In der kleinen Stadt, in der ich lebe, gibt es einen wundervollen Botanischen Garten. Ich liebe Pflanzen und hatte früher selbst einen großen Garten. Aber seit ich in Wohnungen lebe, nutze ich eben den Botanischen Garten, um meine Pflanzensehnsucht auszuleben. Vor kurzem war ich dort vormittags bei einer Führung. Der Botaniker stellte uns die Pflanzen des Jahres vor. Wir liefen eineinhalb Stunden durch den Außenbereich und blieben immer wieder stehen, zum Beispiel um ein paar witzige Infos über die Flatterulme – den Baum des Jahres – zu hören. Aber egal, wie sehr ich mich über die Flatterulme amüsierte, merkte ich, dass ich immer häufiger auf meine Uhr schaute. Es war Zeit für mein Mittagsschläfchen.
Als ich nach Hause lief, hatte ich ein klares Ziel vor Augen: mein Sofa. Ich schloss die Wohnungstür auf und da wartete es schon auf mich. Es sah aus wie eine Einladung. Auf dem Polster lag die Wolldecke bereit, unter die ich mich so gerne kuschle. Ich knipste noch die Stehlampe an, weil die Glühbirne wie eine kleine Sonne meinen Kopf wärmt. Dann breitete ich die Decke über mir aus, schmiegte mich an die weichen Wollfasern, las ein paar Seiten in meinem E-Reader, bis er sanft neben mich aufs Sofa rutschte – und schloss die Augen.
Ich weiß nicht, ob es ein größeres Glück gibt als einen Mittagsschlaf. Kann das Leben noch wohliger und schöner sein? Ich glaube nicht.
Mein Mittagsschlaf ist mir heilig geworden. Nie länger als eine halbe Stunde, das ist eine wichtige Regel, weil ich mich sonst den Rest des Tages schlapp fühle und nicht mehr richtig hochfahre. Aber wenn ich es nicht übertreibe fühle ich mich so erfrischt und wach, wie ich es alleine mit Kaffee niemals schaffen würde.
Dass ich mir den Mittagsschlaf überhaupt gönnen kann, ist neu für mich. Früher als junge Mutter? Unvorstellbar. Und selbst im Alter war er nicht immer drin. Ich habe mich viele Jahre um meinen Mann gekümmert, erst zuhause, dann bei ihm im Heim, da konnte und wollte ich mir nicht immer die Zeit freischaufeln. Aber jetzt habe ich zum ersten Mal in meinem Leben freie Tage, die vor mir liegen, wie ich hier schon einmal beschrieben habe. Zeit ist zu einer Währung geworden, von der ich viel ausgeben kann. Und ich investiere sie am liebsten in mein Schläfchen zur Mittagszeit.
Das hängt auch damit zusammen, dass das mit dem Schlaf nachts nicht mehr so gut funktioniert. Früher fühlte ich mich abends oft abgekämpft und fiel bis zum frühen Morgen in einen göttlichen Tiefschlaf. Heute stehen die Dinge anders. Das Ins-Bett-Gehen klappt noch ganz gut, gerade wenn ich ein Glas Weißwein getrunken habe. Dann schalte ich etwa um halb 11 den Fernseher oder die Musik aus und lege mich mit meinem E-Reader ins Bett. Ich schlafe nicht gerne, ohne vorher zumindest ein paar Seiten gelesen zu haben. Und das Angenehme am E-Reader ist, wie leicht er ist. Ich trainiere nicht mehr meine Unterarme, weil ich die dicken Wälzer vor meine Nase halte. Und für meine Augen ist der E-Reader auch besser, weil ich mir die Schrift so groß einstellen kann, dass ich sie überhaupt lesen kann.
Mit so einem schönen Leseritual ist das Einschlafen also kein Problem für mich. Das Problem kommt erst am Morgen danach. Ich meine den frühen Morgen: Ich werde oft zwischen vier und fünf Uhr wach. Und fühle mich so wach, dass ich ans Noch-einmal-Umdrehen-und-Weiterschlafen gar nicht zu denken brauche.
Die senile Bettflucht ist also kein Mythos, sondern Wirklichkeit in meinem Leben. Denn früher ging es mir am Morgen garantiert nicht so. Da kostete ich jede Minute, die ich noch im Bett liegen konnte, aus. Aber die matte, samtene Müdigkeit am Morgen habe ich verloren. Mein Geist ist morgens jetzt wie aufgedreht.
Weil ich weiß, dass ich nicht dagegen ankämpfen und das Weiterschlafen nicht erzwingen kann, habe ich beschlossen, die Zeit in den frühen Morgenstunden einfach zu nutzen. Meistens lese ich, bis ich mit meinem liebsten Morgenritual starten kann: den Vorbereitungen fürs Frühschwimmen. Ich gehe ins Badezimmer, schlüpfe in meinen Badeanzug und meine Klamotten, setze mir noch meine rosafarbene Mütze auf und laufe zum Schwimmbad. Dann mit Schwung ins kalte Wasser, was sich auch viel weniger schlimm anfühlt, wenn man hellwach ist. Und langsam meine Bahnen ziehen, bis die Muskeln warm sind.
Zuhause gönne ich mir ein Frühstück im Bett und lese Zeitung. Aber dort meinen Mittagsschlaf machen? Lieber nicht. Dafür ist das Sofa und die Stehlampen-Wärmesonne viel zu anziehend. Und allein wegen dieses Lebensglücks frage ich mich manchmal, warum ich jemals Angst vor den leeren Tagen im Alter hatte. Sie sind ziemlich großartig.