Her mit der Torte!

Wer älter wird, weiß, dass der Körper keine Jahrzehnte mehr durchhalten muss. Unsere Senioren-Kolumnistin erzählt, welche Folgen das für Kuchenbestellungen und andere Versuchungen hat.

Illustration: Nishant Choksi

Es gibt Momente, in denen ich es besonders liebe, alt zu sein. Wenn ich nach dem Schwimmen in der Umkleidekabine stehe, zum Beispiel. Ich sehe dort, wie die jungen Frauen sich vor den Spiegeln zurechtmachen. Ein bisschen Make-up, Eyeliner, Mascara, Schicht für Schicht bereiten sie sich so für die Außenwelt vor. Ich schäume mir kurz meine Haare unter der Dusche ein, knete sie mit dem Handtuch trocken, schmiere mir Deo unter die Achseln und kann schon in meine Klamotten schlüpfen.

Es fühlt sich an, als würde mir mein Alter jeden Tag ein paar Minuten schenken. Ich kann länger im Becken bleiben und überhole die jungen Frauen dennoch in der Kabine. Weil das Alter etwas sehr Befreiendes haben kann. In guten Momenten ruft es einem zu: eh schon egal. Und zwar nicht im traurigen, sondern im besten Sinne.

Um bei der Schminke zu bleiben: Ich habe früher auch Make-up aufgetragen und meine Wimpern getuscht. Als ich älter wurde, habe ich es mir aber abgewöhnt. Die Schminke setzte sich in den Falten ab, machte mein Alter noch offensichtlicher. Jetzt sieht halt jeder, wie ich wirklich aussehe. Ich freue mich, wenn ich meine ungeschminkte Nase in die Sonne halte. Das lästige Abschminken am Abend? Entfällt ebenso.

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Es gibt auch andere Dinge, die im Alter deutlich unbedeutender werden. Einfach, weil die Zeitspanne, die man voraussichtlich noch mit seinem Körper verbringen wird, zusammenschrumpft. Als junge Frau dachte ich immer: Vorsicht, so ein halbes Jahrhundert muss dein Körper mindestens noch kooperieren. Also achtete ich auf meine Bandscheiben und wuchtete keine schweren Gegenstände herum. Versuchte, mir Schmerzmittel zu verkneifen, damit es nicht meine Organe belastete. Und gönnte mir zwar ein, zwei Gläser Wein am Abend, aber sicherlich keinen Whiskey. Der Leber soll es doch gut gehen.

Jetzt bin ich alt und habe großes Glück, was meine Gesundheit angeht, das ist mir bewusst. Trotzdem wird mein Leben nicht mehr ewig dauern. Deswegen verlieren viele  Dinge ihre Drohkraft. Früher fürchtete ich Gelenkschäden und Süchte. Heute sehe ich es nicht mehr ein, mich zurückzuhalten. Ich habe vermutlich eh nur noch ein paar gute Jahre und will mir alles gönnen, was sie besser macht. Wenn ich Kopfschmerzen habe, nehme ich Medikamente, ohne zu zögern. Wenn ich Lust auf Kuchen oder einen würzigen Bergkäse habe, schneide ich mir große Stücke ab. Her mit den Kalorien! Und wenn ich chronische Schmerzen hätte, würde ich vermutlich Marihuana rauchen. Natürlich wäre das jetzt meine Chance, auch noch ganz andere Dinge zu testen, aber mein Glas Weißwein am Abend ist die einzige Droge, die mich interessiert. Dass ich auch dabei aufpasse, habe ich an anderer Stelle beschrieben.

Bei aller Liebe zu Experimenten: Ich finde es wichtig, dass man auch im Alter noch seinen Körper mit Selbstliebe und Respekt behandelt, obwohl er einem Schmerzen bereitet und man sich nach der Zeit sehnt, als man ohne Probleme zwei Mal um die Stadt spazieren konnte. Es ist so schwierig, eine gute Beziehung zu seinem Körper zu haben. Ich versuche aber, mich gegen diese Gedanken zu stemmen. Wenn ich zum Beispiel nach dem Schwimmen in den Spiegel schaue, meine ungeschminkte Haut sehe und meine faltigen Schultern (ja, selbst da hat man Falten), gehe ich durch, wie viele Jahre mein Körper mich durch mein Leben getragen hat. Dass dieser Körper drei Kindern das Leben geschenkt hat, sich mein Mann an ihn geschmiegt hat, ich mich nach jeder Grippe oder Magenproblemen schnell wieder erholt habe und ich selbst jetzt im Alter noch schwimmen kann.

Mein Körper ist wie ein guter Freund. Und dem schneidet man doch auch ein Stück Kuchen ab.