Völlig fix und foxi

Gibt es etwas Lästigeres als einen Spitznamen, den man sein Leben lang nicht loswird?

Irgendwann ist sie in eine andere Stadt gezogen. Dahin, wo keiner wissen konnte, wie sie früher genannt wurde. Dort stellte sich meine alte Freundin Paula einfach als Paula vor. Und wurde von allen so genannt. Wusste ja keiner, dass sie zu Hause in München immer Zopfi hieß, bei den Freunden, bei den Lehrern, bei den Kollegen. Ein Name, der seit Schulzeiten an ihr haftete wie Fliegenpapier, auch später noch, nach dem Studium und bis in ihr hochwürdiges Amt als Richterin. Der Name eines kleinen Mädchens, das gern Zöpfe trug, nicht ideal für eine erwachsene Frau. Manchmal mussten die anderen Richter sich bremsen, um nicht versehentlich zum Staatsanwalt zu sagen, ach, da fragen Sie mal die Kollegin Zopfi. Nach dem Umzug war alles anders. Der Spitzname verblasste. Endlich.

Man muss nicht gleich die Stadt verlassen, aber einen Spitznamen nicht loszuwerden kann fürchterlich nerven. Man sucht ihn sich ja selten selbst aus, er entsteht in einer Clique, in der Schule, beim Sport. Und ist fast immer böse gemeint, ein bisschen zumindest. Der Begriff Spitzname stammt aus dem 17. Jahrhundert, das »spitz« bedeutete »verletzend«, das gilt heute noch oft. Bei Wikipedia heißt es über die Entstehung von Spitznamen, da »spielen Zustimmung (oder Ablehnung) des Benannten keine Rolle«. Genau das ist das Problem. Wer würde sich selbst den Namen Putzi aussuchen?

Wenn’s blöd läuft, verdrängt der Spitzname den echten Namen völlig. Einer meiner alter Freunde, Hans-Florian, wurde von allen immer nur Foxi genannt. Auch in seiner Familie. Foxi, kommst du zum Essen? Foxi, machst du mal Hausaufgaben? Irgendwann sagte seine Mutter zu ihm: »Eigentlich schade, dass wir dich nie Hans-Florian nennen, so ein schöner Name!« Worauf sein Vater von der Zeitung aufblickte und brummte: »Der Junge heißt Hans? Hätte ich gar nicht mehr gewusst …«

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Jeder Psychologe kann einem erklären, wie Namen uns als Menschen prägen: Ein schräger Spitzname bestimmt den Eindruck, den wir auf andere machen, mindestens so sehr wie unser Blick oder unsere Statur. Wer in einen Raum kommt und sich als Kuddel vorstellt, wird kein Robert mehr. Und der beleibte Mitschüler, den alle Schwabbel nennen, wird später eher selten von den »guten alten Zeiten« schwärmen. Ich kannte vor vielen Jahren eine junge Frau, die wegen ihrer Zahnspange oft »die Klammer« genannt wurde – später, viel später, als Erwachsene, brach sie auf einer Party in Tränen aus, weil sie jemand im Scherz Klammer genannt hatte.

Die Psychoanalytiker Wilhelm Stekel und Karl Abraham mutmaßten schon vor hundert Jahren, dass Namen eine »determinierende Kraft« haben könnten – sie hatten entdeckt, dass die Krankheiten ihrer Patienten oft zu deren Namen passten. Viel später, im Jahr 1999, untersuchten amerikanische Wissenschaftler die Schicksale von Menschen, deren Initialen negativ klangen, zum Beispiel P.I.G. (Schwein) oder D.I.E. (sterben). Das Ergebnis: Diese Menschen starben im Durchschnitt drei Jahre früher als andere Menschen. Klingt absurd, aber wenn doch was dran ist? Frau »Klammer« dürfte es im Leben nicht leicht haben, wenn sie öfter ihren Spitznamen hört.

Nur eine Frage ist nicht ganz geklärt: Warum geben Menschen einander überhaupt Spitznamen? Professor Jürgen Udolph ist Deutschlands bekanntester Namensforscher, er sagt: »Man muss sich das vorstellen wie eine Neutaufe. Von den Eltern erhält man einen klassischen Vornamen, das ist quasi der offizielle Name. Wenn neue soziale Bezüge entstehen, kommt es dann zu dem, was wir Verkosung nennen.« Der Name als zweiter Start ins Leben, sozusagen. Früher wurden aus hartnäckigen Spitznamen oft sogar Familiennamen. Udolph erklärt: »Der schwäbische Name Böbele kommt von Bübchen, da ist die Liebkosung dauerhaft geworden.« Wie man aber Spitznamen wieder loswird, dafür hat auch Udolph kein Rezept. »Wer sich wehrt, intensiviert die Benutzung des Namens eher, das merken Sie ja schon in der Schule. Es ist fast genauso schwierig, wie den eigenen Familiennamen loszuwerden.«

Der Hochadel vergangener Jahrhunderte hatte es da gut, die bekamen auf ihren Schlössern vielleicht gar nicht mit, wie man sie draußen nannte: Karl der Kahle, Pippin der Kurze, Friedrich der Gebissene. In Adelskreisen werden ja bis heute eifrig Spitznamen vergeben. »Mausi«. »Gaggi«. »K. T.« – vielleicht geht’s nicht anders, wenn der Geburtsname zu lang ist. Die einzige andere Welt, in der Spitznamen quasi vorgeschrieben sind, ist die der Altpunks. Campino wird für alle Zeiten Campino heißen. Und der Mann, der ab und zu in dieser einen schrammeligen Kneipe unweit der Hamburger Reeperbahn Platten auflegt, schreibt bis heute auf seine Veranstaltungsplakate: »Heute Abend DJ Scheiße«. So kann man’s natürlich auch machen.

Illustration: Dirk Schmidt