Bei Werder Bremen haben sie, im sogenannten Bauch des Weserstadions, ein Museum, in dem die Relikte der Geschichte ausgestellt sind. Der ausgestopfte Kopf eines Heidschnuckenbocks, der in grauen Zeiten als Maskottchen amtierte. Die ersten Fußballschuhe von Torsten Frings, Größe 26, getragen im Alter von vier Jahren. Die Uhr aus dem ehemaligen Presseraum in der Südtribüne. All diese Reliquien verblassen allerdings neben dem Glanz der alten Fußballtrikots, die hinter Glas aufgehängt sind. Vor diesen Trikots stehen viele Besucher, die meisten davon Männer. Es ist ein warmer Tag, diese Männer tragen, was mittelalte Gebrauchsmänner tragen, wenn es warm ist. Karierte Kurzhemden, T-Shirts, die Hosen halblang, Socken in Sandalen. Coca-Cola-Kappen, die für ihre Schwellschädel zu klein sind. Man findet, auch wenn man das Besondere sucht, vor allem das Klischee.
Im Angesicht der alten Trikots allerdings offenbaren diese Männer einen Blick für Details, der ihnen sonst versperrt ist. In der Vitrine hängt ein Baumwollhemd von 1971, die Bremer haben damals ausnahmsweise nicht in Grün gespielt, sondern in Rot und Weiß, den Farben der Hanse; der Kenner spricht hier vom Speckflaggentrikot. Und die Kenner vorm Glaskasten sagen: »Schöner V-Ausschnitt. Und gar keine Ziehfäden.« – »In Grün wär das perfekt gewesen.« – »Besser wär natürlich eine Kordel am Kragen.« Das ungefähr ist die Essenz mehrerer Stunden im Museum, in Gesellschaft zahlreicher Männer, die auf Trikots starren.
Dass der Mehrheit der deutschen Männer Klamotten wurscht sind, kann man der Mehrheit der deutschen Männer ansehen. Sie lassen sich ihre Kleidung von den Frauen rauslegen. Im Umfeld des Fußballs immerhin sind sie imstande, ein Kleidungsstück auch nach ästhetischen Gesichtspunkten zu beurteilen, das Hemd ihres Vereins. »Besser wär natürlich eine Kordel am Kragen« – einen Satz mit Modeblogger-Charme formuliert so ein Mann nur dann, wenn er über ein Trikot redet. Immer wieder erstaunlich, welche Kraft der Fußball hat. Es gibt Diskussionsforen im Netz, auch hier sind Männer in der Mehrheit, Trikotsammler, sie beurteilen die Qualität der Shirts anhand der Beschaffenheit des Stoffes, der Farben. Der historische Zusammenhang ist wichtig: welcher Sponsor auf der Brust ist.
Am Beispiel Werder Bremen: 2003 trug die Mannschaft grüne Trikots mit orangefarbenen Ärmeln, die Fußballer sahen aus wie Senegal-Papageien. Ob sie das Hemd papageil oder papagrausam fänden, wollte die Bild-Zeitung von den Lesern wissen, und obwohl die Tendenz zunächst Richtung papagrausam ging – am Ende gewann Werder Meisterschaft und Pokal, und ihr Stürmer Aílton ist im kollektiven Gedächtnis mit diesem Trikot regelrecht zusammengewachsen.
So ein Trikot zu betrachten, ist eins, es zu besitzen, das andere. Der Trikotsammler will Trikots aus dem Stoff seiner Träume: getragen von den echten Helden, in einem echten Spiel. Matchworn ist das Zauberwort. Im Internet findet man manchmal was, in Auktionshäusern werden echt getragene Trikots verkauft, es gibt Versteigerungen, bei denen man Männer sieht, die ehrfürchtig über Hemden streichen. Das Trikot von Pelé, WM 1970, brachte bei Christie’s 260 000 Euro, es war ungereinigt. Denn wenn Grasflecken und Kampfspuren noch drin sind, erhöht sich der Wert. Trikotsammlerinnen, wenn es sie gäbe, würden das Zeug ja sofort waschen.
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