Ohne Worte

Knackige Werbeslogans können sich nur große Firmen leisten. Das hält Kleinunternehmer leider nicht vom Dichten ab.

In unserer Welt ist die Wirtschaft bekanntlich fast alles, und das zeigt sich nicht zuletzt an uns selbst. Früher waren wir aus der Unmündigkeit zu führende Verbraucher mit nichts als maßlos übersteigerten Lohnforderungen. Heute dagegen ist die Evolution einen entscheidenden Schritt weiter, nicht zuletzt dank der ununterbrochenen TV-Ausstrahlung von Kurzinterviews mit führenden Ökonomen wie Norbert Walter oder Hans-Werner Sinn. Längst ist jeder von uns sein eigener Wirtschaftsexperte von Walter’schem Sachverstand und Sinn’scher Eloquenz. Und von daher jederzeit in der Lage, im Schlaf herzusagen, dass Bürokratieabbau dem Wirtschaftswachstum nutzt, wogegen die immer noch nicht gebändigten Lohnnebenkosten unsere Großkonzerne ins Ausland zwingen. Nicht zu vergessen, dass der Mittelstand die treibende Kraft des Aufschwungs ist, weswegen wir diesem hier auch gleich ins Gewissen reden müssen.

Mit der treibenden Kraft ist es nämlich so eine Sache. Wie oft gehen wir in diesen Tagen des Aufbruchs durch die Straßen, freudig erregt durch allerlei Zeichen von mikro- und makroökonomischen Trendwenden, bis unser Blick hängen bleibt beispielsweise an »Ernas Frisiersalon«. Drei Kakteen im Schaufenster, eine verblichene Preisliste, in der gerade mal die D-Mark-Preise durch Euro-Beträge überklebt sind – das würde man ja als abgefeimten Antischick des frühen 21. Jahrhunderts noch durchgehen lassen. Was aber gar nicht geht, ist, keine Message zu präsentieren. Wo ist die Botschaft, wo das Credo, das Versprechen an den zu frisierenden Businesspartner, also uns? »Opel. Frisches Denken für bessere Autos.« Oder: »Ford. Feel The Difference.« So macht man das. Wenn es sein muss, auch: »T-Com. Erleben Sie’s einfach.« Aber nicht einfach »Ernas Frisiersalon« und nichts weiter. Erna fehlt eindeutig ein Claim, also ein flotter Spruch, der hängen bleibt, typografisch etwas abgesetzt – wie eben jeder globale Player in diesen Zeiten für sich wirbt. Dabei, liebe Erna, könnte das Leben so leicht sein, die Früchte des modernen Wirtschaftslebens hängen für denjenigen tief, der sie zu pflücken vermag. »Erna. Die Schnittigen.« Wäre das nicht gleich was anderes? Oder: »Salon Erna. Besser abschneiden.« Vielleicht gar in Kombination mit einem kecken Apostroph: »Erna’s. Mit uns sind Sie fit im Schnitt.«

Unnötig zu betonen, dass all diese Claims selbstverständlich zur kostenlosen Verwendung frei sind – so verstehen wir hier jedenfalls unseren Serviceauftrag für die mittelständische Wirtschaft, getreu unserem für diese Zwecke leicht abgewandelten Motto: »Wer sie liest, kriegt mehr«. Die Zeit drängt, die Konkurrenz schläft nicht, da sollte sich kein Gewerbetreibender etwas vormachen in dieser Phase des beginnenden Booms. Gut, noch dominieren in den Einkaufsstraßen der Vorstädte der »Schaumstoff Fischer« und der »Schrauben Huber« im selben Look wie eh und je. Doch zwischen ihnen tun sich immer mehr Nahtstellen auf, an denen sich moderne Erlebnisshops in die überkommene Warenwelt zwängen, gern in der Erscheinungsform einer To-go-Kaffeebar (»für mehr Genuss«) oder gar eines Süßwarenladens, der in der Regel den Namen »Chocolaterie Amélie« trägt (»das süße Leben«). Vorne dran, wie so oft, auch die Brillenhändler, deren Erscheinung sich hinsichtlich Ladeninterieur und Geschäftsführer-Gelfrisur ohnehin gern am dynamischen Auftritt der FDP (»Die Liberalen. Für alle, die mehr wollen«) orientiert. Zum Beispiel: »Apollo Optik. Wir haben nur Ihre Augen im Kopf«.

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Solche Vorbilder machen Mut, von dem sich erkennbar auch immer mehr Händler aus konservativeren Geschäftsfeldern anstecken lassen – sogar die ökologische Szene. »Bio Milana. Schmeckt gut, ist gut«, lesen wir bei einem kleinen Geschäft in der Nachbarschaft. Und selbst beim Inbegriff traditionellen Wirtschaftens, dem bäuerlich geprägten Markt, hat sich einiges getan, wie ein kleiner Rundgang über den Münchner Viktualienmarkt zeigt: »Leo’s Obststandl. Obst und Gmias aus da ganz’n Weld«. Und wem das noch zu stark nach Lederhose und zu wenig nach Laptop klingt, für den lockt gleich nebenan die »Münchner Suppenküche« mit dem Slogan: »Best soups in town«. Klar, dass das nur schwer zu übertreffen ist, aber es geht, man muss nur ein paar Meter weitergehen, dorthin, wo sich die Meeresfrüchtehändler konzentrieren: »Fisch Witte. If it swims we have it«.

Man sieht: Der Mittelstand kann, wenn er nur will. Wie lautet doch gleich der Claim des mittelständischen Dachverbands: »Vertrauen stärken, Reformen wagen«. Genau darauf kommt es an.