These 2: Die Revolution ist vorbei

Promiwahn und Castingshows: Der Geist der Rebellion hat abgedankt.

    Was wir als Popkultur kennen, liegt in Trümmern. Die Trümmer sind allerdings spannend und werden immer spannender. Glauben Sie an die Trümmer! Es gibt heutzutage ein neues Phänomen: die Talentshow.

    Sie hat, gleich ob live oder im Fernsehen, alles ersetzt, was einmal innovativ und neu und ganz oben in den Charts war. Formate wie DSDS, Popstars oder Topmodel haben sich erfolgreich ins Zentrum der neuen Popkultur geschoben. Sie sind die kulturelle Grundnahrung einer neuen Generation. Das setzt der Musikbranche mehr zu als die ganzen illegalen Downloads und die Internetkultur. Die alte, lahme Branche versinkt gerade in der Bedeutungslosigkeit und verliert all die Macht, die sie einst besaß. Diese neuen Post-Karaoke-Formate haben aufgezeigt, dass die Industrie nichts weiter ist als eine Ansammlung alter, dicker, hässlicher Besitzstandswahrer.

    Heute leben wir in einer Promikultur der Präpubertierenden, und es sind weder die Platten der Musikindustrie noch die Filme der Fernsehsender, sondern die Stars selbst, die alle Macht besitzen. Das popkulturelle Gewerbe hat damit bewiesen, dass es den Zeitgeist emotional nicht mehr versteht und völlig falsch informiert ist. Macht den Laden doch einfach dicht! Das ultimative demokratisch-genossenschaftliche Podium der Talentshow fordert: Jeder darf auf die Bühne.

    Meistgelesen diese Woche:

    Die Talentshow ist zu Hause vor dem Fernseher zum Treffpunkt für die ganze Familie geworden. Überall auf der Welt werden gerade Kinder darauf getrimmt, an einer Talentshow teilzunehmen. Der rebellische Geist des Rock ’n’ Roll, der in den Fünfzigern und Sechzigern den Weg zur sexuellen Befreiung ebnete und das restliche 20. Jahrhundert hindurch immer wieder aufflackerte, veränderte die Art und Weise, wie wir alle tanzten, lebten und redeten.

    Nun aber hat er abgedankt, und eine neue Kultur tritt an seine Stelle. Sie ist nicht authentisch im traditionellen Sinn und dreht sich hauptsächlich darum, die Imitatoren zu imitieren. Sie ist auch eine neue Form der Unternehmenskultur, die das Manifest des »Do it yourself« verinnerlicht hat, das vor langer Zeit an der Wand jedes Coffeeshops in jedem Stadtviertel hing und zum Glaubensbekenntnis der Punk-Ära zählt; doch mit alten Erklärungsversuchen kommt man dieser Entwicklung nicht mehr bei.

    Die Talentshow-Kultur hat die Familie neu belebt, die nun gemeinsam vor dem Fernseher sitzen kann – fast wie in der Kirche! Sie hat das Format des Reality-TV aufgeblasen und dabei gewisse Kulturgurus, die alles Kulturelle globalisieren und kontrollieren wollen, mit unglaublicher Macht ausgestattet. Es ist traurig zu sehen, wie junge Inder, die sich bei der indischen Ausgabe von Pop Idol abmühen, wie Beyoncé zu singen, jede Kultur verraten, die es dort einmal gab. Wo sind die Künstler, die diese Trümmerstücke einsammeln und per Video- und Performancekunst wieder dem Zeitgeist zuführen?

    Jetzt geht School of Saatchi auf Sendung, eine Talentshow nach einem Konzept des Reklamegurus und bedeutenden Kunstsammlers Charles Saatchi. Sie läuft diese Woche auf BBC, und in der Jury sitzt u. a. niemand Geringeres als die Künstlerin Tracey Emin. In dieser Show prügeln sich in irgendeinem geheimen Lagerhaus junge bildende Künstler darum, zum »Besten Neuen Künstler« ernannt zu werden. Die Talentshow kennt keine Grenzen!

    Als God Save the Queen von den Sex Pistols auf Nummer eins landete, aber die offiziellen Charts das nicht vermerkten und stattdessen in Großbritannien nur einen schwarzen Balken druckten, forderte das noch die Unternehmenskultur heraus. Wenn ich mich recht erinnere, hatten damals alle die Hosen voll. Die Regierung, die Ladenbesitzer, die Polizei, die Musikindustrie – sie alle zogen an einem Strang, um Punk abzuwehren. Aber haben sie es geschafft?

    Das war der Anfang vom Ende des furchtbaren Etikettenschwindels, der da Popmusikbranche heißt. Die Leute sahen ihr wahres Gesicht: Sie war nichts weiter als ein von Gaunern betriebener Heuschreckenkonzern, dem der Tag der Abrechnung bevorstand. Und ich bin wie viele andere entzückt, mitzuerleben, wie er heute in Flammen aufgeht.

    (Malcolm McLaren, Manager, Designer, Musiker, war mit Vivienne Westwood verheiratet, managte die Sex Pistols und zählte zu den innovativsten Musikproduzenten der Achtzigerjahre. Zuletzt produzierte er Richard
    Linklaters Film Fast Food Nation.)