SZ-Magazin: Herr Stiller, wie verschlägt es einen Koch von Deidesheim nach Shanghai?
Stefan Stiller: In der Pfalz habe ich fünf Jahre das Restaurant »Grand Cru im Gasthaus zur Kanne« geführt, wir hatten einen Michelin-Stern und 16 Punkte im Gault Millau. Aber 2004 lief unser Pachtvertrag aus, meine Frau und ich wollten aufgrund der sehr schwachen Wirtschaftslage nicht mehr verlängern, da habe ich das Angebot aus Shanghai angenommen, ein Gourmet-Restaurant für eine reiche Chinesin zu führen. Ich wollte immer schon mal in Asien arbeiten. Seit letztem Jahr habe ich hier auch mein eigenes Restaurant. Ich koche moderne europäische Küche mit deutschem Einschlag, das kommt an: Sauerbraten von der Ochsenbacke, der wird im Niedertemperaturverfahren bei 65 Grad 36 Stunden gegart. Leber Berliner Art, dafür verwenden wir Entenstopfleber. Und? Kulturschock?
Nein. Meine Frau, meine Tochter und ich, wir fühlen uns hier sehr wohl. Manchmal allerdings merke ich, dass ich eine ganz andere Auffassung habe vom Umgang miteinander. Wenn ich zum Beispiel frage, ob wir noch Fleisch oder Fisch im Kühlraum haben, und die Antwort lautet »vielleicht«, dann heißt das auf Deutsch: Irgendjemand will wieder nicht zugeben, dass er den Einkauf vergessen hat. Da bekomme ich dann natürlich einen Hals. Ehrlichkeit gilt in China nicht als große Tugend. Viel wichtiger ist es, sein Gesicht zu wahren.
Sind deutsche Köche gefragt in China?
Europäer sind gefragt. Wegen unserer Erfahrung – auch mit modernen Gartechniken und der Organisation in der Küche.
Essen Ihre Gäste mit Besteck oder lieber mit Stäbchen?
Mit normalem Besteck natürlich. Stäbchen gibt es wirklich nur in asiatischen Lokalen.
Was muss ein deutscher Koch in China beachten?
Asiaten reagieren sehr sensibel auf Salz. Gerichte, die für uns Europäer perfekt schmecken, können Asiaten als versalzen empfinden. Da fällt es oft schwer, beim Kochen die richtige Balance zu finden. Wir haben ja auch viele europäische Gäste im Restaurant.
Dabei heißt es doch, Chinesen essen gern scharf.
Das stimmt ja auch – aber scharf ist eben nicht salzig.
Was mag der Chinese besonders gern?
Gänseleber, Foie gras – in allen Variationen. Nicht nur weil sie ein exklusives Produkt ist, sondern auch weil sie den chinesischen Geschmack trifft. Wir müssen sie jetzt nicht mehr importieren, sondern man bekommt auch hier schon exquisite Gänse- und Entenstopflebern aus chinesischer Zucht.
Wovor graut einem Chinesen?
Viele kommen mit blutigem Fleisch nicht klar, das sind sie aus der chinesischen Küche gar nicht gewohnt. Chinesen, die oft im Ausland waren, bestellen ihr Steak allerdings häufig »rare«, fast roh. Käse und Milchprodukte waren lang verpönt, aber das ist vorbei: Wir haben eine tolle französische Käseauswahl und wir verkaufen viel davon. Auch Wein ist inzwischen ein Riesenthema in China, vor allem Rotwein. Deutscher Wein hat hier leider immer noch mit dem Liebfrauenmilch-Image zu kämpfen.
Ist es leichter, in China ein Restaurant zu eröffnen als in Deutschland?
Die chinesische Bürokratie ist viel schlimmer als die deutsche. Die Lizenz zu bekommen ist schwierig und der damit verbundene Verwaltungsaufwand sehr hoch. Die Gesetze werden von jeder Behörde anders ausgelegt und verändern sich oft – von einem Tag auf den anderen.
---
Fotos: privat