Gerade lese ich das sehr schöne Buch von Jürgen Neffe über Charles Darwin und bin nun bei Darwins 25. Geburtstag angekommen, zu dessen Feier am 12. Februar 1834 der Kapitän der Beagle, mit der Darwin um die Welt segelte, einen zweieinhalbtausend Meter hohen Andenberg Mount Darwin nennt. Was für ein Gefühl muss das gewesen sein?! Nicht für Darwin, meine ich jetzt, sondern für diesen Kapitän, Robert FitzRoy hieß er: hier und heute zu beschließen, einem Berg für jetzt und alle Ewigkeit einen Namen zu geben, als Geburtstagsgeschenk, mal eben!
Ein für alle Mal sind diese Zeiten dahin, alle Berge sind getauft, jeder Fluss ist benannt, jeder Teich heißt irgendwie. Etwas bezeichnen, ihm einen Stempel aufdrücken, Namen in der Welt hinterlassen – wer kann das schon noch?
Der Käferforscher vielleicht, der eine neue Art entdeckt, der Marketingberater, der einen neuen Mazda Bongo zu nennen beschließt oder einen Nissan Qashqai, Hundebesitzer, Eltern natürlich und Romanautoren. Ja, der Romanautor ist vielleicht überhaupt der letzte, große, verschwenderische Namensproduzent, Thomas Mann einst allen voran mit so wunderbaren Schöpfungen wie Leberecht Kröger, Alois Permaneder oder Bendix Grünlich, auch Theodor Fontane mit einem buckligen Apotheker namens Alonzo Gieshübler (in Effi Briest) und natürlich Astrid Lindgren mit Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminza Efraimstochter Langstrumpf, nicht zu vergessen Michael Ende mit dem knappen, nicht weniger treffenden Jim Knopf.
Jemand hat mal nachgezählt, dass Joanne K. Rowling für ihre sieben Harry Potter-Bücher 659 Namen erfunden hat, darunter so schöne Exemplare wie Justus Pilliwickle, Dedalus Diggle und Cuthbert Mockridge, der aber nur sehr kurz als Chef des Koboldverbindungsbüros auftaucht.
Und ist es nicht übrigens eine sehr schöne und immer noch zu wenig beachtete Pointe (aber das nur nebenbei), dass jener Mann, der zurzeit landauf, landab die übergroße »Fertilität« von Muslimen beklagt, Sarrazin heißt und also seine Existenz selbst hinreichend fertilen sarazenischen und also muslimischen Vorfahren verdankt?
Nun aber ein Wort zum Sportclub Westfalia Herne, einem mehr als hundert Jahre alten Verein, für den schon so unvergessene Fußballer wie Hans Tilkowski, Otto Luttrop und Werner Lorant spielten, aber auch der Regisseur Sönke Wortmann. Die Westfalia, die einst zu den besseren deutschen Klubs gehörte, ist nur noch Fünftligist, allerdings mit derzeit nicht ganz schlechten Aussichten auf den Aufstieg in die vierte Liga.
Auf ihrer Internetseite und auch anderswo kann man jetzt für zwanzig Euro ein Los erwerben. Damit wird man Teilnehmer an einer Tombola, deren Gewinner am 24. Oktober ermittelt wird. Dieser Sieger darf bestimmen, wie das Stadion von Westfalia Herne, das zurzeit den unspektakulären Namen »Stadion am Schloss Strünkede« trägt, für den Rest der Saison heißen soll.
Zwanzig Euro – und man gewinnt ein solches Recht! Einen Stadionnamen bestimmen! So etwas durften in den vergangenen Jahren für viel Geld nur Banken und Versicherungen, mit so traurigen Ergebnissen wie Allianz Arena in München oder gar easyCredit-Stadion in Nürnberg. Dem Fußball wurden Tradition und Sprache abgekauft, es gingen so schöne Namen wie Kampfbahn Rote Erde oder Volksparkstadion verloren. Aber hier gewinnt der gemeine Mann die Chance zurück, einmal ein Stück Welt nach seinem Willen zu nennen.
Was wird aus dieser Idee noch werden? Was wird man noch alles im Volk zur Taufe versteigern können? Kleinere oder größere Bahnhöfe? Züge? Bushaltestellen? Parkanlagen? Zeitungstitel? Das nächste Buch von Peer Steinbrück? Eine Figur im neuen Roman von Stephenie Meyer? Oder vielleicht doch auch mal einen kleineren Berg irgendwo, nicht den Mount Darwin natürlich, aber einen von den vielen mit bisher ganz belanglosen und nicht weiter wichtigen Namen?
Illustration: Dirk Schmidt