»Pferde erweisen einem nur Respekt, wenn sie Vertrauen haben«

Karsten Kirchner trainiert seit 20 Jahren Pferde, sogar namibische Wildpferde. Der Fall seines Lebens ereignete sich aber auf einem Hof in Sachsen-Anhalt. Er zeigte, dass Mensch und Tier dieselbe Sprache sprechen müssen.

Illustration: Lina Müller

SZ-Magazin: Welche Menschen besuchen mit ihren Pferden Kurse bei Ihnen? Freizeitreiter oder professionelle Sportler?
Karsten Kirchner (49): Ich hatte schon aus allen Disziplinen Leute da: Kutschfahrer, Dressurreiter, Westernreiter, vom Hobbyreiter bis zum Europameister. Mit den meisten mache ich Beziehungstraining, denn eine gute Beziehung ist die Basis für alles, was man mit dem Pferd erreichen will.

Bringt das auch noch was, wenn man schon ein erfahrener Reiter ist?
Viele sagen: »Ich sitze seit Jahren auf dem Pferd, was willst du mir noch erzählen?« Und trotzdem schaffen sie es nicht, das Tier ohne Equipment, also ohne Longe oder Ähnliches, einmal im Kreis um sich herum zu schicken. Das Problem ist, dass die Menschen ihren Pferden oft alle möglichen Rollen überstülpen und sie als Sportgeräte, Kumpel, Haustiere oder Kindersatz sehen – nur nicht als Pferd.

Wie muss die Beziehung denn aussehen, damit es klappt?
Man muss ein gutes Team sein, um miteinander arbeiten zu können. Das fällt vielen Menschen mit ihren Pferden leider schwer. Die denken eher: »Ich gebe ihm doch Futter, also muss es nett zu mir sein!«

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Mit einem Pferd muss man also eine Arbeitsbeziehung haben?
Eher eine kombinierte Beziehung: eine freundschaftliche Basis mit Arbeitskomponente. Weil sonst die emotionale Verbindung fehlt. Man muss sich schon sympathisch sein, um es mal so auszudrücken.

Sie haben schon auf der ganzen Welt gearbeitet, in Europa, Südafrika, Costa Rica, mit Wildpferden in Namibia. Der Fall ihres Lebens waren aber eine Reiterin und ihr Pferd auf einem Hof in Sachsen-Anhalt. Warum war dieser Fall für Sie so besonders?
Weil er zeigt, wie wichtig es ist, fokussiert zu sein und richtig zu kommunizieren, wenn man mit einem Pferd arbeitet. Man muss seine Sprache sprechen, und zwar – übertrieben gesagt – klar und akzentfrei. Falsche Kommunikation zwischen Pferd und Mensch ist der größte und häufigste Fehler.

Erzählen Sie genauer von dem Fall.
Der Hof hatte mich gebucht, für einen ganz normalen Bodenarbeitskurs…

Was ist das?
Dabei wird nicht geritten, sondern man trainiert das Pferd ohne Equipment in einem sogenannten »Roundpen«, einem großen, eingezäunten Zirkel: Vorwärtsbewegung, anhalten, rückwärts richten, wenden. Dafür nimmt man als Mensch bestimmte Positionen ein, man hält zum Beispiel die Schulter raus und gibt gleichzeitig mit der Hand oder einem Strick, den man in der Hand hält, einen Bewegungsimpuls. Das Training basiert darauf, dass es in einer Pferdeherde immer darum geht, wer wen führt: Wenn man zwei Pferde, die sich nicht kennen, auf eine Koppel stellt, werden die beiden hin und her rennen, sich wenden, abstoppen und vorwärts schicken. So wird geklärt, wer der Boss ist. Bei der Bodenarbeit geht es darum, dem Pferd deutlich zu machen: Ich führe, du folgst.

Sie sind also auf den Hof gefahren…
… und beim Kaffeetrinken vorab haben mich ein paar Teilnehmer beiseite genommen und gesagt, dass sie für eine Frau zusammengelegt haben, um ihr den Kurs zu schenken, weil sie ihn unbedingt brauche. Sie habe ein Problem mit ihrem Pferd.

Was war das Problem?
In der Box, beim Reiten und beim Führen am Strick war alles in Ordnung – aber im Roundpen hat das Pferd die Frau scheinbar »angegriffen«.

Wie sah das aus?
Die Frau war Mitte, Ende 30, eine eher schüchterne Person. Ihr Pferd war ein mittelgroßer Brauner, so etwa 1,60 Meter Stockmaß. Sie hat es in den Roundpen geführt und vom Strick genommen. Dann ist das Pferd aus der Bahn abgebogen und mit offenem Maul auf die Frau zugerannt, kurz vor ihrem Gesicht ist es stehengeblieben und hat die Zähne zusammengeschlagen. Das sah wirklich nicht nett aus und die Frau hatte deutlich Angst, weil sie eben dachte, ihr Pferd will sie angreifen. Ich habe sie dann rausgeschickt und erstmal mit dem Pferd alleine gearbeitet.

Und auf Sie kam es nicht zugelaufen?
Das schon, aber in wesentlich kleineren Dosierungen als bei der Besitzerin. Es hat verschiedene Tests gemacht.

Tests?
Ja, Pferde testen immer, ob der andere ihre Sprache beherrscht und wo sie im Verhältnis zu ihm stehen. In der Herde machen sie das rund um die Uhr.

Welche Tests waren das?
Ein Pferd versucht meistens erstmal, möglichst nah an den anderen ranzukommen und ihn wegzudrücken. Das hat dieses Pferd bei mir natürlich auch probiert, weil es mich ja nicht kannte und abchecken musste, wie ich reagiere. Nach ein paar Runden war durch meine Körpersprache klar, dass ich mir sowas nicht gefallen lasse und das Pferd immer wieder dahin schicke, wo es laufen soll, nämlich auf die Außenbahn.

Es war also nicht aggressiv?
Nein.

Wieso hat es dann bei der eigenen Besitzerin so aggressiv reagiert?
Das war keine Aggression. Das Pferd war vom Status her ein Folgender, es hat ausgedrückt: »Ich schließe mich dir an, sag mir, was ich machen soll.« Aber die Frau hat ihm das nicht sagen können, sondern hat irgendwas gemacht und mit ihren Armen mehr oder weniger wild in der Gegend rumgefuchtelt. Dadurch war das Pferd irgendwann so verzweifelt, dass es praktisch die Aussage getätigt hat: »Du sprichst nicht meine Sprache, das macht uns beiden nur Stress – geh weg!« Und da es nun mal ihr Pferd war, war ihre Reaktion wie bei so vielen: Enttäuschung.

Wie lange hatte sie das Pferd denn schon? Hatten die beiden von Anfang an Probleme miteinander?
Sie hatte es schon eine Weile, aber sowas fängt nicht von heute auf morgen an. Das Pferd ist wahrscheinlich erstmal ein bisschen nähergekommen, dann hat es sie geschubst, und so weiter. Man muss diese Anzeichen erkennen und das Verhalten sofort korrigieren. Pferde erweisen einem nur Respekt, wenn sie Vertrauen haben und man ihnen Sicherheit gibt, denn von Sicherheit hängt ja ihr Leben ab. Und den Status als Führender muss man jederzeit beweisen. Solange wir in Sicht-, Hör- und Riechweite unserer Pferde sind, werden wir von ihnen als Teil der Herde wahrgenommen, und wenn wir uns dann nicht entsprechend unseres Status’ benehmen, wird uns das eins zu eins auf den Teller geschmiert.

Wie ging es mit dem Training weiter?
Ich habe die Frau irgendwann mit reingenommen und gesagt, dass ich einschreite, wenn irgendwas Gravierendes passieren sollte. Am Anfang war sie sehr zögerlich, klar, sie hatte Angst. Aber die besiegt man nur, wenn man durchgeht. Wenn ich Angst habe, vom Zehn-Meter-Brett zu springen, dann muss ich vom Zehn-Meter-Brett springen.

Wie lange haben Sie trainiert?
Wir haben an zwei Tagen je fünf bis sechs 20-Minuten-Einheiten gemacht, erst zusammen, dann habe ich sie die Übungen alleine machen lassen. Und sie hat es innerhalb dieser zwei Tage wirklich geschafft, dass ihr Pferd ihr gegenüber wieder völlig entspannt war! Es hat sich von ihr losschicken, anhalten, wenden und rückwärts richten lassen.

Wie hat sich die Frau in den zwei Tagen verändert?
Sie hat irgendwann gemerkt und eingesehen, dass es an ihr lag und dass sie die Situation provoziert hat, weil sie sich falsch verhalten hat. Als sie dann mit dem Pferd trainiert hat und es besser wurde, war sie superglücklich. Und sie hatte keine Angst mehr.

Für mich klingt das ein bisschen so, als würden Sie eigentlich gar nicht Pferde trainieren, sondern Menschen.
Ja, stimmt. Die Pferde können alles, was sie brauchen, das hat ihnen die Natur so mitgegeben. Natürlich kann man ihnen obendrauf noch irgendwelche schönen oder lustigen Dinge beibringen. Aber beim Bodentraining ist es eigentlich immer so, dass die Pferde die Menschen eins zu eins spiegeln – und ich dann auf die Probleme der Menschen eingehe.