Weihnachten im SZ-Magazin - Best of

OH, DU FÖRMLICHE! - Weihnachtsfeiern mit den Kollegen machen krank. Die Party des SZ-Magazins bildet da keine Ausnahme. Gnade, Chef!

Ich bin verdonnert worden, diesen Aufsatz zu schreiben, weil ich vor drei Jahren auf der Weihnachtsfeier vor aller Kollegen Augen angefangen habe, mit einer Kollegin rumzumachen. Sie war schön, die Kollegin, die Weihnachtsfeier auch, ein Bistro am Viktualienmarkt, Reden und Sketche, Wichteln mit Fünf-Euro-Geschenken plus in der Redaktion liegen gebliebenen Werbegeschenken. Und dann noch das mit der Kollegin. Doch das gehört sich nicht. Das tun nur Proleten, auf der Weihnachtsfeier.

Andererseits ist es ja nun wirklich nicht selbstverständlich, dass man glimpflich durch so eine Weihnachtsfeier kommt, einer Vielzahl von Deutschen gelingt das jedes Jahr aufs Neue wieder nicht, am prominentesten nicht gelungen ist es Franz Beckenbauer, der auf der Weihnachtsfeier des FC Bayern einer Sekretärin so nah kam, dass sie neun Monate später ein Kind zur Welt bringen konnte. Der Berliner Kurier hat ermittelt, dass nicht nur Beckenbauer, sondern jeder zehnte auf der Weihnachtsfeier untreu wird (»Advent, Advent, das Laken brennt«); in jeder sechsten Ehe komme es nach der Weihnachtsfeier zum Ehekrach; Karrierecoaches versichern, die Wochen nach der Weihnachtsfeier gehörten für die meisten Angestellten zu den schwierigsten im Jahr: Man knickt in seiner Leistung ein, etwa weil der Vorgesetzte einen in der Weihnachtsfeieransprache nicht gewürdigt hat; man wird geschnitten, weil man den Kunststoffweihnachtsbaum angepinkelt hat; man gilt als langweilig, weil man den Kunststoffweihnachtsbaum nicht angepinkelt hat (stattdessen seinen Partner mitgebracht, Riesenfehler!), oder als illoyal, weil man gar nicht erst hingegangen ist. Vor drei Wochen, am 17. November schon, kam die Einladung für die Weihnachtsfeier des SZ-Magazins, per E-Mail vom Geschäftsführer, Betreffzeile »Um Antwort wird gebeten...«.

Ich weiß noch nicht, ob ich hingehe. Mir ist inzwischen klar, dass Weihnachtsfeiern Belegschaft und Unternehmensführung ohne Not in eine vertrackte Situation manövrieren, was aber von beiden Seiten ignoriert wird und schließlich zu den bekannten Zwischenfällen führt. Es weiß ja jeder mindestens eine obligatorische Weihnachtsfeier-Peinlichkeit zu erzählen: Da liegt am nächsten Morgen ein splitternackter Mitarbeiter bei einer Kollegin auf dem Schreibtisch, schlafend; da verirrt sich nach einer Hüttenfeier der Abteilungsleiter mit einer Bildredakteurin im Wald und kommt erst Stunden später wieder raus, blutend (man ist versichert auf betrieblichen Weihnachtsfeiern, gibt das Bayerische Arbeits- und Sozialministerium bekannt); da sagt einer dem Chef mal ordentlich die Meinung und pinkelt danach in die Topfpflanze hinterm Drucker: Passiert selbstverständlich auch dieses Jahr.

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Im Daily Mirror steht, die Kosten, die Weihnachtsfeiern verursachen, belaufen sich allein in England jedes Jahr auf zirka eine Million Euro, es meldet sich nämlich jeder fünfte Arbeiter ­ katerbedingt - mindestens drei Tage krank. Allerdings verbringt auch der durchschnittlich englische Angestellte 45 Stunden pro Saison (Deutschland: geschätzte 30 Stunden) auf diversen Weihnachtsfeiern mit Kollegen und Geschäftsfreunden. Neun Prozent kündigen dabei ihren Job; ein Viertel verlangt angetrunken eine Gehaltserhöhung, ein Drittel ist auf der eigenen Weihnachtsfeier in Handgreiflichkeiten verwickelt, mehr als die Hälfte erhofft sich Sex.

Es muss ja hinter diesen vordergründigen Erscheinungen von Sex und Gewalt ein tieferes Problem stecken. Ich glaube, es liegt daran, dass an diesem einen Abend im Jahr, dem der Weihnachtsfeier, eine Firma komplett wehrlos dasteht, sie ist nackt. Letztes Jahr erreichte mich am Nachmittag unserer Weihnachtsfeier noch ein Anruf. Ich saß im Zug. Der Chefredakteur war dran, er sagte, ich solle am Abend unsere interne Preisverleihung moderieren (Preise für die coolste Frisur, den lockersten Spruch usw.). Ich musste mir schnell etwas ausdenken. Am besten man macht Witze auf Kosten des Chefredakteurs, überlegte ich mir, oder noch besser: des Geschäftsführers, die müssen nämlich gute Miene machen. Erstaunlicherweise kommt man mit dieser Nummer durch und man käme auch mit In-Topfpflanzen-Pinkeln und Nackt-auf-dem-Schreibtisch-Liegen oder Die-Sekretärin-Vögeln durch.

Trotzdem und das ist der Kern des Konflikts will die Firma, ihr Chef, der Abteilungsleiter diesen ganzen Pinkel- und Vögel-Mist eigentlich gar nicht. Sie erträgt ihn nur. Eigentlich will sich die Firma am Tag der Weihnachtsfeier präsentieren, wie sie sich wünscht zu sein, wie der Chef sie in seinen Träumen sieht: Der Chef veranstaltet also mit den Angestellten eine Weihnachtsschnitzeljagd (er findet seine Firma aktiv); er führt die Mitarbeiter in die Oper (kulturbewusst), er fliegt sie nach Shanghai (glamourös); er schickt sie in ein Witzigmann-Zelt (witzig), serviert Schnittchen in der Kneipe (bodenständig).

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110 Euro pro Mitarbeiter dürfen diese Veranstaltungen kosten, bestimmt unser Steuerrecht. Gibt der Arbeitgeber mehr aus, muss er 25 Prozent Lohnsteuer auf den pro Mitarbeiter investierten Betrag zahlen (weswegen beim SZ-Magazin die Verantwortlichen einen vernünftigen Sicherheitsabstand zu diesen 110 Euro halten): Hier haben wir nun das wahre Wesen der Weihnachtsfeier ein Saufgelage, ein sanktionsfreier Raum, eine Singleparty, alles richtig, doch in Wirklichkeit ist sie nichts weiter als eine Investition: Weihnachtsfeiern heißen nämlich, wenn Chefs sich unterhalten, nicht Weihnachtsfeiern. Sie heißen »Incentives«, Anreize. Anreize zum Besser-, Schneller, zum Länger-Arbeiten. Sagt ein Geschäftsführer zum Abteilungsleiter: »Was machen wir denn dieses Jahr als Incentive?« Sagt der Abteilungsleiter: »Wie wäre es mit kegeln?« »Das ist doch kein Incentive!«

Fragen wir besser einen Profi: Hermann Annen ist Chef der Agentur Insight Out. Auf seiner Webseite verspricht er »außergewöhnliche Programme« für jede Weihnachtsfeier. Eins davon sieht dort eine »Elchjagd« mit Pfeil und Bogen sowie Weihnachtsbaumweitwurf vor. Herr Annen sagt, das sei das gefragteste Programm. »Ein Incentive?«, frage ich. »Genau«, sagt Annen. »Bei den Firmenchefs ist es inzwischen so, die sagen sich, wenn ich schon Geld für so eine Weihnachtsfeier ausgeben muss, dann will ich auch etwas für die Firma davon haben.« »Was hat der Chef vom Weihnachtsbaumweitwurf?« »Ein gemeinsames Erlebnis, das nachwirkt, das Klima verbessert.«

Mein nächster Anruf geht zu Roland Berger, Unternehmensberater, die wissen, wie man Mitarbeiter führt: »Weihnachtsbaumweitwurf?«, fragt die Pressesprecherin. »Nein, Oper.« Sie gehe, sagt sie, mit ihrer Abteilung in die Münchner Staatsoper, weil ihr Team so musikbegeistert sei, man schaue sich Elektra an, danach sei ein Tisch reserviert im Restaurant des »Vier Jahreszeiten«, die Firma zahlt. Ich werde blass am Telefon. Plötzlich kann ich die tiefere Bedeutung des Wortes »Incentive« förmlich in mir spüren. Dann fragt sie, was wir denn so machen, das SZ-Magazin? Ich sage, dass wir auch in ein Restaurant der gehobenen Klassen gehen »knapp unterm ›Vier Jahreszeiten‹« (stimmt nicht) und dass wir uns dort mit Fünf-Euro-Geschenken plus Warenproben gegenseitig bescheren.

Schnell aufhängen, nächster Anruf. Jetzt gleich ganz nach oben. Bundeskanzleramt, einen Tag vor dem Einzug Merkels. Im Kanzleramt heißt es, man wisse noch nicht mal, ob es dieses Jahr eine Weihnachtsfeier gebe, von Merkel habe man diesbezüglich noch nichts gehört, Schröder habe ja in den letzten Jahren alle 460 Mitarbeiter bei der Weihnachtsfeier im großen Saal begrüßt. Aber dieses Jahr, mit Merkel? Feiert die überhaupt Weihnachten?

Auch bei BMW, erfahre ich, gibt es keine Weihnachtsfeier. Aber allen Abteilungen und Teams stehe es ja frei, heißt es in dem Konzern, sich selbst zu verabreden und zusammen zu feiern, nur zahlen müssten sie selber. Man habe sich entschieden, lieber ein übertarifliches Weihnachtsgeld zu zahlen. Klingt schlimm, doch wie immer hat BMW Recht: Kann man es Deutschlands Angestellten verübeln, dass sie wegen der genannten Komplikationen im Grunde keinen Bock mehr auf Weihnachtsfeiern haben? Dass sie es als Mühsal empfinden, eine Hölle aus verordneter Fröhlichkeit unter Beobachtung, die die Arbeitssituation an einen Platz außerhalb des Büros verlagert, einen Platz, an dem nicht nur der angestammte Nachbar fehlt, sondern auch die Gewissheiten und Schutzmechanismen des Büros? Rituale, auf die normalerweise Verlass ist (zwischen Computerbildschirm und Zimmerpflanze verschwinden, so tun, als würde man telefonieren, wenn der Chef vorbeikommt), sind nicht verfügbar. Ein guter Chef, heißt es, verlässt die Feier diskret um Mitternacht. Unserer nicht, und Karrierecoaches warnen: »Die Weihnachtsfeier ist keine Vergnügungsparty. Sie ist ein Assessment-Center! Wo sonst können Vorgesetze so informell die Sozialkompetenz ihrer Mitarbeiter begutachten?«

Beim SZ-Magazin haben wir das natürlich durchschaut. Unsere Weihnachtsfeiern verlaufen inzwischen zwischenfallsfrei, wir reden meist über Wirtschaft oder über das letzte Kochrezept im Heft. Mein Abenteuer von damals blieb der letzte Aufreger.

Es ging übrigens folgendermaßen weiter: Von der Weihnachtsfeier gingen wir in eine Disko, dann zu ihr, sie erzählte mir vom Teufelstritt in der Frauenkirche, bald zogen wir zusammen, dann dachten wir über einen Hund nach. Mein Karrierecoach raufte sich die Haare. Man tut das nicht, auf Weihnachtsfeiern. Schon klar. Aber in diesem Fall hatte ich wirklich keine Wahl.

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