Computertagebuch

Warum erfahre ich nur noch auf Facebook, wie es meiner Tochter geht?

Sind Teenager allmählich 15, 16, gestaltet sich die Kommunikation mit ihnen schwierig. Sie wandern meist befremdet durch die Wohnung und sagen nicht viel. Wenn ich versuche, mit meiner Tochter zu sprechen, reagiert sie mit ermattetem Mienenspiel und Antworten wie »Mmja«, »Mmnein«, »Mach ich später«; und wenn ich nachfrage, was es mit dem Tonfall auf sich habe, versichert sie, der sei völlig normal. Was ich nicht bekomme, ist Auskunft. Irgendeine Auskunft über das Innenleben meiner Tochter. Was schade ist, haben wir doch, als sie noch ein Kind war – und das scheint gar nicht so lang her zu sein –, viel Zeit miteinander verbracht und dabei, tatsächlich, Gefühle geteilt. Es ist sogar vorgekommen, dass ich mehr über Gefühle erfuhr, als ich eigentlich wissen wollte – über meine eigenen wie über die des Kindes. Das ist jetzt vorbei, nichts wird mehr geteilt.

Zum Glück gibt es Facebook. Ich bin dort mit meiner Tochter »befreundet«, aber ich nehme an, sie hat mich da mehr aus Höflichkeit angeklickt, am Anfang, als das noch alles neu für sie war. Die »Freundschaft« ist nicht gerade sehr lebendig. Kürzlich sah ich, dass sie eine neue Statusmeldung verfasst hatte, mit einem kleinen rosa Herz dahinter: »Debbie ist Single«. Aha. Das soll ja wohl
heißen: Neuer Zustand, Debbie ist jetzt Single. Und das ist in diesem Fall besonders erstaunlich, weil ich noch gar nicht wusste, dass Debbie vorher kein Single war.

So ist also Facebook in aller Beiläufigkeit zu entnehmen, dass es im Leben meiner Tochter ganz anders aussieht, als es aus elterlicher Sicht erscheint. Es gab da also einen Freund, sagt mir Facebook, der vor Kurzem noch in diesem Leben herumgeisterte, und der es offenbar nie bis zu einer namentlichen Erwähnung geschafft hat, geschweige denn bis zu uns in die Wohnung. Ich sah dann auf Facebook genauer nach und fand etliche Wochen weiter zurück die Information: »Debbie ist in einer Beziehung«. Aha, aha. Rein gar nicht mitgekriegt.

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Den Gedanken, ob ich eventuell bei Debbie nachfragen sollte, was es denn mit dem neuen Status des Singledaseins auf sich habe, verwarf ich, das hätte auch wieder nur zu einem Ja-nein-mach-ich-später geführt. Interessanter war es, die Stalking-Qualitäten des Internets weiter zu untersuchen. An den Facebook-Einträgen konnte ich erkennen, wie lang mein Kind, das sich bereits vor 90 Minuten »ins Bett« verabschiedet hatte, noch online war. Ich kann dort Schlafenszeiten, Heimkehrzeiten oder den Zeitpunkt des morgendlichen Aufstehens nachverfolgen, denn das Erste und Letzte, was der durchschnittliche Teenager im Tagesablauf macht, macht er im Netz.

Bleibt das Gewissen. Früher schrieb meine Tochter Tagebuch, und darin zu lesen, wäre ein unzulässiger Eingriff gewesen, auch wenn ich manchmal kurz davor stand, es zu tun. An Facebook dagegen ist nichts heimlich. Ich darf ja jederzeit dort sehen, wie sich meine Tochter mit Gleichaltrigen austauscht, in Wort und Bild. Und trotzdem habe ich ein schlechtes Gewissen. Denn ich entdecke Seiten an meiner Tochter, die ich zu Hause nicht kenne, die sie mir also eigentlich nicht zeigen will. Unerwarteten Humor manchmal. Oder auch eine selbstsichere Haltung, die mich überrascht und freut.

Das ist die Debbie, die ihre Facebook-Freunde kennen, aber ich, ich bin da nur Zaungast, an mich ist das nicht gerichtet. Also werde ich auf mein schlechtes Gewissen hören. Was auch immer meine Tochter bei Facebook über sich verrät – ich schaue nicht mehr hin. Glaube ich.

Illustration: Jean-Philippe Delhomme