Wieder Herr im Hause

Bertelsmann wollte Thomas Middelhoff nicht mehr – KarstadtQuelle schon. Jetzt ist der Konzern fast saniert. Und sein Chef auch.

Es gibt auf der Jagd nach der vielleicht schon verlorenen Zeit im Leben von Thomas Middelhoff natürlich auch Momente, in denen er sein BlackBerry-Handy abstellt und sich Sinnfragen stellt. Ob es sinnvoll ist, was er macht, oder ob diese Jagd nur Sinn macht in dem Sinne, wie ihn die Amerikaner verstehen – it makes sense –, weil ein Manager mit Macht immer bereit sein muss, schnell zu handeln.
Auch in solchen Momenten bewahrt er sein strahlendes Lächeln, ein Schutzschild, hinter dem er gleichermaßen Gefühle verbirgt wie Härte. Er weiß aus Erfahrung, dass Macht nichts weiter ist als eine Leihgabe auf Zeit, dass die Sieger von heute die Verlierer von morgen sein können und dies umgekehrt ebenso gilt. Im normalen Leben werden Verlierer von Managern wie ihm freigesetzt, doch wer aus seiner Fallhöhe abstürzt, fällt weich. Ob es 2002 bei seinem Rückzug vom Chefposten des Medienkonzerns Bertelsmann, den man in seinen Kreisen nicht Entlassung oder Freisetzung, sondern Abberufung nennt, dreißig Millionen Euro waren, auf denen er landete, oder gar vierzig, wissen außer den Mohns oder seinem Nachfolger Gunther Thielen wohl nur er und seine Frau.

Er ist ein Langstreckenläufer, aber immer gut für einen schnellen Spurt, mit dem er Konkurrenten abschüttelt. Er ist stets wach, obwohl er mit nur vier, fünf Stunden Schlaf pro Nacht auskommt. Er trägt dunkle Anzüge, die Krawatten sitzen fest. Bei Treffen mit Buddys wie Steve Jobs lässt er den obersten Hemdknopf offen. Er kämmt die Haare straff nach hinten und entscheidet spontan, als ihm der Oberkellner des Restaurants in Düsseldorf dieses oder jenes empfiehlt. Er unterstützt seine Sätze mit sparsamen Gesten und streicht manche schon, bevor sie beim Gegenüber landen. Er lehnt sich nicht im Stuhl zurück, wirkt nicht gehetzt, aber sprungbereit. Wohin auch immer. Der schlanke Mann mit den graugrünen Augen, in denen das Lächeln keinen ständigen Wohnsitz hat, den einst bewundernd einer seiner Duzfeinde aus dem Bertelsmann-Vorstand als den »kaltschnäuzigsten Hund, den ich kenne« bezeichnet hat, bittet selten den schönen Augenblick, möglichst lange zu verweilen, er träumt sich allenfalls kurzfristig seinen Lebenstraum als Bild in den Kopf.

Auf dem sitzt er am knisternden Kamin in einem englischen Landhaus, hält ein Glas Rotwein in der einen, eine Zigarre in der anderen Hand, streichelt den Hund zu seinen Füßen, lauscht dem Regen vor der Tür, ist ermattet von des Tages Mühe, an einem Roman geschrieben zu haben, gern dürfte es ein Krimi sein. Schnell aber löscht er das zeitlose Bild von seiner Festplatte und macht sich wieder an die Arbeit.

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Vor zwei Jahren, nachmittags am Strand von St-Tropez, mit seiner Frau und vier seiner fünf Kinder an einem langen Holztisch sitzend, Fisch auf dem Teller, Sonne im Nacken, sanften Wind von vorn, keinen Anruf erwartend, 13 Stunden Autofahrt mit dem Jaguar aus dem Westfälischen an die Côte d’Azur als noch frisches Erfolgserlebnis hinter sich, da hat er dieses Bild mal ausgemalt. Sich später in der Zeit als einen Menschen beschrieben, der keinen Traum »lange mit sich herumträgt«. Dafür fehle ihm die Zeit.

Wenn der eilige Thomas von seinem Alltag erzählt, entstehen andere Bilder. Auf denen steht er vor Investmentbankern, darunter viele, die er nach dem Gütersloher Sturzflug traf, als er bei der Privat Equity Investcorp Gesellschaft, einer Vereinigung internationaler Heuschrecken, von London aus deren Europageschäft forcierte. Er er-läutert ihnen, warum sie das Geld aus ihren Fonds in Aktien von KarstadtQuelle investieren sollten. »Roadshow« nennt man so einen Auftritt. Mit Roadshow wird umschrieben, ein Unternehmen wie eine Braut herauszuputzen und auf den Markt zu treiben, bis sie überschüttet wird von Angeboten der betuchten Freier. Roadshows haben also nichts mit Straßenfesten zu tun.

Der gläubige Katholik weiß um die Endlichkeit seines Tuns, hat die Vergänglichkeit bereits als Ministrant mit dem Weihrauch morgens um sieben in den Frühmessen inhaliert. Er scheute sich nicht, als oberster Bertelsmann am Ende einer Rede vor jüdischen Geschäftsleuten in New York, Anlass der 50. Gründungstag Israels, Zeugnis abzulegen, »weil wir alle doch an einen Gott glauben, egal zu welcher Religion wir gehören«, und den anwesenden Rabbi Arthur Schreier um ein Gebet für seinen damals schwer krank im fernen Deutschland liegenden Vater zu bitten. Die Gebete wurden erhört. Vor ein paar Wochen feierte Middelhoff senior, einst Besitzer einer kleinen Textilfabrik, der den Sohn Thomas schon als 17-jährigen Jüngling in den Ferien nach Hongkong schickte, um eine Ladung Sweatshirts einzukaufen, seinen 92. Geburtstag.

Nicht weit von Paderborn entfernt wohnt Middelhoff mit seiner vielköpfigen Familie. Es ist keine jener Koketterien von Managern, die ihr hastiges Leben beklagen, dass er mitunter erst daran merkt, zu Hause zu sein, wenn ihm beim morgendlichen Schwimmen der Pool bekannt vorkommt. Nicht weit von Paderborn entfernt hat einst seine Karriere begonnen, die ihn bis an die Spitze von Bertelsmann führte. Doch am 28. Juli 2002, dem Tag, an dem seine Ablösung als Chef des Konzerns verkündet wurde, die er selbst nach einem letzten Gespräch mit dem Patriarchen auf Mallorca provoziert hatte, wusste er genau, wo er war. In Gütersloh, der Kleinstadt, von der er ausgezogen war ins global village.

Der neben Vorgänger Mark Wössner erfolgreichste Sohn der Mutter Bertelsmann, dessen Betriebsergebnisse sogar jenen die Dollarzeichen der Rührung in die Augen trieben, die mit der unheimlichen Art des schnellen Thomas fremdelten, war ein ungeliebter Fremdling geworden, den sie jetzt verstießen. Dass diese ehemaligen Todfreunde über die »teuerste Psychotherapie Deutschlands« lästerten, als er drei Jahre danach antrat, KarstadtQuelle zu retten, war ihm egal. Schon seinen Sturz hat er nicht als Tag danach be-, sondern als Tag zuvor ergriffen. Er hat seitdem nicht etwa sein Tempo verringert, aber er kann gelassener da-rüber reden, was ihn bewegt und nicht nur darüber, was er alles schon bewegt hat oder noch bewegen will.

Was ihn nach Essen trieb, war nicht etwa das Millionengehalt, denn er besitzt so viel, dass ihm selbst eine lange Lebenszeit nicht reichen würde, sein Vermögen auszugeben, sondern der Wunsch, es noch einmal denen zu zeigen, die ihn als verglühten Star der New Economy abgeschrieben hatten. Das hat ihn motiviert, das treibt ihn an. Middelhoff wollte weder als Berater durch die Welt reisen wie eine andere Lichtgestalt aus jener Zeit, Ron Sommer, noch im Kleinen Großes versuchen wie Thomas Haffa. Er suchte sich eine der Festungen der alten deutschen Economy aus, um von dort aus ungebrochen tatenlustig in die nächste Schlacht zu ziehen. Er riskierte seinen Ruf und erfüllte schon früh den Neujahrswunsch der Kanzlerin: »Überraschen wir uns damit, was möglich ist.«

Ausgerechnet er, bezeichnet als Player, der sein großes Spiel verloren hatte, obwohl er für den Konzern global mitspielen wollte, statt sich auf die Erfolge aus der Vergangenheit zu verlassen, ausgerechnet er, der kühl taktierend und mit der nötigen Fortune in einem einzigen Deal, dem Verkauf der von ihm einst erworbenen AOL-Anteile, Bertelsmann einen Mehrwert von knapp acht Milliarden Euro in die Kassen gespült hatte, ausgerechnet er rettet ein Fossil der Deutschland AG vor dem Gang zum Konkursverwalter. Einen Riesen, der noch nicht mal mehr auf tönernen Füßen stand, als Middelhoff die Geschäfte übernahm.

Dessen Immobilienbesitz, Kaufhäuser in besten Innenstadtlagen, sind für 3,7 Milliarden Euro verkauft, womit nicht nur Bankschulden getilgt wurden. Der Preis, den der Konzern an die Lufthansa für die vollständige Übernahme des Reiseveranstalters Thomas Cook zahlen muss, wird ebenfalls dadurch finanziert. 25000 Arbeitsplätze sind abgebaut oder bei anderen Firmen untergebracht. Middelhoff vermeidet sorgsam den Begriff Freisetzung. Er hat vorgeführt, dass er sich als Teil der Familie KarstadtQuelle fühlt, und nennt deshalb den Verlust von Familienmitgliedern beim passenden Wort: schmerzhaft. Er hat mit ihnen an einem Samstag in Bielefeld an der Kasse Hosen gefaltet. Hat sowohl in der Verwaltung als in den Kaufhäusern nachgefragt, was ihnen einfiele, was man alles besser machen könnte. Hat versichert: »Es wird wehtun. Der Patient liegt auf der Intensivstation. Aber er wird überleben. Wir sterben nicht, wir schaffen es, wir gehen nicht in die Pleite. Ich verspreche es Ihnen.« Die Mitarbeiter glaubten, sagte ihm der Betriebsratschef irgendwann, dass er über Wasser gehen könne. »Sagen Sie denen bitte nicht«, antwortete Middelhoff, »dass ich es nicht kann.«

Innerhalb von anderthalb Jahren erfüllte er nach in der Tat schmerzhaften Ampu-tationen sein Versprechen. Verlustbringer sind abgestoßen. Aus dem verschnarch-ten Gemischtwarenladen mit Anteilen an Starbucks und Fernsehkanälen, Sportschuh-läden und Modeketten ist ein Delikatessenladen geworden. Der hauseigene Versand-händler Neckermann soll an die Börse getrieben oder verkauft, Quelle dagegen mit Schwerpunkt E-Commerce aufgerüstet werden. Kleine Warenhäuser sind verkauft, die großen, in denen sich Kunden nicht mehr wohlfühlten, zu innerstädtischen Warenwellnesscentern aufgeputzt worden. Er spricht vom Alsterhaus (Hamburg) oder Oberpollinger (München) so begeistert wie früher von Napster (Kalifornien) oder Vivendi (Frankreich). Was daran liegt, dass ihn an Macht nicht allein Glanz und Glamour reizt, sondern vor allem die täglich neue Faszination: »Macht bedeutet ganz einfach, etwas machen zu können.«

Der Gesamtumsatz des Konzerns 2006 ist bei insgesamt 10,3 Milliarden Euro um knapp neun Prozent höher als der von 2005. Der Aktienkurs macht Mehrheitseignerin Madeleine Schickedanz Freude, stieg von damals, als die Insolvenz bereits den Fuß in der Tür hatte und Middelhoff von innen mühsam dagegenhielt, von fünf auf 27 Euro. Ende des Jahres 2007 will er schwarze Zahlen vorlegen und besser dastehen als die aus Gütersloh. Dass ihn auch das befriedigt, dementiert er.

Einladungen seiner ehemaligen Ersatz-eltern aus dem Hause Bertelsmann musste er schon deshalb nie absagen, »weil ich ja nie eingeladen wurde«. Seine freien Abende verbringt er in anderer Gesellschaft. Seiner Frau schenkte er ein Abonnement für die Berliner Philharmoniker. Bisher hat er kein Konzert ausfallen lassen. Irgendwann erwähnte er dort nebenbei einen anderen Lebenstraum – einmal hier Klavier spielen zu dürfen.

Auf vielen seiner Geschäftsreisen als Medienmanager hat er nachts dem Pianisten in der »King Cole Bar« des »St. Regis Hotel« in New York, wo er im 24. Stockwerk des damaligen Bertelsmann Building mehr Zeit verbrachte als in der westfälischen Zentrale, hundert, zweihundert Dollar zugesteckt, auf dass der den Platz räume, und sich dann selbst ans Klavier gesetzt. Natürlich hatte er, als er in Berlin davon sprach, einen ruhigen Vormittag am Klavier im Sinn und dachte nicht im Traum daran, vor Publikum zu spielen. Doch so geschah es. Nachdem er bei der Jahrestagung des Verbandes der Pressesprecher in der Philharmonie eine Rede gehalten hatte, fragte ihn der Moderator, ob es stimme, dass er hier gern mal aufspielen möchte. Und ob das stimme, antwortete Middelhoff, ahnte aber, was ihm blühen würde, denn es wurde just in dem Moment ein Flügel auf die Bühne geschoben. Er zierte sich nicht lange, Herausforderungen reizen ihn nun mal, und setzte sich ans Klavier, begleitet von aufmunterndem Klatschen.

Der Pianist entschied sich für die Mondschein-Sonate von Beethoven und danach für ein anderes romantisches Stück, das komponiert worden war in einer Mainacht 1971 von einem 18-Jährigen, der am Abend zuvor bei der Tanzstunde ein Mädchen kennen- gelernt hatte, das ihm nicht aus dem Sinn ging. Sie ging ihm nie mehr aus dem Sinn, sie ist noch heute seine Frau und saß im Publikum, als ihr Mann vorspielte, was er einst für sie komponiert hatte. Standing Ovations. Der Player strahlte. Applaus hat Middelhoff immer schon genossen, egal wo auf der Welt er aufspielte und egal, wie das Stück hieß.

Genüsslich zerlegt der durch die üblichen Insignien der Macht nicht Bestechbare manche Eigenarten seiner Vorgänger, deren Hang zur Selbstdarstellung oder deren moralische Unverfrorenheit. Bei Karstadt beispielsweise zog einer, der eine Millionen-Pension auf Lebenszeit festschreiben ließ, bevor er ging, wegen der Überstunden seines Chauffeurs, der ihm bei Ausflügen zu ganz anderen Jagden als denen, die der schnelle Thomas mag, zu Diensten blieb, gegen den ehemaligen Arbeitgeber vor Gericht und stritt um ein paar Euro Mehrwert.

Für die Sanierung von KarstadtQuelle hat sich High-Speed-Thomas Zeit gegeben bis 2008. Dann dürfte er, so Gott will, knapp über Mitte fünfzig sein. Middelhoff ist überzeugt, dass »dies ein tolles Alter ist, um das nächste Abenteuer zu beginnen«. Bei der Hauptversammlung im Mai will er eine neue Eigenkomposition vorstellen. Den zukünftigen Namen des Konzerns, der dann in den grauen Stein vor der Zentrale in Essen gehauen werden soll. Auf den Moment freut sich der Mann am Klavier.