Warnung – hier kommt die ödeste Einleitung, die Sie je gelesen haben: Guillermo Portero kauft sich eine Wohnung. Der Friseur Gilberto Valladares stellt einen Lehrling ein. Luis Pelaez belegt einen BWL-Kurs. Ernesto Lopez fährt von Haus zu Haus und verkauft Brokkoli, Kräuter und Tomaten. Rachel Carvajal hat ein Café eröffnet.
Banal? Aber was wäre, wenn diese Leute all die alltäglichen Dinge zum ersten Mal in ihrem Leben täten? Wenn jedes dieser kleinen Ereignisse in sich schon eine Revolution wäre? Eine Revolution in einem der letzten kommunistisch regierten Länder?
Es ist neun Uhr morgens, einer dieser Vormittage in der Karibik, an denen es so heiß ist, dass sich das Gehirn anfühlt wie frittierte Calamares. Guillermo Portero ist das egal. Er ist kurz davor, sich den Traum zu verwirklichen, den er schon sein ganzes Leben lang hat: eine eigene Wohnung. Der 48-Jährige steht im Garten einer Vierzimmerwohnung an der Calle Paseo in Havanna. Knapp über 100 000 Dollar hat Portero dafür geboten, »alles, was ich habe«. Bekommt er den Zuschlag, will er die vorderen Zimmer als Wohnraum nutzen und die hinteren in ein Atelier und Büro umwandeln. »Ich möchte Kleidung entwerfen und sie verkaufen.«
Das wäre vor nicht mal einem Jahr noch völlig undenkbar gewesen. Genauer gesagt: illegal. Auf Kuba durfte man Wohnungen und Häuser nur tauschen, aber nicht kaufen oder verkaufen. Gemäß den Vorgaben der marxistischen Hardliner an der Staatsspitze war Besitz Diebstahl. Und der unabhängige Einzelhandel war gleich mit verboten.
Aber Kuba verändert sich. Drastisch. Zum ersten Mal seit der glorreichen Revolution / dem kommunistischen Staatsstreich* (*bitte je nach politischer Orientierung eine Variante streichen) vor 53 Jahren flirtet das Land mit dem Kapitalismus. Präsident Raúl Castro, der 2008 offiziell seinem Bruder Fidel ins Spitzenamt folgte, hat neue Gesetze erlassen, die es Unternehmern gestatten, Firmen zu gründen und Handel zu treiben, sei es mit Kohlköpfen oder mit Eigentumswohnungen. Actualización – Aktualisierung nennt das die kommunistische Partei. Der Begriff erfasst nicht mal ansatzweise die Bedeutung der Reformen.
Joel Begué fasst es in große Worte: »Sex! Was hier passiert, ist so aufregend wie Sex!« Er lacht herzhaft über seinen Vergleich, Schweiß perlt in seinen schwarzen Schnurrbart. Begué, 43, ist der geborene Unternehmer. Jahrelang setzte er den Gästen in den staatseigenen Restaurants auf Kuba vor, was die Kommunisten unter Essen verstanden: zähes, graues Schweinefleisch. Begué war stets überzeugt, dass er es besser konnte. Als dann die Regierung im vergangenen Jahr Gewerbelizenzen an Kleinunternehmer vergab, eröffnete er das Restaurant »Habana Chef« im eleganten Hauptstadtviertel Vedado.
Gute Kritiken haben Begué so viele Gäste ins Haus getrieben, dass er bereits die Hälfte der 25 000 Dollar, die er sich für die Eröffnung geliehen hat, zurückzahlen konnte. Jetzt plant er ein zweites Restaurant in der Innenstadt von Havanna. Nur mit großen Werbekampagnen muss er noch warten. Die Plakatwände sind auf Kuba den Wandgemälden und Postern vorbehalten, die die Einwohner daran erinnern sollen, wie menschenunwürdig der Kapitalismus ist, dem Begue frönt – und den das Kabinett inzwischen fördert.
Diese Tafeln wirken längst nicht mehr wie ein drolliger Anachronismus, eher wie Mahnmale eines fehlgeschlagenen Wirtschaftsexperiments. Wo man in Havanna auch hinsieht, tasten sich Unternehmer in kleinen Schritten an den Kapitalismus heran. Auf öffentlichen Parkplätzen tauschen Autohändler Papiere und Nummernschilder gegen Bargeld. Auf Handzetteln an den Bäumen entlang des Prado bieten Leute ihre Dienste als Parkwächter oder Clowns für Kindergeburtstage an. Kaum zu glauben, aber bis letztes Jahr war es verboten, als freiberuflicher Clown unterwegs zu sein.
Und die Unternehmen? Manche wachsen so schnell, dass schon erste Konflikte entstehen. Die Englischlehrerin Rachel Carvajal, 27, führt das beliebte »Café Punto G« (Café G-Punkt) im Hinterhof ihres Hauses nahe der Calle G. Vor einigen Monaten stattete ihr ein gewisser Armando Puentes einen Besuch ab, der Mann hat um die Ecke ein Café mit dem gleichen Namen eröffnet. Carvajal erzählt: »Er schrie herum, dass er ein Recht auf den Namen hätte, weil er in der Calle G wohnt. Ich würde mir jetzt gern die Marke registrieren lassen, nur gibt es noch kein Markenrecht auf Kuba. Aber es war meine Idee und ich behalte den Namen auch. Schließlich geht es ums Geschäft.« Das hätte Donald Trump nicht schöner sagen können.
Vielleicht bringt Kuba ja bald einen eigenen Donald Trump hervor: An die 200 Studenten lernen zurzeit an der Universität, wie man sich Kapital beschafft, Geschäftspläne erstellt und Güter auf den Markt bringt. Der geistige Vater des Studiengangs ist der 37-jährige Pater Yosvany Carvajal, katholischer Priester aus Havanna. Er erklärt, dass seine Kirche – die die Kommunisten einst bekämpften – die Wirtschaftsreformen der Regierung unterstützt: »Gott möchte, dass die Menschen erfolgreich und unabhängig sind. Vor ein paar Jahren noch wurde ein Unternehmer als kriminell erachtet, als Straftäter. Heute nimmt man Geschäftsleute als Förderer der Gesellschaft wahr. Aber sie haben kein Rüstzeug. Also wollen wir ihnen beibringen, wie man ein Geschäft führt.«
Zugegeben, auch zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Berliner Mauer existiert das alte Kuba noch. Die Regierung kontrolliert die großen Geschäfte: Öl und Bergbau, die Banken und die Telekommunikation, die medizinische Versorgung und den Tabakanbau. Allerdings können Kubaner nun einen kleinen, rosafarbenen Ausweis beantragen, die »Autorización Para Ejercer el Trabajo por Cuenta Propia« (Erlaubnis, auf eigene Rechnung zu arbeiten). Damit dürfen sie ein Geschäft gründen und nach Belieben Leute einstellen.
Geblieben ist eine Tradition: Auch die neuen Gesetze, die steuern, wer wo und wie einen Laden eröffnen darf, sind elend lang, höllisch kompliziert – und gelegentlich bizarr. Die Schönen und Kreativen in Havanna dürfen zum Beispiel jetzt als »kostümierte Berufstänzer« ihren Lebensunterhalt verdienen, aber nur, wenn sich ihr Kostüm an Benny Moré orientiert, einem kubanischen Schnulzensänger der Vierzigerjahre.
Schrille Outfits hin oder her, Raúl Castros Botschaft ist deutlich: Plan A, der nackte Sozialismus, ist fehlgeschlagen. Es wird Zeit für Plan B. Und der lockt auch Gäste ins Land. Der Brite Andrew Macdonald marschiert durch Havanna, eine halbe Milliarde Dollar in der Hosentasche. Er forscht nach Investitionsmöglichkeiten für seine anglo-kubanische Firma Esencia. Esencia restauriert Hotels und baut gerade auf 220 Hektar die erste Riesen-Golfanlage mit 900 Wohnungen in Carbonera, 100 Kilometer vor den Toren der Hauptstadt. Dank der Reformen könnten Ausländer vielleicht schon bald Villen kaufen – zum ersten Mal seit der Revolution. Macdonald hat ein paar berühmte Namen ins Boot geholt, die Hotelgruppe Aman Resorts, den Designer Terence Conran, er sagt: »Kuba ist mit Abstand der größte Wachstumsmarkt für die Touristikbranche in der Karibik. Weltweit zählt das Land zu den fünf wichtigsten Wachstumsmärkten. Es dauert zwar ewig und drei Tage, bis hier was passiert, aber das Potenzial ist riesig.«
Die Frage ist: Warum macht Kubas Führung plötzlich gemeinsame Sache mit Kapitalisten wie Macdonald? Weil Kuba nicht funktioniert. Nach dem Untergang des Zahlmeisters Sowjetunion im Jahr 1991 musste das Land den Gürtel drastisch enger schnallen. Damals brachen die jährlichen Nettosubventionen von zwei Milliarden US-Dollar weg, ebenso wie die Exporteinnahmen, was die Wirtschaft Kubas um ein Drittel schrumpfen ließ. Die Kubaner sind heute so arm wie seit Jahren nicht mehr. Das Lohnniveau liegt bei 50 Prozent von dem des Jahres 1989. Es gibt einen staatlichen Grundlohn von 20 Dollar im Monat, aber der reicht natürlich kaum zum Leben. Die Angler am Malecón, der Meerespromenade in Havanna, fangen ihre Fische nicht zum Zeitvertreib. Es fehlen 1,6 Millionen neue Wohnungen, was dazu führt, dass die jahrhundertealten Häuser in Havannas Altstadt zu überfüllten Slums verkommen. Vor ein paar Monaten sind dort vier Jugendliche bei einem Hauseinsturz gestorben.
Das Problem ist, dass der Staatssektor, der mehr als 80 Prozent der Wirtschaft und fast alle Dienstleistungen kontrolliert, chronisch ineffizient und völlig unrentabel arbeitet. Korruption und Amtsmissbrauch grassieren. Die Landwirtschaft funktioniert auch nicht, Kuba muss mehr als die Hälfte seiner Lebensmittel importieren. Und wenn eine Bananenrepublik nicht mal mehr Bananen produziert, ist klar, dass sich etwas ändern muss.
Eher Gummiband als Breitband
Doch es sind nicht allein Kubas Probleme im Inneren, die Raúl Castro Kopfschmerzen bereiten. Die Insel hängt am Öltropf Venezuelas. Noch unter Fidel hatte sich Kuba dem Präsidenten Hugo Chávez gegenüber vertraglich verpflichtet, 40 000 Ärzte, Fachleute aus der Nachrichten- und Sicherheitsbranche und andere Arbeitskräfte nach Caracas zu entsenden. Im Gegenzug liefert Venezuela Öl im Wert von circa 3,5 Milliarden Dollar an Kuba – stark verbilligt. Das sind etwa 115 000 Barrel pro Tag, rund zwei Drittel des kubanischen Verbrauchs. Zusammen mit anderen Investitionen läppern sich die Hilfsleistungen Venezuelas auf fünf Milliarden Dollar.
Doch Chávez, 58 Jahre alt, soll nach wie vor schwer krank sein. Jetzt hat die kubanische Regierung große Sorge, dass der Deal aufgelöst werden könnte, sollte Chávez den Kampf gegen den Krebs verlieren. Dann wird alles noch viel schwieriger.
Kein Wunder, dass Raúl Castro es eilig hat. Über die nächsten Jahre will er 20 Prozent der Staatsbediensteten – eine Million Menschen – entlassen. Die Hoffnung ist, dass sie in der neuen Privatwirtschaft unterkommen, während gleichzeitig die steigenden Steuereinnahmen die Staatskasse füllen. Zusätzlich will das Kabinett den Bauern größere Anreize für den Anbau und Verkauf von Nahrungsmitteln geben. Kleinbauern haben das Recht, 66 Hektar Land zu pachten – statt bisher 13 Hektar; außerdem dürfen sie das Land ihren Kindern vererben und ihre Erträge direkt an Privatkunden und Hotels verkaufen.
»Wir müssen das Ruder herumreißen, sonst fehlt uns die Zeit, am Abgrund vorbeizusteuern, und wir gehen unter«, hat Raúl Castro erklärt. Fidel selbst hat sich vor Kurzem vor einem amerikanischen Journalisten zu der Bemerkung hinreißen lassen, dass das Wirtschaftsmodell Kubas »selbst für uns keinen Zweck mehr hat« (später behauptete er aber, er sei falsch zitiert worden).
Manche politischen Beobachter glauben, dass der Sinneswandel der Brüder eher darauf abzielt, ihr Vermächtnis zu bewahren. Raúl ist 81 Jahre alt, Fidel 86 und gebrechlich. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Manche sagen, den Kapitalismus in kleinen Dosen zuzulassen, sei der letzte Versuch, dem kubanischen Modell Leben einzuhauchen.
Die große Frage lautet, ob die Castros damit Erfolg haben werden. Taugen die Kubaner nach all den Jahren zum Kapitalismus? Wird die Privatwirtschaft funktionieren? Schon zweimal zuvor, in den Achtziger- und Neunzigerjahren, hatte das Kabinett die Privatwirtschaft liberalisiert, um das Wachstum anzuregen. Aber sobald die Menschen Geschmack daran fanden, wurden die Beschlüsse kassiert.
Auch Enrique Nuñez hat es damals getroffen. Der heute 43-Jährige musste 2009 Havannas bekanntestes paladar (eine Art Familienrestaurant) »La Guarida« schließen, so sehr setzten ihm damalige Reglementierungen zu. Heute ist Nuñez wieder im Geschäft. Die Fotos seiner berühmtesten Gäste – Jack Nicholson, Matt Dillon, Naomi Campbell – hängen wieder an den maroden Wänden seines Lokals. Doch Nuñez befürchtet, dass die Regierung wieder Bedenken bekommt und zurückrudert: »Angeblich wünscht man sich, dass wir Existenzen gründen, nur sind ihnen Begriffe wie ›Kapitalist‹ oder ›Privatwirtschaft‹ so verhasst, dass sie sie nicht mal in den Mund nehmen. Es ist immer nur die Rede von der ›nicht-staatlichen Wirtschaft‹.«
Jorge Fonseca dagegen glaubt an »eine neue Ära«. Es gebe keinen Weg zurück. 30 Jahre lang hat der Mann kubanische Gewichtheber auf internationale Wettkämpfe vorbereitet, für einen mageren Staatslohn. Heute hat er sich neu erfunden – als Kubas bekanntester Personal Trainer. Seit den frühen Morgenstunden steht er in einer Turnhalle in Vedado, um eine Gruppe von Kunden beim Training anzutreiben. In der Halle ist es schwülwarm, die Luft lässt sich fast mit dem Messer schneiden. Fonsecas Einkommen hat stärker zugelegt als der Bizeps seiner Kunden, er verdient jetzt fast 200 Dollar im Monat. Statt Geld vom Staat zu kassieren, zahlt er 20 Prozent Steuern. Lächelnd erklärt Fonseca seine Philosophie: »Wenn man auf eigene Rechnung arbeitet, ist man viel sorgfältiger. Man strengt sich mehr an. Das Geld gehört einem, aber man zahlt auch Steuern. Alle profitieren davon. Das ist der einzige Weg nach vorn.« Die Zahl von Männern wie Fonseca in der Privatwirtschaft ist 2011 von weniger als 150 000 auf 358 000 gestiegen, heißt es beim staatlichen Statistikamt. Und es sollen noch viel mehr werden.
Das ist durchaus möglich, aber nur, wenn Kuba das grundlegende Rüstzeug entwickelt, das jede Konsumgesellschaft braucht. Die Banken vergeben kaum Kredite. Es gibt keinen Großhandel, der den Wareneinkauf verbilligt. »Ich muss meine Vorräte im Supermarkt zum vollen Preis kaufen«, beklagt sich Rachel Carvajal, die Betreiberin des »Café Punto G«. Die Kommunikationstechnik ist lausig, nur einer von zehn Kubanern hat ein Handy, eine viel geringere Quote als in den meisten anderen Ländern der Karibik oder Lateinamerikas. Und die glücklichen 500 000 Bürger, die zu Hause oder im Büro Internetzugang haben, surfen im Schneckentempo. Yondainer Gutierrez, ein 24-jähriger IT-Unternehmer, der gerade AlaMesa aufgebaut hat – einen Online-Restaurantführer für Havanna –, spottet, dass man »eher von Gummiband als von Breitband« sprechen müsse.
Nicht zu vergessen die allergrößte Hürde: 90 Meilen vor Havanna liegt die größte Wirtschaftsmacht der Welt. Doch der freie Handel mit den USA ist noch immer nicht möglich. Das verhindert das Handelsembargo, das der US-Kongress auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges verhängt hatte, in der Hoffnung, so den Sturz Fidel Castros einzuleiten. Das Handelsverbot kostet Kuba jährlich Milliarden Dollar. Die größten kubanischen Exportschlager – »Havana Club«-Rum und Luxuszigarren – können schlecht den Weltmarkt beherrschen, wenn der Markt, der weltweit 40 Prozent ausmacht, sie ausgrenzt.
Immerhin, Präsident Barack Obama hat die Einschränkungen für amerikanische Kubareisende gelockert. Es gibt jede Woche 50 Flüge aus New York, Tampa, Los Angeles, Atlanta, in Kürze auch aus Washington. Unter den Ankommenden am Flughafen José Martí befinden sich nun auch einflussreiche Kunsthändler aus den USA. Die Preise für kubanische Kunst hätten sich in den letzten Jahren fast verdoppelt, berichtet Luis Miret, 53, der das führende Kunstauktionshaus Subasta Habana leitet.
Vielleicht werden aus den Kubanern ja wirklich gute Unternehmer. Vielleicht meint Raúl Castro, was er sagt. Vielleicht fließen die Kredite bald. Vielleicht lockert Präsident Obama die Einschränkungen noch weiter, wenn er für eine zweite Amtszeit ins Weiße Haus einzieht. Doch selbst wenn alles gut läuft, gibt es noch ein Riesenproblem. Kuba möchte ein Kunststück vollbringen, das bisher nur wenige Länder geschafft haben: Die Castros wollen die Privatwirtschaft teilweise deregulieren und gleichzeitig eine straff gelenkte Staatswirtschaft erhalten. Drei Viertel der Wirtschaft bleiben trotz der jüngsten Reformen in staatlicher Hand. Viele sind der Meinung, Kuba werde nur ein Update vornehmen und den Sozialismus wieder tragfähig machen. Zum Vergleich: Ehemalige kommunistische Staaten wie China oder Vietnam, die glänzend dastehen, sind heute fast vollständig marktwirtschaftlich organisiert. Kritische Stimmen fordern, dass die Deregulierungen noch weiter vorangetrieben werden müssten, sonst bleibe Kuba auf einer ungesunden Mischung aus Kommunismus ohne Staatssubventionen und Kapitalismus ohne Kapital hocken.
Könnte es also einen Mittelweg zwischen Kapitalismus und Kommunismus geben? Einen guten Eindruck bekommt man bei einem Spaziergang durch die Altstadt von Havanna zur Calle Aguiar. Auf halber Höhe links findet sich eine dunkelbraune Tür. Über eine rissige Marmortreppe geht es hinauf in den zweiten Stock zu Artecorte, einem Friseursalon, den ein Mann mit Glatze betreibt. Gilberto Valladares, 42, hat seine Stelle im Hotel »Habana Libre« aufgegeben, um diesen Laden aufzumachen. Der wirft gutes Geld ab, doch Valladares behält nicht alles für sich. Einen Teil der Pesos gibt er für die Ausbildung von Straßenkindern aus. Ein ähnliches Konzept wie Jamie Olivers Restaurant »Fifteen« – nur mit Scheren statt Küchenmessern. Außerdem unterstützt Valladares eine Schule, fördert Künstler und hat ein Café aufgemacht. Der Antrag auf Eröffnung einer Bäckerei ist bereits gestellt. Und eine Pension würde er auch noch gern betreiben.
Valladares hält die Reformen für »gerechtfertigt und notwendig«, aber er findet es wichtig, dass die Unternehmen moralisch einwandfrei operieren: »Das Leben in Kuba hat gesellschaftlich und kulturell eine Menge zu bieten. Das dürfen wir nicht dem Raubtierkapitalismus opfern. Ich war in Miami. So will ich nicht leben. Die Menschen dort leben, um zu arbeiten. Ich betreibe hier ein gut gehendes Geschäft – aber ich lebe auch gut.«
Übersetzung: Stephan Klapdor
© Bulls Press / News International / Sunday Times Magazine
Fotos: Mark Read