Manchmal besuche ich meine Töchter, wenn sie bei ihrem Vater sind. Ich fahre vier Stationen mit der U-Bahn, laufe durch Straßen, die ihnen vertraut sind und mir noch nicht, und klingele an der Tür, für die sie einen Schlüssel haben. Oben angekommen, umarme ich sie, schaue in ihre Gesichter, wie geht es euch? Am vergangenen Sonntag frühstückten wir anschließend. Ich blieb eine Weile, dann war es Zeit zu gehen.
Meine Tochter Martha brachte mich zur U-Bahn. Sie hielt den schwarzen Hund an der Leine, ein Geschenk ihres Vaters. Er zerrte sie hin und her, während sie von der Hütte erzählte, auf der sie in den Ferien gewesen war. Sie sprach schnell, mit der Dringlichkeit einer 12-Jährigen, freudig, empört, beides zu gleich. Ich hörte zu, ging langsamer. Gleich würden wir die Station erreichen und sie ihre Erzählung beenden, weil die U-Bahn käme, die nur mich, nicht sie mitnähme. Sollte ich noch mal um den Block gehen, damit sie ausreden konnte? Mich mit ihr in ein Café setzen? Stattdessen fragte ich: Willst du noch mit zum Gleis kommen? Nein, sagte sie, und wirkte plötzlich durchsichtig, ich bleibe lieber oben. Also küsste ich mein Kind, und Martha fragte wie immer, ob auf ihrer Stirn jetzt Lippenstift sei. Ich sah ihr hinterher, wie sie mit dem Hund die Straße überquerte. Kein Umdrehen, kein Winken. Ich ging die Treppe runter und stempelte einen Streifen zu viel.
Meine Töchter und ich verabschieden uns häufig, jeden zweiten Montag. Vorher schmiere ich Schulbrote, binde Hochzöpfe und krame nach Essensgeld. Ein Kuss noch, schnell, es ist ja schon halb acht, dann fällt die Tür ins Schloss. Den Rest der Woche wohnen sie beim Vater. So ist es verabredet. An diesen Montagen arbeite ich länger oder gehe ins Kino. Ich will nicht nach Hause, wo vor den Kinderbetten Häufchen liegen aus Pyjamahosen und T-Shirts, abgestreift in der Eile des Morgens. Zerwühlte Bettendecken, Strickzeug, Louises Tagebuch, ein Wasserglas. Es sieht so aus, als würde gleich die Tür aufgehen, was gibt es zum Essen? Darf ich Musik hören? Aber nichts passiert, und so räume ich auf, drücke meine Nase in ihre Kleidung, glätte, ordne, wasche.
Seit einem Jahr teile ich meine zwei Töchter mit meinem Ex-Mann Jan. Ich bin eine Teilzeitmutter. Die Hälfte ihrer Kindheit verbringen sie ohne mich. An Orten, die ich nicht kenne, mit Menschen, die ich noch nie getroffen habe, von denen ich nicht weiß, welchen Einfluss sie auf sie nehmen. Elf Jahre lang wusste ich, was meine Kinder machten. Natürlich nicht immer genau, aber genau genug, wie ich fand. Ich nahm das Muttersein lässig. Sah ich die Kinder nicht am Abend, sah ich sie eben morgens. Ich konnte mir ihrer sicher sein. Vermisste sie nicht, wenn sie drei Wochen bei ihrer Großmutter waren. Ich schwänzte Adventsmärkte und vergaß die Namen ihrer Freunde, die ihrer Eltern sowieso. Einmal, auf einem Maifest in der Schule, wollte ich es richtig machen und streckte einer Frau die Hand hin, nannte meinen Namen und sagte, dass ich Marthas Mutter sei. Sie schaute unglücklich. Dann antwortete sie, unsere Kinder wären doch schon zusammen in den Kindergarten gegangen.
Ich blieb den anderen fremd, und heimlich fand ich das ganz schick. Bis jetzt. Elternabende sind kostbar geworden. In der Vaterwoche sind es die einzigen Stunden, die mich meinen Kindern nah sein lassen, in denen ich mich vergewissere, dass ich ihre Mutter bin. Ich sehe die Bilder im Klassenzimmer an und frage mich, wie es Martha oder Louise wohl ging, als sie die malten. Hatte ich sie an dem Tag im Arm gehalten? Oder ihr Vater? Und dann reden alle über einen wilden Vincent. Ob sie ihn mögen? Das muss ich sie fragen, nehme ich mir vor. Ich frage viel mehr als vor einem Jahr. Als gelte es, die verlorene Hälfte ihrer Lebenszeit zu rekonstruieren. »Wie, du hast ein Geschenk eingekauft – allein?«, frage ich, »Wo?« Eigentlich normal, dass eine Zehnjährige loszieht, um für ihre Klassenkameradin ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen, aber ich muss staunen. »Was hast du gekauft? Bist du U-Bahn gefahren?«
Ich habe Angst, ich könnte eines Tages in der gleichen Bahn sitzen, sie zufällig treffen. Ich würde sie begrüßen, und dann müsste ich vor den anderen Fahrgästen fragen, was doch jede Mutter eigentlich weiß: was ihre Kinder da machen.
Illustration: Grace Helmer