Jonathan Meese ist seit seiner Geburt totalst neutral. Jonathan Meese mag das Wort »ICH« nicht, deshalb schreibt er hier über sich nicht als Individuum, sondern als metabolischer Zustand und verwendet die dritte Person. Jonathan Meese war bereits vorgeburtlich in der Sache Kunst stets zu Diensten: »Ganz, wie Sie wünschen!«
Jonathan spielte schon immer im Namen der Kunst, was er damals zwar ahnte, aber noch nicht zu formulieren wusste. Jonathan Meese war also stets ein Spielkind und wird dies auch immer bleiben. Er hat sehr wenig Erinnerungen an seine Kinder-, Schul- und Kunsthochschulzeit, da er ein totalster Verdränger und Antinostalgiker ist. Jonathan Meese wurde 1970 in Japan geboren und lebt seit 1973 in Deutschland. Seine Mutter berichtet: »Herausgerissen aus dem japanischen Leben mit drei Jahren und umgesiedelt nach Deutschland, reagierte Johnny ein halbes Jahr lang mit ausgedehnten Wutausbrüchen. Jonathan sagte damals zu allem und jedem: ›I hate you!‹ Schließlich hatte er sich eingelebt und war nun doch angekommen. Sein englischer Vater, der in Tokio blieb und mit dem er sich, wenn er nach Deutschland kam, der Sprache wegen nicht wirklich unterhalten konnte, erschien ihm immer als ein Mysterium. Er hatte stets Angst vor der Realität der Straße.
Jonathan schützte sich damals vor allem durch das stundenlange Hören von Märchenplatten und immer wieder der gleichen Lieder von DAF, Beatles, ABBA und Neue Deutsche Welle über Kopfhörer. Der Bart, die langen Haare wie auch die Kleidung, die er heutzutage trägt, immunisieren ihn gegen die ihm befremdliche Wirklichkeit.«
Johnny war als Kind immer sehr scheu und schüchtern. Er geriet, um zu überleben, Schritt für Schritt in eine Gegenwelt, die sich später als die neutraldemokratische Antirealität KUNST entpuppte. Von jeher propagiert Jonathan Meese: Kunst an die Macht.
Jonathan ist an keinerlei individueller Aktivität interessiert. Johnny ist nur ein einfacher Soldat der Kunst. Hagen von Tronje war und ist sein Lieblingssoldat, immer gleich, ohne Erlebnishunger, ein echter Kamerad. Der selbstherrliche Siegfried dagegen wurde abgelehnt. Überhaupt waren Kämpfer aus den Heldensagen im Kinderzimmer stets zur Stelle, zum Beispiel auch die Mumins. Deshalb ist auch klar: Kunst ist ein Kinderspiel, geht leicht von der Hand und das kann doch wohl jeder.
Kindergarten und Schulzeit waren eigentlich nur Parallelwelten, durch die man durch musste. Jonathan bewegte sich damals schon im Niemandsland, immer neutralst zwischen den Fronten. Johnny war sehr lieb. Er kann und will nie andere verletzen. Jetzt im Rückblick steht fest, dass Jonathan einfach immer nur von sich absehen musste. Ohne es wirklich zu wissen, also instinktiv, wollte er, dass das Allerallerallertollste an die Macht kommen sollte, damit das ultimativste Abenteuer »Leben« sich an allen und allem abspielen würde.
Heute wissen wir, dass diese neue »Superherrschaft« die Kunst ist und sich als DIKTATUR DER KUNST vollziehen muss. Jonathan Meese liebte schon immer klarste Befehle und ist unendlich dankbar, dass seine Mutter neben der Kunst auch totaler Chef der Sache ist. Seine Mutter hat ihm Disziplin, Gehorsam, Liebe und totale Hingabe mit auf den Weg gegeben. Wie sie selbst sagt, ist sie sein »Zweiter Mann«.
Jonathan Meese hatte tausend Stofftiere, vor allem die Muminfamilie – das waren noch richtige Freunde. Jonathan sah sehr früh ein, dass Menschen Spielzeug und Dekoration der Kunst sind, toll, toll, toll. Johnny will, dass die Kunst mit ihm und allem hemmungslos spielt, auf dass es zur totalen Revolution der Kunst bis zur »Machtschenkung Kunst« kommt.
Jonathan war schon als Baby ein Wesen tiefster Gefühle und sah sich sehr früh in einer neutraldemokratischen Warteschleife: Bestellt, aber nicht abgeholt. Dieses Gefühl beschleicht ihn zunehmend weiter und weiter: Jonathan wartet nun mal sehnsüchtigst auf den Chef »Kunst«, um dessen Befehle an sich metabolisch umsetzen zu lassen. Jonathan Meese erkennt die metabolische Gewissheit an, dass alle Menschen ritualfrei spielen und die Herrschaft der Kunst liebevollst willkommen heißen mögen.
Jonathan war, ist und wird immer unfähig sein, Menschenmacht zu erdulden. Jonathan Meese wollte sich noch nie, auch nicht als Kind, selbstverwirklichen. Rückzug, Kapitulation, Intrige, Zynismus und Kreativität waren nie sein Ding. Es geht immer nur um das freie Spiel der Kräfte. Kapitän Ahab, Kapitän Bligh, Humpty Dumpty, Zardoz, Megan Fox und vor allem Scarlett Johansson sind als Zustand liebevollste Vorreiter einer verheißungsvollen, instinktiven Zukunft.
Johnny hat immer in einer Zauberburg auf der größtmöglichen Bühne der Welt Weltbeherrschung gespielt. Johnny, der Metabolische, sah sich immer schon als Teil der Nahrungskette und nie darüber. Er düst ohne Rückspiegel, also ohne Nostalgie, wohin ihn die Kunst schickt. Jonathan Meese freut sich radikalst wie ein Kind auf die Herrschaft der Kunst, toll, toll, toll. Allen anderen wünscht er auch viel Glück.
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Jonathan Meese, 39, hatte bi der Berlin Biennale 1998 seinen Durchbruch mit der Installation "Ahoi der Angst". Der Exzentriker ist heute einer der bekanntesten deutschen Künstler.
und Jan Bauer (Foto)