Der Empfangsraum eines Show-Appartments in Number One Hyde Park in London.
Die Superreichen leben auf einer luxuriösen Raumstation, während der Rest der Bevölkerung in den verarmten Städten der Erde ums Überleben kämpft. Der Science-Fiction-Thriller Elysium zeigte vergangenen Sommer eine drastische Gesellschaftsvision. Neill Blomkamp, der Regisseur, sagt: »Das ist nicht Science-Fiction. Das ist das Heute.« Er liegt nicht falsch: Elysium existiert. Es heißt One Hyde Park und ist ein Gebäudekomplex mitten in Knightsbridge, Londons teuerstem Einkaufsviertel, nur einen Spaziergang von den Luxuskaufhäusern Harrods und Harvey Nichols entfernt. Mit seinen gezackten Glas- und Betontürmen und der Stahlgitter-Verkleidung ähnelt das Gebäude sogar ein bisschen einer Raumstation.
Geistige Väter des Anwesens sind Christian und Nick Candy, ein Brüderpaar aus einfachen Verhältnissen, das einen steilen Aufstieg hingelegt hat: Ihr Weg führte vom Kaufen/Renovieren/Verkaufen von Apartments zur Gründung von Candy & Candy Design; heute sind sie die Inneneinrichter der Superreichen. Mit One Hyde Park haben sich die beiden einen Traum erfüllt. 2005 erwarben sie das Grundstück für 180 Millionen Euro aus der Schatztruhe des Premierministers von Katar und beauftragten den Architekten Richard Rogers mit dem Bau. Als ein paar Jahre später alles fertig war, richteten Rolex, McLaren und die Abu Dhabi Islamic Bank im Erdgeschoss Dependancen ein.
Es hätte Harakiri sein können, denn die Candys kauften, als die Immobilienpreise am höchsten standen. Doch ein anonymer Käufer gönnte sich eine der Wohnungen in One Hyde Park – für 36 Millionen Euro, umgerechnet 85 000 Euro pro Quadratmeter. Das Apartment mit fünf Schlafzimmern war komplett eingerichtet und schlüsselfertig – platinveredelte 20 000-Euro-Wasserhähne, Möbel von Fendi, Swarovski-Kristallfiguren in den Regalen. Edler als eine Suite im Fünf-Sterne-Luxushotel. Das war der Startschuss.
Das Haus bietet Spitzentechnologie, Iris-Scanner für die Nutzung der Aufzüge, Wachmänner, die von britischen Sonderkommandos ausgebildet wurden. Die wohlhabenden Bewohner von One Hyde Park fahren mit ihrem Maybach direkt in einen Aufzug aus Glas und Stahl, der sie in die Garage bringt, von wo aus sie über einen zweiten Aufzug in ihre Wohnungen gelangen – die selbstverständlich kugelsicher verglast sind. Das Gebäude ist durch eine unterirdische Passage mit dem nahe gelegenen »Mandarin Oriental Hotel« verbunden, das auch Zimmerservice bietet. Im Grunde müssen die Hausbewohner nie mit der Außenwelt in Kontakt treten.
One Hyde Park ist ein Symbol für die neue Spielart, wie die Reichen Geschäfte machen. Der Kollaps hat nicht die Betuchten in den Bankrott getrieben, sondern nur die Mittelschicht in die Zange genommen. Geld ist zur Genüge vorhanden. In einer Welt, in der der Dollar zum Spielball des US-Politsystems geworden ist, in der der Euro zum Werkzeug wurde, mit dem man leistungsschwache Länder aus den Löchern befreit, die sie sich selbst gegraben haben – in dieser Welt sind Grundstücke und Anwesen in London die neue Leitwährung geworden. Gold ist passé – jeder schwerreiche Oligarch der BRIC-Staaten deckt sich mittlerweile mit Immobilien ein.
»Wenn man nachts an One Hyde Park vorbeikommt, fällt einem sofort die Dunkelheit auf«, erzählt John Arlidge, Autor der Sunday Times. Er hat als Erster den Begriff von den »verlassenen Straßen Londons« geprägt. »Es ist dort nicht nur dunkler als in den umliegenden Gebäuden, es ist stockfinster. Niemand zu Hause. Nur eine Handvoll der
86 Wohnungen gehört Briten. Ausländische Fantastillionäre, die besser an einem Roulettetisch in einem James-Bond-Film aufgehoben wären, haben sich den Rest unter den Nagel gerissen. Sie verbringen höchstens ein paar Wochen im Jahr dort.«
Auf dem Höhepunkt der Eurokrise im Jahr 2011 gaben reiche Italiener und Griechen knapp 500 Millionen Euro für Immobilien in London aus. Sie zogen ihr Geld vom Euro ab und parkten es an einem Ort mit einer relativ stabilen Regierung und einer unglaublich geringen Steuerbelastung. Aus China, Singapur, Indien und anderen Ländern mit schnell wachsender Wirtschaftskraft strömt seither Fluchtkapital nach London: 2012 wurden ohne Kredit- oder Hypothekenfinanzierung Immobilien im Wert von sagenhaften 100 Milliarden Euro erworben.
Der Dramatiker Peter Gill, der aus einer walisischen Arbeiterfamilie stammt, kann ein
Lied davon singen: »Ich lebe jetzt fast ein halbes Jahrhundert in Fulham. Meine Nachbarn aus der Mittelschicht ziehen einer nach dem anderen fort. Ihre Häuser werden von Hedgefonds-Managern und Bankern aufgekauft. Der Immobilienmarkt richtet sich nicht mehr an Menschen, die in ein Dach über dem Kopf und in den Aufbau eines Gemeinwesens investieren wollen. Hier wollen nur die reichsten Menschen der Welt ihr Geld parken. Das wird London schaden.«
Eine Statistik vom November 2013 belegt, dass im Lauf des Jahres nur 25 Prozent der neuen Häuser in der Londoner Innenstadt von Einheimischen gekauft wurden. Laut dem Immobilienexperten Liam Bailey wurden 49 Prozent aller Käufe von Luxusimmobilien – also Immobilien, deren Wert mit einer Million Pfund oder mehr beziffert wird – von Ausländern getätigt. Die britische Presse begrüßte dies als erfreulichen Trend und wertete die steigenden Häuserpreise als Gradmesser für eine wiedererstarkende Wirtschaft.
Leider ist genau das Gegenteil der Fall, wenn man Nicholas Shaxson glauben darf. Der Autor des Buches Schatzinseln: Wie Steueroasen die Demokratie untergraben sagt: »Die britische Wirtschaft hat ihren Schwerpunkt verlagert – weg von der industriellen Produktion, hin zur Konzentration auf Mieteinnahmen. Statt selbst Wohlstand zu schaffen, zapft Großbritannien andere an, die Wohlstand geschaffen haben, und zwar vorrangig über das Finanzzentrum der City. Aus diesem Grund wird die britische Regierung immer für eine Deregulierung eintreten, was eine Sogwirkung ausübt, wenn zum Beispiel Deutschland eine stärkere Regulierung anstrebt, um einem neuen Kollaps vorzubeugen. Daher werben deutsche Banken für schwächere Regulierungsvorgaben im eigenen Land, um im Wettbewerb mit London mithalten zu können. Es ist definitiv nicht nur ein britisches Problem.«
In Ländern wie Russland, China und Indien sind in den letzten zwanzig Jahren riesige Mengen von Vermögen, natürlichen Ressourcen und Fertigungssystemen aus der Hand der Regierung an reiche Privatiers übergegangen. Das Wirtschaftsmagazin Forbes erstellt jedes Jahr eine Liste der Milliardäre, die erste aus dem Jahr 1986 zählte 140 Milliardäre weltweit. 2008 waren es 1125. Das gesamte Vermögen dieser Menschen betrug 3,2 Billionen Euro, eine Steigerung um 657 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr. Ein Drittel der neuen Milliardäre kam aus Russland (35), China (28) und Indien (19). Russland landete mit 87 Milliardären auf Platz zwei, hinter den USA. Dabei zog es locker an Deutschland vorbei, das diesen Rang sechs Jahre lang innehatte, mit 59 Milliardären aber nun weit abgeschlagen war.
Angefangen haben die Candy-Brüder mit einem 700-Euro-Kredit ihrer Oma
In der Top-Riege befinden sich Leute wie der Stahlmagnat Lakshmi Mittal auf Rang vier, der indische Petrochemiegigant Mukesh Ambani auf Platz fünf, sein verfeindeter Bruder Anil auf sechs, der indische Immobilienbaron K. P. Singh auf acht, der russische Aluminiummagnat Oleg Deripaska auf Platz neun, der chinesische Transportmilliardär Li Ka-shing (zehn), der russische Öl-, Stahl- und Bergbauoligarch Roman Abramowitsch (15), sein Landsmann Alexej Mordaschow, auch er im Kohlebergbau sowie in der Stahlherstellung aktiv (18), und der ukrainische Öl- und Bankmogul Michail Fridman auf Platz zwanzig. Ein bunter Haufen – und alle haben sie Häuser in London.
Warum London? Das besondere Steuersystem macht Großbritannien zur Insel der Seligen für Superreiche. Die britische Regierung gestattet es ausländischen Staatsbürgern, so gut wie keine Steuern auf Einkommen zu zahlen, das als außerhalb des Landes erwirtschaftet gilt. Die Briten bemühen sich nach Kräften, den Reichen das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten. Verglichen mit fast allen anderen Ländern, die nicht zu den rapide schwindenden Steueroasen in Übersee zählen, findet man in Großbritannien sehr leicht Personal und Leibwächter, ausgebuffte Finanzberater und exzellente Schulen für die Kinder. Wer sein Vermögen auf dubiose Weise angehäuft hat, profitiert von den Steuervorteilen in den ehemaligen Kolonialgebieten. Ist die eigene Vergangenheit erst reingewaschen, gehört die nächste Generation bereits zum Establishment. Und so haben die Gebrüder Candy letztlich ihr Geld gemacht: indem sie aufgemotzte Londoner Immobilien an nomadisch lebende Milliardäre verhökerten.
Aufgewachsen sind die Candy-Brüder in der Grafschaft Surrey im Pendlergürtel Londons, der Vater Anglo-Italiener, die Mutter griechische Zypriotin. Beide haben einen Universitätsabschluss: Christian als Betriebswirt vom Londoner King’s College, Nick in Humangeografie von der Reading University. 1995 unternahmen sie erste Schritte auf dem Immobilienmarkt. Mit einem 7000-Euro-Kredit ihrer Großmutter und einer Bürgschaft ihres Vaters für die Hypothek erstanden sie eine 150 000 Euro teure Zweizimmerwohnung in Fulham. Nick, damals in der Werbebranche tätig, gestaltete die Inneneinrichtung neu, und sie verkauften die Wohnung mit 60 000 Euro Profit. Ihr nächster Erwerb sechs Monate später brachte nach der Renovierung einen Nettogewinn von 130 000 Euro.
Sie kauften mehr, teurer, erfolgreicher, und bald hatten sich die Brüder einen Ruf als gewiefte Händler von Spitzenimmobilien erworben, der sie für die finanzstarke Regierung in Katar interessant machte. Ihr größter Coup bis heute ist One Hyde Park.
Zu den bekannten Wohnungseigentümern in One Hyde Park zählen heute die Ölbaronin Folorunsho Alakija aus Nigeria; der ehemalige Premierminister von Katar, Scheich Hamad bin Dschasim Al-Thani; der reichste Mann der Ukraine, Rinat Achmetow; Scheich Sultan bin Mohammed al-Kassimi, ein Mitglied der Königsfamilie des Emirats Schardscha; Wladimir Kim, der dem kasachischen Kupfergiganten Kazakhmys vorsteht; und der in Taiwan geborene Unternehmer Winston Wong.
Doch mit fortwährender Rezession hat die Zahl derer zugenommen, denen die großzügigen Steuervorteile für die Superreichen ein Dorn im Auge sind. Inzwischen propagieren zwei der drei politischen Parteien im Land – die Labour Partei und die Liberaldemokraten – auch offiziell eine Art »Villensteuer«: eine jährliche Abgabe für Wohnimmobilien, deren Wert auf mehr als 2,5 Millionen Euro geschätzt wird. Die Konservativen, die die Mehrheit in der britischen Koalitionsregierung stellen, haben das zwar ausgeschlossen, allerdings sollen Nicht-Einheimische von April 2015 an die Gewinne versteuern, die aus dem Verkauf von Häusern entstehen. Dieser Beschluss ist wohl mit ein Grund, warum der indische Stahlmagnat Lakshmi Mittal plötzlich bereit ist, seine Villa in Kensington mit Verlust abzustoßen: Erworben für 143 Millionen Euro im Jahr 2008, steht sie nun für 135 Millionen zum Verkauf. Ein Käufer ist bislang nicht in Sicht.
Sollte die Blase platzen, würde das aber wohl trotzdem nur einen kurzfristigen Knick in Londons Jagd nach internationalem Geld bewirken. Immerhin, Anfang Dezember zeigten sogar die Candys Nerven. Nick gab der Times of London ein Interview, das fast panisch wirkte. Er sagte: »Es droht die Gefahr, dass bald ein Überangebot an Luxusobjekten in der Londoner Innenstadt herrschen wird. Zum Beispiel sind allein in Mayfair sieben Großprojekte mit mehr als 200 Wohnungen im Bau, zu einem geschätzten Kaufpreis von durchschnittlich 25 Millionen Euro. Sollten diese Projekte nicht ausreichend differenziert geplant sein oder die Bedürfnisse ihrer projizierten Abnehmer nicht korrekt einschätzen, besteht das Risiko, dass es nicht genügend Nachfrage geben wird!« Der Arme.
Die Geisterhausherren: Nick und Christian Candy
(Aus dem Englischen von Stephen Klapdor; Fotos: dpa, imago)