten infrage zu stellen und auf die Barrikaden zu gehen.
Durch die Popmusik durften wir uns an ferne Orte träumen, weit weg vom kümmerlichen Alltag. Und die größte Kraft, die einer Musikaufnahme innewohnt, ist die Erinnerung, die sie wecken kann – an die
verlorene Jugend, an vertane Chancen und an jene endlosen Sommertage, als die Welt noch neu war. Doch das Aufnehmen von Musik hatte auch eine Kehrseite: Die Musik verlor einen großen Teil ihrer Kraft. Diese Kraft ergibt sich aus dem Zeitpunkt, dem Ort und dem Anlass der Musik. Liegt sie erst einmal als Aufnahme vor, die jederzeit, an jedem Ort und zu jedem Anlass abgespielt werden kann, verliert sie ihre Unschuld.
Popmusik war das perfekte Produkt für den demokratischen Kapitalismus, der in der Nachkriegszeit über die westliche Welt fegte. Bald stand in jedem Haushalt ein Plattenspieler. Und noch schneller hatte dann jeder Teenager einen in seinem Zimmer stehen. Schallplatten verkauften sich zigmillionenfach. Die Leute konnten nicht genug davon bekommen.
Und es gab immer neue, immer bessere. Für jeden Geschmack, für jede Gesellschaftsschicht, für jede Clique. Wir mussten sie nur immerzu kaufen, und die Musikindustrie würde immerzu weiterproduzieren, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Was in den engen Büros der New Yorker Tin Pan Alley begann, den ersten Musikverlagen, in denen fette Typen mit Zigarren zwischen den Zähnen hockten, wuchs sich in nur wenigen Jahrzehnten zu einem globalen Wirtschaftszweig aus.
Es entstanden winzige und idealistische Independent-Plattenlabel, aber auch mächtige Großkonzerne – und sie steckten, wenn auch unbewusst, alle unter einer Decke: Jeder wollte, dass wir weiterhin Schallplatten kaufen.
Dann kam das Internet in die Welt und bald danach der MP3-Spieler, und wir mussten nicht mehr länger für Musik bezahlen. Auf dem iPod tragen wir mehr Musik spazieren, als wir je brauchen werden. Sie lässt sich überall und jederzeit abspielen. Damit aber ändert sich etwas Grundlegendes, nämlich unsere Beziehung zur Musik. Jetzt, da wir ständig Musik dabeihaben können, ohne dafür bezahlen zu müssen, hat sie nicht mehr länger die gleiche Bedeutung für uns.
Und jetzt, da wir nicht mehr dafür bezahlen, investiert die Musikindustrie nicht mehr die gleichen Summen in Musikaufnahmen, die wir nicht kaufen. Ihr Geschäftsmodell zerbricht. Sie heckt zwar immer wieder neue Geschäftsmodelle aus, weiß aber, dass es vorbei ist. Globale Superstars wie Elvis, die Beatles und Michael Jackson, die Abermillionen durch den Verkauf von Musikaufnahmen generieren, wird es nicht mehr geben. Wenn man in den kommenden Jahrhunderten auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückblickt, wird man ungläubig feststellen, dass schlichte Musiker weltweit bewunderte Helden sein konnten. Auch die mächtigsten Formen der Kunst sind vergänglich.
Kunst, Musik, Sport und Kultur sind heute zu bloßen Produkten verkommen, die wir zu konsumieren haben, damit Dritte davon profitieren können. Unsere Gesellschaft bezahlt die »Talentierten« dafür, ihr Talent auszuüben, während wir untätig dabeistehen (oder -sitzen) können. Das ist, wie anderen Geld zu geben, um sie beim Sex zu beobachten, nur weil die anderen das angeblich so gut können. Dabei gibt es doch nichts Besseres, als selbst Sex zu haben.
(Bill Drummond ist Musiker, Plattenproduzent, Künstler und Publizist. In den Achtzigern landete er mehrere Hits mit seiner Band KLF, 1994 sorgte er mit seiner öffentlichen Verbrennung von einer Million britischen Pfund für Aufsehen. Sein neuestes Projekt heißt "The 17", ein Chor mit 17 ständig wechselnden Mitgliedern, die sich zum improvisierten Singen treffen. Es werden keine Aufnahmen gemacht, und es gibt kein Publikum.)