Ein denkwürdig deprimierendes Urteil

Warum #MeToo nach dem Prozess um Verleumdung zwischen Amber Heard und Johnny Depp nicht am Ende, sondern nötiger denn je ist. Ein Kommentar.

Depp

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Gestern endete in Fairfox County, Virginia, nach über sechs Wochen ein denkwürdig deprimierender Prozess: der zwischen Amber Heard und ihrem Ex-Mann Johnny Depp. Heard hatte dem Hollywoodstar Missbrauch und häusliche Gewalt vorgeworfen. Die sieben Geschworenen befanden nun, sie habe Depp verleumdet. Dafür muss Heard ihm mehr als 10 Millionen Dollar Schadensersatz zahlen. In Teilen gab die Jury aber auch Heards Gegenklage recht – Johnny Depp schulde seiner Ex-Frau zwei Millionen Dollar, wegen umgekehrt verleumderischer Aussagen seines ehemaligen Anwalts.

Vielleicht sollte man noch mal darauf hinweisen, dass das Urteil nicht bedeutet, dass Amber Heard in ihrer Ehe keinen Missbrauch erlebt hat. Es ging vor Gericht vielmehr um die Frage, ob sich Amber Heard mit einem Artikel aus der »Washington Post« von 2018 der Verleumdung Depps – dessen Namen sie darin nicht nannte – schuldig gemacht hatte. Ob sie darin gelogen hat, um Depp gezielt zu schaden.

Heard

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Ein endgültiges Urteil über die schier unvorstellbar toxische Beziehung, die beide – nach allem, was nun an grausamen Details ausgepackt wurde – geführt haben und in der kaum mehr zu trennen scheint, wer wann Täter und wer wann Opfer war, kann sich eigentlich niemand anmaßen. Aber das hielt all die Laienrichter in sozialen Netzwerken und sonstigen Verkündungskanälen natürlich nicht davon ab, genau das zu tun. Eine erschreckend große, laute Masse war sich von Anfang an einig: Die 36-Jährige Heard lügt und sei das »wahre Monster«, Hashtag: #AmberIsALiar oder #AmberHeardIsAPsychopath. Auf Instagram oder Tiktok wurden kontextfreie Ausschnitte ihrer Aussagen vor Gericht zu lächerlichen Memes.

Manche Kommentatoren riefen gar mit diesem Prozess das Ende von #MeToo aus, #MenToo sei stattdessen nun das Motto. Auch Männer können Opfer sein. Nun stimmt das Letztere natürlich (auch wenn es deutlich seltener der Fall ist). Aber nur das. Denn: #MeToo – eine breite Bewegung, die Frauen ermutigt, das Ausmaß sexueller Übergriffe öffentlich zu machen – ist nach »Depp vs. Heard« nötiger denn je. Nicht nur, weil dieser Prozess bewiesen hat, wie viel Misogynie und Vorurteile noch immer überall in unserer Gesellschaft schlummern und sich entladen können über eine Einzelne, die das tut, was die meisten sich nicht trauen: Von Gewalterfahrungen zu berichten. Es wird außerdem mittlerweile wieder unverhohlen so getan – nicht nur von Männern –, als gehe es bei #MeToo lediglich darum, das Flirten komplizierter zu machen oder Männer schwuppdiwupp zu diffamieren (als ob das ein schönes, gewinnbringendes Frauenhobby sei und nicht ein Schritt, der viel zu oft mit Demütigungen verbunden ist).

Dabei ging und geht es bei #MeToo vor allem um Machtmissbrauch, konkreten und strukturellen. Und wie ein deutlich mächtigerer Mann seinen Einfluss missbrauchen kann, um den Ruf einer Frau für alle Zeiten zu ruinieren mit Hilfe einer durch und durch seiner Erzählung folgenden Fanschaft aus Medien und Konsumenten, auch das gehört zur Geschichte dieses schrecklichen Prozesses in Fairfox County.

#MeToo hat viel in Bewegung gesetzt. Weltweit verbreitete Spiralen aus Macht und Gewalt wurden Teil eines öffentlichen Diskurses, vom Fall Weinstein, über die Causa Dieter Wedel bis hinein in die BILD-Redaktion. Das Thema wurde enttabuisiert. Opfer entstigmatisiert. Nicht immer, aber immer öfter. Betroffene Frauen müssen sich nicht mehr als Einzelfall fühlen. Aber: Wie groß zugleich die Macht sozialer Medien geworden ist, Shitstorms zu befeuern und öffentliche Meinung zu manipulieren, auch das hat die juristische Schlammschlacht zwischen Amber Heard und Johnny Depp gezeigt.

Natürlich darf #MeToo nie ein Vorwand für falsche Beschuldigungen sein. Aber das Problem beim Thema sexuelle Übergriffe bleiben, davon darf dieser prominente Prozess nicht ablenken, nicht unberechtigte Vorwürfe. Sondern solche, die verschwiegen und nie zur Anzeige gebracht werden. Wer Angst vor #MeToo hat, der hat entweder nicht verstanden, dass der Hashtag für das Gegenteil steht: Vielen Menschen jeden Geschlechts die Angst und die Scham zu nehmen. Oder der ist so gestrig, dass er aus gutem Grund Angst vor der Zukunft hat.