»Das Grab vor dem Grab meines Vaters scheint keine Angehörigen zu haben. Das finde ich etwas traurig. Deswegen erlaube ich mir ab und zu, dort die wenigen Pflanzen zu gießen, das Unkraut wegzuholen und auch mal einen Blumentopf aufzustellen. Mir macht das Freude, obwohl ich die Menschen im Grab nicht kenne. Doch ich bin etwas unsicher: Ist das okay? Oder übergriffig? Oder gar nicht erlaubt?«
Claude H., München
Es ist so, dass jeder Friedhof eine eigene Friedhofsordnung hat, in der steht, was jeweils erlaubt ist und was nicht. Ich glaube aber nicht, dass Sie hineingucken müssen, um ruhig davon ausgehen zu können, dass niemand etwas dagegen haben wird, wenn Sie beim Nachbargrab mal gießen oder Unkraut jäten.
Ich stolpere ein bisschen über den Punkt, dass Sie dort einen Blumentopf aufstellen. Ich stelle mir jetzt einfach mal vor, ich wäre ein Angehöriger der dort begrabenen Toten, würde meinetwegen im Ausland leben, weswegen ich selten vorbeikommen könnte, aber eines Tages käme ich endlich wieder dorthin. Und siehe da, das Grab sieht nicht nur tipptopp aus, ist also wirklich schön gepflegt, was mich vielleicht überrascht, aber bestimmt nicht ärgert, sondern es ist darüber hinaus auch noch bis zur Unkenntlichkeit – ich übertreibe jetzt etwas – mit frischen Blumen geschmückt. Auf mich würde das wie eine Art Affäre wirken. Als ginge hier etwas vor, von dem ich nichts weiß. Ja, ein bisschen würde sich das wie Betrug anfühlen. Als würde ich hintergangen.
Vielleicht könnte man also, auch ohne in die betreffende Friedhofsordnung gesehen zu haben, sagen, dass das Aufstellen von Blumentöpfen auf unbekannten Gräbern tatsächlich ein bisschen übergriffig ist. Oder sagen wir: übereifrig. Wahnsinnig nett gemeint, aber, verzeihen Sie das unglaublich schiefe und unpassende Bild, aber mich erinnert das an diese Streiche, die bewusstlos Betrunkenen gespielt werden, wo man sie schminkt oder sonstwie dekoriert und dann fotografiert. Also Wehrlosen etwas aufzudrängen, wozu die nicht Nein sagen können.
Aber das ist jetzt nur eine Einzelmeinung. Wenn Sie es ganz offiziell wissen wollen, fragen Sie die Friedhofsleitung. Oder machen einfach heimlich weiter wie bisher, und wir haben nie geredet.