England
Was gilt nun? No sex, please, we’re British? Oder die Tatsache, dass Briten sich die aberwitzigsten Sexspiele einfallen lassen? Die Office-Partys sind berüchtigt als Partnertauschbörse und in populären, dem Leben abgelauschten TV-Serien wie EastEnders scheint es jeder mit jedem zu treiben – nur nicht mit dem Ehepartner. Nicht zu vergessen: Es waren die Engländer, die nicht nur den Begriff des Weekend, sondern auch den der schlüpfrigen Untergattung erfunden haben: des dirty weekend. Ein solches Wochenende verbringt ein Liebespaar in einem lauschigen Country-Hotel, derweil ihre Ehepartner daheim die Kinder zum Fußball bringen und ihre bessere Hälfte auf Dienstreise vermuten.
Stets ging die königliche Familie mit schlechtem Beispiel voran. »Ich bin der Prince of Wales«, erinnerte Thronfolger Charles Ehefrau Diana an seine überlieferten Vorrechte, als die sich über das Techtelmechtel mit dem »Rottweiler« aufregte. Ebenso wie Bürgerliche trafen sich auch Charles und Camilla – ländlich-unsittlich – irgendwo bei einem Poloturnier oder einer Rebhuhnjagd und verdrückten sich dann ins Schlafzimmer. Und Charles war nicht der Einzige: Prinz Andrew, Prinzessin Margaret, Prinz Philip und die angeheirateten Damen Diana und Fergie – sie alle waren keine Kostverächter, wenn es darum ging, »a bit on the side« zu vernaschen, wie man eine ehebrecherische Kurzaffäre niedlich nennt. Wie viele Ehemänner und -frauen fremdgehen, ist nirgends statistisch erfasst, aus gutem Grund: Niemand will in einem Fragebogen festgehalten sein, wenn er fremdgeht. Bestenfalls Anhaltspunkte gibt es. Eine im letzten Jahr durchgeführte Erhebung der Finanzberatungsfirma Grant Thornton kam zu dem Ergebnis, dass knapp die Hälfte aller in eine Scheidung verstrickten wohlhabenden Paare einen Privatdetektiv einschalten, um Ehebruch nachzuweisen.
Vor vier Jahren veröffentlichte die Wissenschaftszeitschrift New Scientist eine Studie, wonach einer von sieben Männern und eine von elf Frauen jedes Jahr untreu sind. Dem scheint eine Erhebung der britischen Statistikbehörde zu widersprechen, dass eine von acht Frauen im vergangenen Jahr überhaupt keinen Sex hatte. Vielleicht hat ja doch die Psychologin Petra Boynton vom University College London recht, wenn sie kaltes Wasser auf die erhitzte Fantasie gießt: »Man präsentiert uns ständig falsche Daten, wonach es hier alle wie Kaninchen treiben«, meint sie. »Aber tatsächlich sind wir keine Nation, die herumschläft und Risiken eingeht.« Wie erkannte doch bereits der kritische Britenbeobachter George Mikes: »Menschen auf dem Kontinent haben ein Sexleben. Briten haben Wärmflaschen.«
Wolfgang Koydl
Orient
Der Seitensprung birgt hier Risiken, dies zeigt schon die Lektüre der Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Vielleicht liegt es an dieser – literarisch veredelten – Verbindung aus Leidenschaft, Tabu und aus dem Vollen schöpfender Gewalttätigkeit, dass der Seitensprung in der islamischen Welt bis heute ein höchst diskretes Unternehmen sein muss: Der Islam als moralischer Normgeber hat wenig Verständnis für eheliche Abstecher. Nach strengem islamischem Recht stehen darauf Peitschenhiebe oder der Tod.
Frau und Mann zwischen Kairo und Kabul sollten deshalb gewisse Vorsichtsmaßnahmen beachten. Zwar wird der Vollzug islamischen Rechts – Steinigung der Frau bei Ehebruch und so weiter – außer bei talibanisierenden Fundamentalisten, allzu rückwärts gewandten persischen Ayatollahs oder in den hintersten Dörfern Oberägyptens nicht mehr gefordert. Zumindest in Ägypten schlagen die Gefühle aber leicht hoch: Die Zeitungen sind voller Berichte über erschossene, erschlagene, verbrannte oder vergiftete Ehefrauen sowie gemeuchelte und in den Nil geworfene Ehemänner und Nebenbuhler. Wobei die Regel gilt: Je höher der soziale Stand, desto seltener fließt Blut.
Wie immer im islamischen Kulturraum ist der Mann auch beim Seitensprung besser gestellt. Er kann, da der Islam jedem Mann vier Frauen gestattet, die Geliebte einfach zur Zweitfrau machen. Er muss die angeheiratete Geliebte allerdings alimentieren. Ist ihm die staatlich anerkannte Vielehe zu teuer oder fürchtet er das Gezeter der Erstfrau, kann er auf die »Orfi-Ehe« zurückgreifen. Die semioffizielle Zeitehe erlaubt legale Liebschaften mit unverheirateten Frauen und endet mit dem Zerreißen des Ehevertrags.Diese Zweckehe ist von Ägypten bis in den Iran beliebt: Solange die Frau unverheiratet, geschieden oder verwitwet ist, gibt es keine Probleme. Was ihre Familie dazu sagt – gefürchtet sind in ihrer Ehre angekratzte Brüder –, ist eine andere Frage. Im Iran legalisiert die Zeitehe sogar den käuflichen Seitensprung: Dort können Paare Zeitehen zwischen zehn Minuten und 99 Jahren Dauer eingehen.
In der Praxis lässt sich so oder so fast alles auch ohne Ehevertrag einrichten. Wer als verheirateter Mann der gehobenen Mittelklasse Wert auf den eigenen islamisch-moralisch einwandfreien Lebenswandel legt, wird im Regelfall einfach eine Zweitwohnung mieten. Denn in den eigenen vier Wänden vollzogene Verhältnisse haben schnell Mitwisser: Der Baoab, der ägyptische Türsteher, weiß alles und registriert auch Damenbesuch. Das Hotel als Alternative erfordert Doppelbuchungen. In einem islamischen Land wie Ägypten können Unverheiratete im Hotel kein Doppelzimmer nehmen. An zwei Einzelzimmern hindert sie aber keiner. Wenn auch das nicht klappt: 95 Prozent von Ägypten sind Wüste. Da findet sich schon noch ein Plätzchen.
Tomas Avenarius
Belgien
Die Belgier teilen mit den Franzosen nicht nur die Sprache, sondern auch eine Neigung zu Affären. Bei der globalen Umfrage eines globalen Kondomherstellers berichtete mehr als jeder Vierte von Seitensprüngen. Damit liegen die Belgier über dem weltweiten Durchschnitt. Ob das ein Grund dafür ist, warum sie mit ihrem Sexleben zufriedener sind als etwa die Deutschen oder gar die armen Chinesen (zu 78 Prozent unglücklich)? Die Interviewer haben die Chance verpasst, es herauszufinden. Bemerkenswert ist es auf jeden Fall, dass die Belgier häufig fremdgehen. Denn eheliche Untreue wird mit hohem kriminalistischem Aufwand verfolgt. Wer dem Partner einen Seitensprung nachwies, konnte bisher die Scheidung beschleunigen und höheren Unterhalt herausschlagen. Um den Partner in flagranti zu ertappen, stellt man einen Antrag bei Gericht. Ein Gerichtsvollzieher verschafft sich dann ab fünf Uhr morgens Zutritt zu der Wohnung, in der der eheliche Betrug vermutet wird. Er sucht Beweise. Er prüft, ob die Laken noch warm sind. Allein 2004 schlugen die Gerichtsvollzieher 4530 Mal zu, berichtet die Zeitung DeMorgen.
Bis vor 15 Jahren war Untreue offiziell sogar eine Straftat. Die Belgier gingen dennoch fremd. Wie so häufig sind Regeln in diesem Land das eine, die Realität etwas anderes. Tabus sind da, um sie zu brechen. Aber heimlich. So hält es auch König Albert II. Als er schon verheiratet, aber noch nicht König war, traf sich der Adelige mit den sieben Vornamen jahrelang diskret mit einer Baronin. 1968 entsprang der Liaison sogar eine Tochter, die ihn zärtlich Papillon (Schmetterling) rief. Belgische Journalisten wussten davon, schrieben aber nie darüber. Bis ein junger Autor 1999 die Existenz der unehelichen Tochter Delphine enthüllte. Der König bekannte sich daraufhin in seiner Weihnachtsansprache zu »ehelichen Problemen«, die aber längst vorüber seien. Delphine, eine Künstlerin, beklagte sich, dass ihr Vater den Kontakt verweigert, und stellte in Brüssel Werke mit Anspielungen auf ihre Herkunft aus. Die Belgier scheinen immer noch unsicher, wie sie mit der royalen Affäre umgehen sollen. Das zeigte dieser Tage ein Scherz. Seit 1. Juli gilt ein neues Erbrecht, das unehelichen Kindern dieselbe Hinterlassenschaft einräumt wie ehelichen. Als ein Sturz des Königs bekannt wurde, schrieb ein Zeitungsleser, Albert II. sei wohl vor Schreck über die Vererbung an Delphine die Treppe hinuntergefallen. Die Zeitung nahm den Leserbrief schnell von ihrer Webseite.
Alexander Hagelüken
Russland
In seiner Erzählung Die Dame mit dem Hündchen verglich Anton Tschechow das fremdgehende Liebespaar Dmitrij und Anna mit Zugvögeln, »einem Männchen und einem Weibchen, die man gefangen und gezwungen hatte, in getrennten Käfigen zu leben«. Der Seitensprung ist das große Thema der russischen Literatur, er zieht sich durch Tolstois Anna Karenina, Scholochows Stillen Don und Bulgakows Der Meister und Margarita. Das begründet die Vermutung, eheliche Treue und Untreue seien gerade in Russland ein Thema von besonderer Brisanz. Die Zahlen scheinen das zu bestätigen.
Umfragen zufolge bekennt sich die Hälfte aller russischen Männer dazu, gelegentlich oder regelmäßig fremdzugehen. In Moskau soll die Zahl sogar bei 76 Prozent liegen. Auf der Seite der Frauen bekennt sich jede vierte zu Seitensprüngen; in der Hauptstadt sind es 40 Prozent. Und dennoch: Knapp die Hälfte der Russen ist überzeugt, Ehebruch sei in keinem Fall gerechtfertigt. Nach Ansicht des Moskauer Psychologen und Sexualwissenschaftlers Jurij Lewtschenko ist die russische Gesellschaft in ihrem Urteil über Seitensprünge traditionell ungerecht. »Der Ehebruch des Mannes wird seit je akzeptiert«, sagt er.
Das häusliche Regelwerk Domostroi aus der Zeit Iwans des Schrecklichen gab dem Mann jedenfalls freie Hand, die Frau hatte sich vollständig unterzuordnen. Als natürlich wurde in jener Zeit der Ehebruch des Mannes empfunden, zumal er in Kriegszeiten oft Jahre vom heimischen Herd getrennt war. Bis ins 19. Jahrhundert galt die absolute Autorität des Mannes über die Frau. Bauern sahen es als ihr gottgewolltes Recht an, ihre Frauen regelmäßig zu verprügeln. Das wirke bis heute nach, glaubt Lewtschenko. Häufig seien Frauen bereit, Seitensprünge ihres Gatten zu verzeihen, um die Ehe zu retten.
Die Gattin des reichsten aller Russen mag anfangs auch so gedacht haben. Als dann aber Bilder von Roman Abramowitsch mit seiner deutlich jüngeren Freundin an die Öffentlichkeit gelangten, blieb doch nur die Scheidung, angeblich eine der teuersten der Geschichte. Ein »Fakt« sei es, versichert Lewtschenko, dass die Liebhaberin zum wohlhabenden Russen gehöre »wie ein neues Auto«. Immer öfter seien es aber gerade die Frauen, die sich nach sexueller Erfüllung außerhalb der Ehe sehnten. Russen über 30 kämen ihren ehelichen Pflichten nämlich häufig kaum nach, litten unter »Stress-Impotenz« oder seien wegen übermäßigen Alkoholgenusses inaktiv. Frauen über 30 würden die Lust am Sex hingegen erst richtig entdecken. Es gehe da, versichert der Psychologe, »wirklich um Sex. Nicht um Romantik.«
Daniel Brössler
Schweden
Auch in Deutschland ist die Vorstellung von Schweden als dem Land der freizügigen Frauen tief verwurzelt. Sie wurde Anfang der Achtzigerjahre in Bahnhofskinos verfestigt. Dort lief eine ganze Reihe von Schmutzfilmchen, deren Hauptpersonen »Sechs Schwedinnen« waren, die wahlweise »im Pensionat«, »auf Ibiza« oder »auf der Alm« ihre Hüllen fallen ließen. Sie vermittelten den Eindruck, ein Flugticket nach Stockholm sei die beste Voraussetzung für einen Seitensprung. Vermutlich sind damals viele Bahnhofskinobesucher hoffnungsfroh nach Norden gereist. Und wurden bitter enttäuscht.
Denn Schwedinnen und Schweden sind eher kühl und zurückhaltend. Oft befinden sie sich in festen Händen, und es gilt als normal, dass man treu ist. Ein Seitensprung ist nichts, womit man vor Freunden prahlt. Obwohl er vorkommt: Der Studie Sex in Schweden des Instituts für Volksgesundheit zufolge waren 38 Prozent der Männer und 23 Prozent der Frauen schon einmal untreu. Bei den meisten lag das Ereignis aber mehr als zwölf Monate zurück, Fremdgehen ist also nicht alltäglich.
Meistens, aber nicht immer. Das zeigt das spektakulärste Beziehungsdrama der vergangenen Jahre: der Mord an der Pfarrersfrau Alexandra Fossmo. Sie war im Januar 2004 im Bett von ihrem Kindermädchen erschossen worden, das eine Affäre mit dem Pfarrer Helge Fossmo hatte. Der Pastor hatte seiner Geliebten per SMS die Bluttat befohlen. Die Polizei stellte fest, dass der charismatische Fossmo das Dorf Knutby in eine Art Sekte verwandelt hatte und auch zu anderen Gemeindemitgliedern sexuelle Kontakte pflegte. Heute sitzt der Mann im Gefängnis. Neulich sorgte er für Schlagzeilen, als er bekannt gab, er wolle wieder heiraten. Der Fall beweist, was Leser von Schweden-Krimis längst wissen: dass im wahren Leben hinter den biederen Sommerhaus-Fassaden manchmal Abgründe lauern. Und die Schwedinnen in den deutschen Bahnhofskinos wirken dagegen – trotz aller Kurven – ziemlich platt.
Gunnar Herrmann
Uganda
Der freudige Sprung ins Gebüsch hätte Isa Kasule beinahe seinen Kopf gekostet. Affären sind eine riskante Sache und der 25-Jährige darf sich vermutlich glücklich schätzen, dass er mit dem Leben davongekommen ist. Kaum hatte er sich mit der Frau seines Nachbarn Yusuf Kato ins dichte Grün zurückgezogen, da sauste auch schon die Panga auf ihn nieder. Der wütende Ehemann hatte den beiden heimlich aufgelauert. Und sein Zorn war in diesem Moment so groß, dass er dem Liebhaber am liebsten den Kopf mit der Machete abgeschlagen hätte. Mit schweren Wunden kam Kasule schließlich ins Krankenhaus, Reporter zogen ans Bett des Schwerverletzten und breiteten die Geschichte von Wut, Leid und Liebe in den Zeitungen aus.
Über Sex und Ehebruch wird in ugandischen Medien offen berichtet, diese Themen sind kein Tabu wie in manchen anderen Gegenden Afrikas. Kasules Fall ist zwar besonders drastisch, doch gefährlich leben viele, die hier einen Seitensprung wagen. Nicht so sehr wegen der Wut der Betrogenen, sondern wegen Aids, das den Kontinent besonders schlimm heimsucht: »Affären in der Ehe tragen erheblich zur Verbreitung von HIV bei«, sagt der Psychologe Henry Nsubuga, der im Radio über die Krankheit aufklärt. Dabei ist es nicht so, dass Seitensprünge besonders geächtet wären. »Wenn jemand ein außereheliches Verhältnis hat, ist das in Uganda keine große Sache und von der Gemeinschaft mehr oder weniger akzeptiert.«
Aber untreue Partner riskieren, sich mit Aids zu infizieren. Und darin liegt das eigentliche afrikanische Drama, das nicht nur in Uganda zu beobachten ist. Millionen Kinder des Kontinents verlieren auf diese Weise ihre Eltern, wer immer sich in Afrika also auf eine neue Liebschaft einlässt, kann dadurch die Existenz der eigenen Familie bedrohen. Schreckt dieses Risiko die Menschen ab? Wird der Seitensprung aussterben, weil Aids in Afrika so gefährlich ist? »Danach sieht es im Moment nicht aus«, meint Henry Nsubuga. Die Polygamie, einst weitverbreitet, ist noch heute in entlegenen Gegenden gängig. Männer, die mehrere Frauen haben, gelten als wichtig und wohlhabend, weil sie ihre weitverzeigten Familien versorgen müssen. »Weniger Polygamie brachte vermutlich mehr Ehebruch«, sagt der Psychologe.
Ein Mann, der mehrere Ehefrauen hat, sei weniger geneigt, noch weitere Beziehungen einzugehen. Schließlich verlangen auch die Geliebten nach Handys, Schmuck und anderem Luxus. Im Gegensatz zu früher, als die Vielehe noch festes Element der Gesellschaft war, gibt es heute offenbar mehr Partnerwechsel, was Nsubuga einerseits mit einem Wandel der Werte durch den Ansturm der Moderne erklärt. Und andererseits mit dem Verfall der Sitten, ausgelöst durch die politischen Wirren nach der kolonialen Unabhängigkeit. Vor allem der Terror des Diktators Idi Amin hat vieles in Uganda zerschlagen, und Nsubuga glaubt, dass die Zeit der Gewalt und Willkür bis heute die Treue in der Ehe untergräbt. Bewiesen ist dies nicht. Aber gut möglich.
Arne Perras
Deutschland
Auch in Deutschland gibt es einige Dinge, die der in fester Paarbeziehung lebende Mensch kurz, aber sorgfältig bedenken sollte, bevor er seinen Fremdgehsubstanzen Adrenalin, Testosteron, Phenylethylamin oder Östrogen die Chance einräumt, über die etwas schwächeren Treuehormone Vasopressin und Oxytocin zu siegen. Zum Beispiel dass Bayern nicht Deutschland ist und Ingolstadt nicht Berlin.
So scheint zum Beispiel das bayerische Ingolstadt für die Reputation eines Dauerfremdgehers sehr viel ungeeigneter zu sein als die Hauptstadt, obwohl es hier andererseits, in bestimmten muslimischen und schariahörigen Gegenden von Berlin-Kreuzberg beispielsweise, lebensgefährlich werden kann, vor allem, wenn die fremdgehende Person weiblich ist. Für rotblonde Tennisstars aus Deutschland dagegen sind Besenkammern in Londoner Hotels ganz offensichtlich sehr viel ungeeigneter als das »P1« zu München. Aber das ist noch einmal eine ganz andere Geschichte. Die überwältigende Mehrheit der Menschen in Deutschland nennt in allen Umfragen gänseähnliche Treue als wichtigste Voraussetzung für eine funktionierende Liebesbeziehung oder Ehe.
Untreue ist auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Deutschland der Anfang vom Ende der meisten Paare. Jeden Monat treffen sich ungefähr 32000 Männer und Frauen vor dem Scheidungsrichter, weil es mit der ewigen Treue nicht hingehauen hat. 200 000 Ehen pro Jahr werden geschieden. Noch einmal doppelt so viele unverheiratete Paare gehen wegen Liebesverrat Monat für Monat wieder auseinander. Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung, Volkmar Sigusch, sagt: »Die Ehe mit dem Ideal der ewigen Treue wurde zu einer Zeit erfunden, als die Menschen jung starben und ein Paar nur wenige Jahre miteinander lebte.«
Langzeitpaare, die über Jahrzehnte harmonisch miteinander leben und zugleich sexuell aktiv bleiben, sind die Ausnahme. Alle anderen romantischen Langleber, die nicht in heimlicher und ständig von der Aufdeckung bedrohter Doppelmoral leben wollen, sind – das ist die eine Alternative – dazu verdammt, sich in serielle Monogamie zu stürzen, wie der Kanzler und der Vizekanzler der letzten deutschen Bundesregierung, die inzwischen zusammen insgesamt neunmal verheiratet sind. Die andere Möglichkeit scheint zu sein, als mehr oder weniger entsexte Wesen zusammenzubleiben und so das romantische und von der Gesellschaft beklatschte Ideal von Paarbeziehung zu realisieren.
Für welche Variante der Mensch sich entscheidet, hängt, wie gesagt, vom gesellschaftlichen und topografischen Kontext ab. Der CDU-Ministerpräsident Christian Wulff hat seine Frau unlängst – ohne politisch Schaden zu nehmen – für eine andere verlassen. Die geschiedene Generalsekretärin der CDU, Angela Merkel, lebte viele Jahre so unverheiratet wie unbehelligt mit ihrem Professor Sauer. Liebe und Ehe, auch wilde Ehe, Promiskuität, Seitensprünge und serielle Monogamie werden wie Homosexualität in der Berliner Republik und den meisten Teilen und Schichten Deutschlands als Privatangelegenheiten angesehen. Es gibt für Politiker, Showbiz-Stars und andere Prominente in Deutschland deswegen auch einen vergleichsweise berechenbaren Boulevard und sogar die unausgesprochene Verabredung, Denunziationen aus dem Privatleben von Politikern nicht zu drucken.
Die Berliner Republik funktioniert wie das moderne Frankreich, in dem eine Frau, die mit dem Vater ihrer vier Kinder nicht verheiratet ist, ohne Schaden für das höchste Amt im Wahlkampf antreten konnte – gegen einen Mann, über dessen Eheprobleme und Kompensationshandlungen sich ganz Paris amüsiert. Ganz anders aber, eher wie im christlich-fundamentalistischen Amerika, funktioniert die Sache mit dem Seitensprung in ländlich-katholischen Gegenden und im Kontrollbereich der CSU, weswegen Bayern auch in dieser Hinsicht nicht Deutschland ist und Ingolstadt nicht Berlin. Horst Seehofer, der versucht hat, in beiden Kulturkreisen zu agieren, hätte sich von Theo Waigel erklären lassen können, in welchem Moment die Falle der bayerischen Doppelmoral zuschnappt: zum Beispiel, wenn sie zu einer Waffe im politischen Machtkampf wird.
Und vielleicht hätte ihm auch einer erklären müssen, damit sind wir wieder bei Boris Becker und der Besenkammer, dass sich die Sache mit dem Seitensprung dramatisch verschärft, sobald ein neues Menschenkind ins Spiel kommt – selbst wenn es nicht wie ein wandelnder Vaterschaftstest aussieht.
Evelyn Roll
Argentinien
In diesem Frühjahr ließ sich Cecilia Bolocco, ehemalige Schönheitskönigin und verheiratet mit dem einstigen argentinischen Staatschef Carlos Menem, auf Fotos mit einem italienischen Liebhaber sehen -- oben ohne und »bei einer offensichtlich sexuellen Handlung«, wie die chilenische Zeitung El Mercurio etwas pikiert feststellte. Spätestens danach hatte der gealterte Frauenheld Menem, 77, mit seinen gefärbten Haaren die sprichwörtlichen Hörner auf. »Poner los cuernos« heißt das auf Spanisch. Das Publikum wurde dabei auch jenseits der Anden unterhalten, denn Señora Bolocco, 41, ist Chilenin.
In solch klatschverliebten Ländern stoßen öffentliche Seitensprünge auf enormes Interesse. Argentinische Medien berichten außerdem seit Monaten in immer schrägeren Einzelheiten über einen offenbar sexuell bedingten Mordfall an einer Frau. Man entdeckte dabei unter anderem ein bizarres Gesellschaftsspiel. Es heißt, Paare hätten sich in einem gesicherten Reichenviertel in einer Villa versammelt und ihre Zimmerschlüssel in eine Schüssel geworfen. Aus dem Angebot wurde dann blind gezogen, hinter jedem Schloss wartete eine andere Dame, darunter das nachmalige Opfer. Solche Geschichten illustrieren, dass sich die Prominenz im Zweifel noch schlimmer aufführt als der Durchschnitt.
Ansonsten ist Untreue im südlichen Südamerika so häufig wie vielleicht im südlichen Europa. Männern wird eine möglichst unauffällige Abwechslung in der Regel eher nachgesehen, die Macho-Strukturen sind hartnäckig. Abenteuer können jedoch Folgen haben. In Argentinien wurde Ehebruch zwar 1995 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, fällt aber bei Trennungen ins Gewicht. In Brasilien ist es theoretisch weiterhin ein Vergehen, wird allerdings praktisch nicht verfolgt, die Gerichte hätten allerhand zu tun. Der Umgang mit zwischenmenschlichen Beziehungen ist an den Stränden eher unverkrampft. In beiden Nationen haben sich dennoch Privatdetektive darauf spezialisiert, mutmaßliche Schwerenöter gegen Honorar in flagranti zu erwischen. Eifersüchtige Argentinier und Argentinierinnen gehen im Falle solcher Krisen erst mal zum Psychiater, zumindest in Buenos Aires gibt es Heerscharen davon. Eine Therapie gehört zum Standard.
Im tendenziell konservativen Chile sind Scheidungen erst seit 2004 erlaubt, das Ehepaar Menem will sich nun ordnungsgemäß trennen. Cecilia Bolocco, inzwischen Moderatorin im chilenischen Fernsehen, leitet auch eine passende Sendung. Quién cambia a quién? heißt ihre Reality-Show auf Canal 13, »Wer tauscht mit wem?« In dem beliebten Programm wechseln Familien vorübergehend Gattinnen und Mütter, es gibt dafür sogar Geld.
Peter Burghardt
Amerika
Amerikas berühmtester Seitensprung war eigentlich keiner. Jedenfalls wenn man nach einem der Beteiligten geht. Präsident Bill Clinton definierte das, was zwischen ihm und Monica Lewinsky im Oval Office passiert war, seinerzeit nicht als Sex – und schon gar nicht als Seitensprung. Die Amerikaner wählten bald darauf einen Mann ins Weiße Haus, der eine Art Gegenentwurf zur hedonistischen Lebensart seines Vorgängers verkörpert. Affären zumindest wurden von George W. Bush nie bekannt.Damals hatte eine Frage eine hochpolitische Wendung genommen, die man sonst eher in Sexualreports vermutet. Wie promiskuitiv ist der Amerikaner wirklich? Und die Amerikanerin? Eine Frage, auf die es keine ehrliche Antwort gibt. Oder besser gesagt, viele, denn wie so oft sind die Antworten interessengeleitet.
Wenn man einschlägigen Fachblättern wie People oder US Weekly traut, sinnen Brad und Angelina und all die anderen US-Prominenten über nichts anderes nach als über die wechselseitigen mutmaßlichen Seitensprünge – wenn sie nicht gerade ein Baby in Afrika oder sonst wo in der Welt adoptieren. Auf Internetseiten wie privateaffairs.com können »Leute, die gerade in einer außerehelichen Beziehung stehen« Fachberatung erhalten unter dem Motto »affairs happen«. Frei nach der amerikanischen Redensart »shit happens« – Scheißdreck passiert eben.
Die US-Affärenberater sind sich ziemlich einig: 60 Prozent aller verheirateten amerikanischen Männer und 40 Prozent aller Frauen hatten irgendwann einmal eine Affäre. Was dazu führt, dass es in exakt 72 Prozent aller US-Ehen schon einmal zu einem Seitensprung kommt. Nach welchem Berechnungsschlüssel auch immer die einschlägigen Experten auf diese Zahl kommen. Wissenschaftlich lässt sie sich jedenfalls nicht belegen.
Mitte der Achtzigerjahre fand eine Studie heraus, dass höchstens zwischen 15 und 17 Prozent aller verheirateten Amerikaner bekennen, einmal eine Affäre gehabt zu haben. Diese Zahlen stiegen seither nur tendenziell etwas an. »Man darf daraus schließen, dass außerehelicher Sex in heterosexuellen Verbindungen in den USA in weniger als 25 Prozent der Beziehungen vorkommt«, stellte der Familientherapeut Adrian Blow (sic!) vor zwei Jahren fest.
Und wenn die Amerikaner zum Seitensprung ansetzen, dann tun sie es auch noch mit schlechtem Gewissen. Jedenfalls ziemlich oft. Untreue, so das Ergebnis gleich mehrerer wissenschaftlicher Studien, halten die US-Bürger in ihrer großen Mehrheit für moralisch verwerflich. Die renommierte Soziologin Pepper Schwartz von der Uni im eher libertinären Seattle konstatiert trotz alledem eine Tendenz zum Seitensprung: »Außerehelicher Sex ist heute eher möglich, wird kulturell eher akzeptiert.«
Allerdings kann man mit einigem Recht all diese Daten anzweifeln: Die Amerikaner lassen sich nicht so gern unter die Bettdecken gucken. »Wenn es um Treue und Untreue geht, lügen die Leute routinemäßig«, sagt die Autorin Peggy Vaughan. Aber vielleicht ist auch sie ein bisschen voreingenommen. Der Titel ihres in den USA mehrmals aufgelegten Beratungsklassikers lautet: Mythos Monogamie.
Reymer Klüver
Schweiz
Einen Bekenner gibt es immer. In St. Gallen ist es Rocco Maciariello. Der Anlagenbauer machte aus seinem eigenen Seitensprung eine Geschäftsidee: Im Zweitberuf vermietet er »Seitensprungzimmer« per Internet. Durch ihn weiß man, dass es auch im Land von Heidi und Calvin, zwischen Enzian und Kuhglocken, zu Seitensprüngen kommt und dass sie keineswegs so selten sind, wie man vermuten würde. Nach der Yasminelle-Umfrage des Bayer-Konzerns liegt die Eidgenossenschaft, gemessen an Seitensprüngen, sogar über dem europäischen Durchschnitt. Nach dieser Befragung hatten immerhin 29 Prozent der Schweizer schon einmal eine Affäre nebenbei. Für so sexuell umtriebig, wie es der Pillen-Konzern darstellt, hält freilich nicht einmal Rocco seine Landsleute.
Geredet wird in der Schweiz über dieses Thema allenfalls unter sehr engen Freunden. Nach den Schweizer Zeitungen zu schließen, kommt es zum Ehebruch ohnehin nur bei Popstars in Las Vegas oder vielleicht noch in Berlin. Eine – zu Unrecht vermutete – Affäre dort um den damaligen Schweizer Botschafter Borer-Fielding löste anno 2002 zu Hause ein kleines Erdbeben aus. Höher schlugen die Wellen der Empörung über Seitensprünge in der Schweiz nur Ende der Fünfzigerjahre bei Iris von Roten: Sie machte kein Geheimnis daraus, dass sie und ihr Mann eine offene Ehe führten. Als Iris dann auch noch ein feministisches Buch veröffentlichte und nicht aufhörte, das allgemeine Wahlrecht für Frauen (das in der Schweiz erst 1971 eingeführt wurde) zu propagieren, entlud sich der Zorn bei der Basler Fasnacht: Eine Strohpuppe von Iris von Roten ging in Feuer auf.
Seitdem haben sich die Zeiten geändert: Genf, Zürich oder Basel sind Multikulti-Städte geworden und der Einfluss der Kirchen ist geschwunden. Manches hat sich aber auch nicht geändert: Mit dem kleinen Flirt, der dann manchmal in die Affäre mündet, tun sich die Eidgenossen auch heute eher schwer. »Die Schweizer sind zu ernsthaft, das Spielerische, das Leichte, geht ihnen oft ab«, meint die schweizerisch-deutsche Schriftstellerin Susann Sitzler. Nicht geändert hat sich auch, dass die Schweiz ein kleines Land ist, in dem jeder jeden kennt. Die soziale Kontrolle ist deshalb noch immer stark. Überdies: Alkohol, freitagabends in Dublin oder London die gängige Vorbereitung für eine gemeinsame Nacht, spielt keine Rolle in dem Land, in dem man den Wein in kleineren Mengen serviert bekommt als anderswo den Schnaps. Sitzlers Fazit: Ehebrüche dürften in der Schweiz seltener sein als anderswo.
Dagegen stehen die Erfahrungen von Rocco Maciariello, denn sein Geschäft mit den »Seitensprungzimmern« ist einträglich. Schließ-lich ist es nicht jedermanns Fall, mit dem Begleiter nachmittags in ein normales Hotel ein-zuchecken und drei Stunden später die Rechnung zu bezahlen. Und in seiner Altersklasse – er ist 40 – turnt man auch nicht mehr gern auf dem Autorücksitz.
Gerd Zitzelsberger
China
Das Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte hat Chinas uralte Sitte neu aufleben lassen, dass sich erfolgreiche oder mächtige Männer Konkubinen halten. Die Frauen gelten als Statussymbole, genau wie die Zweitvilla in den Bergen. In Chanel-Kostümen gekleidet, mit Chauffeur zum Shoppen kutschiert, sind sie in vielen Städten zu einem echten Wirtschaftsfaktor geworden. Die Männer kaufen ihren Geliebten teure Wohnungen und nehmen dafür das Recht in Anspruch, sie jederzeit besuchen zu dürfen. Doch während all dies bis vor kurzem ein Tabu war, über das nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert wurde, waschen nun immer mehr Geliebte oder Zweitfrauen ihre schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit.
Das Bloßstellen im Internet ist besonders beliebt. Guang Xie etwa, neureicher Angestellter eines Staatsbetriebes, hatte sich lange still an seiner 26-jährigen «er nai« erfreut. «Er nai«, was sich in etwa mit «Zweitbusen« übersetzen lässt, nennt der chinesische Volksmund die Geliebten. Er hatte die schöne Yi Fei beim Tierarzt kennengelernt. Sie, ihren kranken Pinscher auf dem Arm, war beeindruckt von seinem Wissen über Tiere. Er, seinen Terrier an der Leine, war Feuer und Flamme. Erst Monate nach Beginn ihrer Beziehung fand Yi Fei heraus, dass Xie Guang verheiratet war. Er hielt sie hin, sagte immer wieder, er würde sich scheiden lassen. Yi Fei wurde schwanger. Als sie glücklich bei Xie Guang anrief, riet er zur Abtreibung. Stattdessen stellte Yi Fei ihre Geschichte ins Internet. Dann ging sie zur örtlichen Tageszeitung «Chu Tian Du Shi Bao« und gab ein Interview. Ihr Liebhaber konnte ihre Entscheidung dann in der Zeitung lesen. «Ich werde dieses Kind zur Welt bringen«, stand da.
Es ist ein so schnell wachsender Trend, dass der Anwalt Zheng Baichun damit seinen Lebensunterhalt verdienen kann. «Zweitfrauen sind auch Menschen, sie haben Menschenrechte« steht oben auf seiner Webseite. Er hilft den Frauen, ihre Rechte durchzusetzen. Mehrere hundert haben sich schon bei ihm gemeldet. Anwalt Zheng schreibt Briefe, in denen beispielsweise steht: «Sie müssen Alimente für dieses Kind zahlen, wenn Sie Ihren Posten als Büroleiter behalten wollen. Sonst werden alle Details im Internet veröffentlicht und an ihre Vorgesetzen verschickt.« Nach diesem speziellen Schreiben sollen sofort 20.000 Euro überwiesen worden sein.
Im «Rechtlichen Testzentrum Taitai« in der südchinesischen Stadt Shenzhen brummt das Geschäft mit DNA-Tests. Viele Zweitfrauen kommen, um sich für ihre Unterhaltsklagen zu wappnen. Doch nicht immer sind die Tests erfolgreich. Eine örtliche Zeitung beschrieb, wie zwei Männer im Wartezimmer in schallendes Gelächter ausbrachen, weil keiner von beiden der Vater des Kindes war. Weniger lustig geht es zu, wenn die Geliebten die korrupten Geschäftspraktiken der Männer blossstellen. Vize-Admiral Wang Shouye, der stellvertretende Kommandeur der chinesischen Marine, hatte sich für besonders gerissen gehalten. Zuständig für den Bau von Armeebaracken, hatte er umgerechnet 16 Millionen Euro an Schmiergeldern kassiert. Einen Teil des Geldes stopfte er in bar in die Trommel seiner Waschmaschine. Pech nur, dass seine Geliebte das Versteck kannte und es nach einem Streit der Disziplinarkommission der Kommunistischen Partei verriet. Wang wurde zum Tode verurteilt.
Henrik Bork
Italien
Hat er nur kokettiert oder ist er wirklich gesprungen? Und wenn ja, wohin? In diesem Winter beschäftigte Italien ein heißes Thema: die amourösen Eskapaden des reichsten Bürgers des Landes, dreifachen Ex-Premiers und Oppositionsführers Silvio Berlusconi, des Mannes also, den sie Cavaliere nennen. Dieser Kavalier gleitet bisweilen in die Rolle des Casanova ab, argwöhnt seine Ehefrau. Deswegen schrieb die Signora (50) ihrem Gockelgatten (70) einen Brief – auf Seite eins der großen nationalen Tageszeitung La Repubblica. Dort erfuhren die verblüfften Leser beim morgendlichen Espresso: Veronica hat die Techtelmechtel ihres Silvio und seine schamlos-charmanten Avancen an Show-Schönheiten, Fernsehfeen und Filmsternchen satt.
Der Sprunghafte reagierte stante pede. Öffentlich versicherte er Veronica seiner Ergebenheit, wenn auch nicht unbedingt seiner Treue. »Ich schütze Deine Würde wie einen Schatz, auch wenn meinem Mund ein gedankenloser Scherz, eine galante Anspielung oder eine flüchtige Bagatelle entweicht«, säuselte der Cavaliere. Ähnliche Szenen einer Ehe spielen sich in etlichen italienischen Familien ab, wenn auch nicht unbedingt auf Seite eins der La Repubblica. Schließlich ist das Land, dieser Hort des Katholizismus, zugleich die Heimstatt von Casanova und Don Giovanni, der Gigoli und Papagalli. Die Kunst der scappatella, des Seitensprungs, wird viel geübt und noch öfter besprochen.
Da die Italiener aber das Volk der Individualisten sind, ist es kaum möglich, sie mit den Mitteln der Demoskopie zu erfassen. Entsprechend verwirrend sind die zahllosen Umfragen zum Thema Seitensprung. So kamen Meinungsforscher vor einigen Jahren zu dem Resultat, 67,3 Prozent der italienischen Männer betrügen ihre Frauen, zumeist ohne schlechtes Gewissen. Schließlich liege der Ehebruch in ihrer Natur, »und über die DNA gebietet man nicht«. Ein typisch männlicher Mangel an Moral? Keineswegs. Kurz darauf ergab eine Erhebung: 69 Prozent der Italienerinnen finden Ehebruch in Ordnung, insbesondere – eine weitere Erhebung belegt es – in einem verlassenen Leuchtturm. Die meistgenannten Gründe für die weiblichen Seitensprünge: Der Gatte ist ungepflegt, ein Langweiler oder, im wörtlichen Sinne, ein Schnarcher.
Das grundseriöse Institut Censis befindet dagegen, da werde viel Lärm um wenig gemacht. So seien Italiens Männer – oh nationale Schande – keine Machos. Nur jeder vierte gehe fremd. Die Frauen dagegen blieben sogar zu 88 Prozent treu. Zahlen, die streng genommen nicht so recht zusammenpassen. Die traditionsreiche sommerliche scappatella der gelangweilten Ehefrau am Strand und des vorgeblich hart arbeitenden Gatten in der Stadt gehören jedoch ohnehin tempi passati an. Schuld daran ist wieder mal das Internet. Der Trend geht stramm zur virtuellen Untreue. So befand eine Zeitschrift namens Happy Web: Jeder dritte Italiener betrügt seine Frau – mit Lara Croft und deren Kolleginnen.
Stefan Ulrich
Österreich
Der Seitensprung gehört hierzulande in die Liste der akuten Suchtgefahren. Kaum sonst wo geht man dieser Freiübung so intensiv nach, kaum sonst wo schnüffelt und lurt das Publikum mit solcher Gier nach Indizien des Fehltritts, kaum sonst wo schwanken die Betroffenen so sehr zwischen der Angst der peinlichen Enthüllung und dem Drang, sich dessen zu rühmen, als Täter oder als Opfer. Hier gefallen sich Schlagersänger öffentlich in der Pose des Gehörnten, weinerlich und mitleidheischend, hier sonnen sich Politiker vom Range stellvertretender Parlamentspräsidenten im Ruhme, eine kaum mehr zu überblickende Zahl von Kindern von einer kaum mehr zu überblickenden Zahl von Frauen zu haben.
Jenseits von Lust und Begierde hat der Seitensprung den Charakter eines gefährlich verführerischen Gesellschaftsspiels, so wie man ihn schon bei Schnitzler theatralisch angedeutet sieht. Österreichs Gesellschaft ist letztlich noch immer von zwei hermetischen Systemen geprägt, die sich beide so moralisch streng gaben, wie sie verlogen waren: vom Katholizismus und vom Hof. Drakonisches Vorschützen von Sitte und Moral bis zur Selbstaufgabe steht neben der lüsternen Sehnsucht, genau diese Zwangstugenden lustvoll zu umgehen. Nur erwischen lassen darf man sich nicht. Und wenn doch, dann hat man die katholische Ausflucht von Schuld, Beichte und Sühne zur Hand, die einen danach wieder hurtig drauflossündigen lässt. Dennoch Vorsicht: Österreichs Scheidungsrecht richtet sich noch ganz nach dem Schuldprinzip und der Seitensprung ist da das prominenteste »Ehevergehen«.
Ehebruch als Gesellschaftsspiel hat seine absurden, fast obszönen öffentlichen Rituale. Wenn etwa der Baumeister Richard »Mörtel« Lugner alljährlich unter dem Naserümpfen seiner Angetrauten eine Busenkönigin, Filmdiva oder einen Pornostar zum Opernball führt, dann ist das nichts anderes als gockelhaftes Geprotze: Seht her, ich könnte, wenn ich wollte, und ob ich nur so tue, wer weiß… Die bigotte Gesellschaft liebt und verachtet ihn dafür. Dass sich das Ehepaar Lugner diesen Sommer hat scheiden lassen, Gerüchten zufolge einer Affäre der Frau Gemahlin wegen, war eigentlich ein Regelverstoß im Spiel der Anzüglichkeiten. Statistiker behaupten, zwischen 40 und 50 Prozent aller Österreicher seien bekennende Seitenspringer, mit gewissem Vorsprung des weiblichen Geschlechts. In einer Gesellschaft höfischer Verlogenheit darf die Dunkelziffer hoch angesetzt werden, zumal bei den lügenfertigen Männern.
Verdunkelung war schon immer Teil des Zeremoniells: Österreich hat bis heute weithin ein aus Kaiserzeiten stammendes anonymes Postsystem; man kann sich damit gegenseitig Liebesbriefe schreiben, ohne einander beim Namen zu nennen, denn Haus und Postkastennummer sind so präzise, dass kein Name genannt werden muss. Natürlich wusste die Dienerschaft doch alles. Heute werfen sich grelle Druckwerke mit Verve ins Fach der tratschenden Domestiken – und sind die erfolgreichsten im ganzen Land.
Michael Frank
Tschechien
Ein süßes Geheimnis ist es längst nicht mehr und Fotos gibt es von den beiden zur Genüge. Um Mirek Topolanek zusammen mit Lucie Talmanova zu sehen, braucht man nur ins Prager Abgeordnetenhaus zu gehen. Dort kommt es vor, dass der tschechische Ministerpräsident auf seiner Regierungsbank sitzt und nicht weit hinter ihm, im Tagungspräsidium, die stellvertretende Parlamentspräsidentin. Dass die beiden ein Paar sind, hatte Topolanek zu Jahresanfang mitgeteilt, in diesem Sommer haben sie ein Kind bekommen und davon unverbrämt Mitteilung gemacht. Geschadet hat es dem Premier, obwohl er noch immer mit einer anderen verheiratet ist, vermutlich nicht.
Eheliche Seitensprünge und alles, was daraus folgt, bewerten die Tschechen offenkundig anders, nämlich sehr viel gelassener als ihre Nachbarn in Bayern, wo ein ähnlich gelagerter Fall eine veritable Affäre provozierte und gar die Wahl des neuen CSU-Vorsitzenden beeinflusst. Das hat wohl unter anderem damit zu tun, dass im Alpenvorland und im Donautal die katholische Kirche seit Jahrhunderten erfolgreich Mores predigt, während sie an der Moldau und im Böhmerwald zu den am wenigsten geachteten Institutionen zählt. Die meisten Tschechen sind religionslos, und wenn man den Umfragen vertrauen kann, die zur Sexualmoral erhoben wurden, dann gilt ihnen die eheliche Treue weniger als anderen Völkern Europas.
64 Prozent der Männer und 46 Prozent der Frauen erklärten 2001, schon »fremdgegangen« zu sein. Und 2004 wurde nach einer Meldung der Zeitschrift Tyden gar ermittelt, Untreue komme in neun von zehn Ehen vor. Jedenfalls hat Tschechien laut Eurostat zusammen mit Litauen in der EU die höchsten Scheidungsziffern: 2004 gab es 33000 Scheidungen. Ob Premier Topolanek in die Scheidungsstatistik 2007 oder 2008 eingehen möchte, lässt er offen. Aus der Familienwohnung, wo seine langjährige Ehefrau Pavla mit dem jüngsten der drei Kinder lebt, ist er ausgezogen. Die Ehe war auch politisch problematisch geworden, nachdem die Gattin bei der Senatswahl im Oktober 2006 gegen die von ihrem Mann geführte konservative Bürgerpartei ODS für eine rechte Splittergruppe kandidiert hatte – erfolglos trotz aller öffentlichen Aufmerksamkeit. Auf Staatsempfängen wurde sie seither nicht mehr gesehen.
Als jüngst George W. Bush in Prag war, nahm Topolanek zum Galadiner seine 23-jährige Tochter Jana mit. Jiri Paroubek, der sozialdemokratische Oppositionsführer, ließ sich zum Treffen mit Bush von seiner Englisch-Dolmetscherin Petra Kovacova begleiten. Bald danach teilte er mit, die Dame sei seine neue Partnerin und seine langjährige Ehe werde bald im Einvernehmen geschieden. Die Neue ließ sich indes bereitwillig für die bunten Blätter fotografieren und interviewen, das Sommerloch wurde in Tschechien in diesem Jahr mit den zwei kapitalen Seitensprüngen gefüllt. Die betrogenen Ehefrauen indes fanden daran keinen Gefallen. »Untreue«, so Zuzana Paroubkova, »verträgt sich nicht mit meiner Vorstellung von einem glücklichen Familienleben.«
Klaus Brill