Das Jahr nach der Jogginghose

Fußballer mit Pride-Farben, das viralste Kleidungsstück – und ganz viel zur Schau gestellte Liebe: 2021 kehrten die Stars auf den roten Teppich zurück, aber unsere Stilkolumnistin erinnert sich an mehr als Mode. Teil 1 unseres Jahresrückblicks. 

Zendaya, Bennifer und Manuel Neuer: In einem modischen Rückblick auf das Jahr 2021 müssen sie vorkommen – wenn auch aus den unterschiedlichsten Gründen.

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Star des Jahres: Zendaya

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2021 wurde die Rückkehr auf die roten Teppiche dieser Welt zelebriert. Und wenn es jemanden gibt, dem man dabei besonders gerne zugesehen hat, dann ist das Zendaya. Nicht nur, weil die Schauspielerin aus der Serie Euphoria in wirklich allem atemberaubend aussieht (rüstungsartige Kettengeschmiede von Vivienne Westwood eingeschlossen), sondern auch, weil ihre Looks so gut durchdacht und mutig sind. Zur verspäteten Oscar-Verleihung im April kam Zendaya in einem bauchfreien, gelben Valentino-Kleid; ein Tribut an verschiedene Cher-Looks aus den Siebzigern. Wenige Monate später trug sie bei den BET Awards in Los Angeles ein Versace-Kleid, dessen Kurzfassung bereits 2003 von Beyoncé zu diesem Anlass ausgeführt worden war. Keine kleinen Fußstapfen, Zendaya füllte sie mühelos. Die richtigen Hingucker folgten dann zur Promotion ihres Films Dune. Was Co-Star Timothée Chalamet trug, der vielleicht meistverehrte Vertreter des jungen Hollywoods mit einer Schwäche für bunte Anzüge, wurde plötzlich zur Nebensache. Bei den Filmfestspielen von Venedig glänzte Zendaya in einem maßgeschneiderten beigefarbenen Lederkleid von Balmain, das aussah, als hätte man es im nassen Zustand kunstvoll um ihren Körper drapiert. Zur Filmpremiere in London kam sie in einer skulpturalen weißen Paillettenrobe von Rick Owens mit Sci-Fi-Anstrich, zu der in Paris in einem spektakulären pflaumenfarbenen Zweiteiler aus ultrakurzem Oberteil und federbesetzem Rock von Alaia. Neben den ganz großen Designernamen trägt die junge Schauspielerin aber immer wieder auch aufstrebende Talente wie Peter Do oder Nensi Doyaka. Verantwortlich für ihre sorgfältig gewählte Garderobe ist schon seit zehn Jahren der Stylist Law Roach, der unter anderem auch Anya Taylor-Joy oder Kerry Washington anzieht. Möge diese Partnerschaft niemals enden.

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Wird getragen von: Menschen, die sich ihrem Körper rundum wohlfühlen
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Accessoire des Jahres: Die Pride-Binde

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Wie viele Sondergenehmigungen bekommt König Fußball in einem Sommer, der teilweise noch immer von Corona-Einschränkungen geprägt ist? Und sind 60.000 Zuschauende im Wembley-Stadion ein gutes Zeichen, während die Delta-Variante sich ihren Weg bahnt? Die EM der Männer barg einiges an politischem Zündstoff. Was auch zum Politikum wurde: das textile Zurschautragen einer LGBTQIA+-freundlichen Weltanschauung. Manuel Neuer, Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, band sich zum Pride-Monat in den ersten Vorrundenspielen eine Armbinde in Regenbogenfarben um. Danach leitete die UEFA tatsächlich Disziplinar-Ermittlungen ein, da die Binde nicht ihrem Regelwerk entspreche. Diese wurden schnell eingestellt – und Neuer trug seine Binde die gesamte EM. Der Münchner Allianz-Arena hingegen wurde verwehrt, beim Vorrundenspiel gegen Ungarn in Regenbogenfarben zu strahlen (auch als Zeichen gegen die in Ungarn gerade erlassenen weiteren Einschränkungen der LGBTQIA+-Rechte). Die Begründung: Die UEFA sei politisch und religiös neutral und müsse die Anfrage ablehnen. Dabei wäre so ein Symbol für Offenheit und Toleranz ganz dringend nötig – gerade im heteronormativ geprägten Männerfußball, in dem man hierzulande auf das Outing irgendeines aktiven Spielers leider weiterhin vergeblich wartet.

Wird getragen von: Teilnehmenden des CSD, jedem Konsumartikel im Monat Juni, Instagramkanälen großer Weltkonzerne – aber nur in Ländern mit liberalen Gay Rights
Wird getragen mit: Haltung
Trageanlass: Bitte nicht nur im Juni

Viralstes Kleidungsstück des Jahres: Ein Paar Handschuhe 

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Auf der Bühne bei Joe Bidens Amtseinführung im Januar reichten sich die angesagtesten Marken dieser Zeit die Hand – Kamala Harris in Christopher John Rogers, Michelle Obama in Sergio Hudson, Lady Gaga in Schiaparelli Couture. Währenddessen saß Bidens Parteikollege Bernie Sanders im Publikum auf einem Klappstuhl. Er trug einen olivfarbenen Anorak von Burton, eine schiefe Maske und selbstgestrickte braune Wollhandschuhe. Das Bild wurde zum Meme, das mittlerweile sogar einen Wikipedia-Eintrag hat und im März ein extrem hohes Google-Suchvolumen nach Handschuhen auslöste. Sanders’ Paar stammt aus Vermont, dem Bundesstaat, den der Senator im Parlament vertritt. Geschenkt hatte es ihm die Lehrerin Jena Ellis, die nebenbei Strickkreationen aus recycelter Wolle anfertigt – und nach den Geschehnissen mit Anfragen überhäuft wurde.

Ohnehin lag Stricken 2021 im Trend. Ella Emhoff, Stieftochter von Kamala Harris, bekam viel Aufmerksamkeit für die bunten Entwürfe ihrer eigenen Marke. Und der Turmspringer Tom Daley wurde bei den Olympischen Spielen sogar in den Pausen seiner eigenen Wettbewerbe strickend fotografiert. Nach eigener Aussage fing er damit an, weil er nicht stillsitzen konnte; seit Kurzem bietet er unter seinem Label Made With Love By Tom Daley sogar eigene Strick-Kits an.

Wird getragen von: Glögg-Verkäufern auf dem skandinavischen Weihnachtsmarkt, Häkel-Hilde beim Waldorf-Bazar und hippen It-Girls wie Bella Hadid
Wird getragen mit: Glühwein, Rentieren, Ohrenschützern
Kann man nachkaufen bei: Depop, Etsy, Waschbär-Katalog

Beste modische Begleitung: The Look of Love

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Als im Mai die ersten Gerüchte aufkamen, Jennifer Lopez und Ben Affleck wären wieder zusammen, wirkte das so weit hergeholt, dass Lopez’ Ex-Partner Diddy noch ein altes Foto von den beiden postete – scheinbar, um sich selbst ins Rennen zu werfen. Dass »Bennifer« wirklich wieder gemeinsame Wege geht, hätte man nicht besser ins Y2K-Mode-Revival (Englisch für: Jahr 2000) hineinscripten können. Es wurde geknutscht und geturtelt, was das Zeug hält – auch auf den roten Teppichen dieser Welt. Zur Met Gala kam Lopez, die das Motto »America« ein wenig zu buchstäblich genommen hatte, in einem hochgeschlitzten brauen Ralph-Lauren-Kleid, geflochtenem Hüftgürtel, Federumhang, Bleischmuck und scheinbar abgenutztem Cowboyhut. Immerhin gaben sie und Affleck eine Lexikon-würdige Darbietung »Frisch verliebtes Paar«, mit Kuss durch den doppelten Mundschutz.

Ein anderes Paar, bei dem beide Teile der modischen Extravaganz sehr zugetan sind, sind Sängerin und Unternehmerin Rihanna sowie Rapper A$AP Rocky, deren Beziehung im Mai öffentlich wurde. Seitdem haben sich die beiden perfekt aufeinander abgestimmt. Zur Met Gala etwa kam A$AP in einem kunterbunten, überdimensionalen Quilt-Cape (einst ein Bettüberwurf), Rihanna an seiner Seite beruhigte in einem schwarzen Balenciaga-Kleid und schwarzer Mütze. Am besten in Erinnerung sind uns aber die Bilder der beiden auf einem winzigen New Yorker Feuertreppen-Balkon, kichernd, kiffend und beide mit einem neonfarbenen Kunstfell-Teil aus der letzten Männer-Kollektion von Virgil Abloh für Louis Vuitton. Angeblich drehten die sie dort ein Musikvideo – für wahrscheinlicher halten wir eine kommende Mode-Kooperation der beiden. Liebe beflügelt eben, auch stilistisch.

Wird getragen von: Turteltauben
Wird getragen mit: Gutem Atem, Oxytocin
Das Lied dazu: Fashion Killa von A$AP Rocky

Modische Verabschiedung des Jahres: Karl Lauterbachs Fliege

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2021 haben nicht nur die Kostüme von Angela Merkel den Bundestag verlassen, sondern auch Karl Lauterbachs Fliege. Dieses Jahr war der studierte Mediziner und Epidemiologe wieder gern gesehener Pandemie-Experte. Er warnte und mahnte, rief zu strengeren Maßnahmen auf und zitierte zuverlässig aus wissenschaftlichen Studien. Sein etwas kauziges Äußeres schien seine Kompetenz dabei nur zu unterstreichen. Wilde Frisur, Nickelbrille und altmodische Fliege: So stellt man sich einen verrückter Professor vor, das schafft Vertrauen. Das Fliegetragen hat Lauterbach sich in den USA abgeschaut. Als er 1988 in Texas in der Unfallchirurgie tätig war, mussten Ärzte und Studenten dort Krawatte, Fliege oder Lederamulett tragen. »Das Amulett sah nach New Age aus, und die Krawatten hingen ständig in den Wunden der Patienten«, sagt er. So kam Lauterbach also zu seinem Markenzeichen. Etwa Anfang des Jahres hat er dieses jedoch abgelegt, und auch sein Haar ist in letzter Zeit ungewohnt frisiert und gestutzt. Eine stille Vorbereitung auf sein neues Amt als Gesundheitsminister und die optische Verwandlung vom Eigenbrötler zum Entscheider? Hauptsache, er bleibt sich inhaltlich treu.

Wird getragen von: Winston Churchill, Charlie Chaplin, James Bond, Gustav Gans
Wird getragen mit: Smoking oder Clownsperücke
Nicht verwechseln mit: Black Tie